Hamburg. Fachkräftemangel bedroht die Energiewende. Umweltbehörde und Handwerkskammer starten Kampagnen für Schüler und Quereinsteige.
Von 2024 an sollen in Deutschland jährlich eine halbe Million neuer Wärmepumpen im Wohnungsbau installiert werden. Ziel ist es, beim Heizen klimafreundlicher zu werden und sich von teuren Gasimporten zu lösen. Doch in Hamburg droht das hehre Ziel zu scheitern: Es fehlen die Handwerker für die Montage. Schon jetzt, in einer Zeit, in der die Nachfrage bereits hoch ist, müssen Kunden ein halbes Jahr und länger auf den Einbau einer Wärmepumpe warten.
Das gilt auch für andere Handwerksleistungen. Bei der Installation von Solaranlagen auf Dächern fehlen Dachdecker. Auch Elektriker, die sie anschließen sollen, sind rar. Wärmedämmung, Heizungsoptimierung – wer Energie sparen will, muss lange Wartezeiten in Kauf nehmen. „Es fehlt Personal und was noch besorgniserregender ist: es fehlt auch Nachwuchs“, sagt Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan.
Klimaschutzziele wegen fehlenden Personals in Gefahr
Er sieht seine eigenen Vorgaben in Gefahr: Denn ab 2023 besteht im Wohnungsneubau in Hamburg die Pflicht, Solardächer zu installieren. Ab 2025 gilt das gleiche beim Austausch von Dächern im Bestand. Und seit Mitte 2021 muss beim Heizungstausch ein Mindestanteil von erneuerbaren Energien eingesetzt werden.
Umweltsenator Kerstan ist also mitverantwortlich für die langen Wartezeiten, er will aber auch Teil der Lösung sein. Deshalb hat er sich mit dem Präsidenten der Handwerkskammer, Hjalmar Stemmann, zusammengetan, der bereits seit Jahren vor den aktuellen Problemen in Hamburg gewarnt hat. Zusammen haben sie im Februar einen Runden Tisch gegen den Fachkräftemangel im Klimahandwerk ins Leben gerufen. An diesem wird mit anderen Behörden, Verbänden, der Hochschule für Angewandte Wissenschaften und Unternehmen diskutiert, wie man das Personalproblem lösen kann. Nun wurden erste Maßnahmen vorgestellt.
Ungelernte Handwerker sollen Ausbildung nachmachen
Das sind zum eine bekannte Ideen wie etwa die stadtweite Plakataktion im März, mit der für den Handwerksberuf geworben wird. Zusammen will man nun eine mindestens zweijährige öffentlichkeitswirksame Kampagne starten, die speziell für Berufe im Klimahandwerk Werbung macht. Die Handwerkskammer möchte zudem zusätzliche Praktika in Betrieben anbieten. Junge, ambitionierte Meister erzählen darüber hinaus über Instagram oder Youtube, warum es sich für junge Menschen lohnt, einen Handwerksberuf zu ergreifen. Zielgruppe sollen vor allem Jugendliche sein, die in der Phase der Berufsorientierung sind.
Doch das reicht nicht, um das Fachkräftedefizit auszugleichen. Menschen die älter als 25 Jahre sind und derzeit ungelernt arbeiten, sollen ebenfalls verstärkt für eine Ausbildung gewonnen werden. Dazu ist ein Pilotprojekt mit finanzieller Förderung vorgesehen, um den ungelernten Kräften Anreize für eine neue Berufsausbildung zu bieten. Auch Studierende in einschlägigen Studiengängen wie Regenerative Energiesysteme und Energiemanagement sollen für Nebenjobs und Praktika mit Handwerksbetrieben zusammengebracht werden. „Dabei sammeln sie Erfahrung aus der Praxis und lernen das Handwerk kennen“, sagt Stemmann.
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Lehrerinnen und Lehrern an Hamburger Schulen sollen zudem regelmäßig Fortbildungen mit dem Schwerpunkt Klimahandwerk angeboten werden, um sie im Austausch mit ihren Schülern für diesen Beruf zu sensibilisieren. „Das ist ein sicherer Arbeitsplatz mit guten Verdienstaussichten. Hinterm Handwerk steckt mehr als viele denken“, sagt Kerstan, der mit einer von der Fifa bei der WM untersagten „One Love“-Binde am Jackettärmel zur Pressekonferenz erschien. Am Mittwochnachmittag setzte der Runde Tisch seine Beratungen fort.
Mehr Frauen für den Handwerksberuf begeistern
Und auch im kommenden Jahr soll es ihn regelmäßig geben – das wird vor allem von den Betrieben selbst gefordert. Ein Punkt könnte dabei die gezielte Anwerbung von Frauen für das Klimahandwerk sein. „Wir müssen ihnen die Hemmungen nehmen. Wir haben nämlich festgestellt, dass Mädchen in Meisterprüfungen häufig Top-Ergebnisse erzielen und besser abschneiden als ihre männlichen Kollegen“, sagt Matthias Alms, Dachdeckermeister und Geschäftsführer der Firma Isohaus Bedachung. „Das sind die Führungskräfte der Zukunft.“
Eine die es geschafft hat, sitzt an diesem Tag direkt neben Kerstan in der Runde. Es ist Melina Koch vom Heizungsbaubetrieb Gehrke. Koch war ein Jahr lang Gesellin und hat seit August ihren Meisterbrief. „An Arbeit mangelt es uns nicht. Unsere Auftragsbücher sind voll“, sagt sie. Im Betrieb ihres Chefs Lorenz Gehrke gibt es drei Meister, sieben Gesellen und vier Auszubildende. „Dieses Jahr haben wir keinen neuen Azubi eingestellt“, sagt sie. „Nicht, weil wir nicht wollten, sondern weil sich keiner beworben hat.“