Dem zweitgrößten deutschen Hafen bricht das Geschäft weg - und der Stadt die Jobs: 1400 Arbeitsplätze fallen weg. Nun sollen Tourismus und Windkraft den Abschwung bremsen.

Bremerhaven. Der Schneesturm über der Weser zerstört die Hoffnung auf Frühling, und die Nachrichten im Radio stoppen die Hoffnung auf ein schnelles Ende der Krise. Bremerhaven, Ende März. Ferdinand Möhring fährt über das weite Gelände des BLG Autoterminals im Überseehafen. Hier verläuft eine der Pulsadern der globalen Automobilwirtschaft. "Das Terminal ist der wichtigste Umschlagplatz für den Import und Export von Neuwagen zwischen den Kontinenten", sagt Möhring.

Seit Januar ist der 48-Jährige Geschäftsführer der Anlage. Schlechtes Timing: Schon zehn Jahre lang hatte er hier als einer der leitenden Manager gearbeitet. In dieser Zeit erlebte der Hafen von Bremerhaven einen beispiellosen Aufstieg. Nun geht es abwärts.

Normalerweise stehen bei Möhring um die 70 000 Autos auf dem Hof. Im Januar waren es kurzzeitig mal um die 90 000. Das lag daran, dass die Weltwirtschaft zusammenbrach und damit auch der Export deutscher Automobile. Nicht mal die Premiumhersteller aus dem Schwabenland und aus Bayern konnten diesen Niedergang mit ihren Edelkarossen stoppen. Mittlerweile hat sich der Strom gedreht: Normalerweise wickelt der BLG Autoterminal zu zwei Dritteln Exporte aus Deutschland und Europa ab und zu einem Drittel Importe. Derzeit schwillt der Import an: "Das liegt an der Abwrackprämie", sagt Möhring, "jetzt kommen die ganzen Kleinwagen aus Japan rein." So stabilisiert sich die Zahl der Neuwagen im Hafen bei derzeit gut 55 000 auf niedrigem Niveau. Fünf große Autofrachter liegen in den Hafenbecken, nicht weniger als zu guten Zeiten. "Aber die nehmen viel weniger Autos mit als sonst", weiß der BLG-Manager.

Ende der vergangenen Woche kündigte der Gesamthafenbetriebsverein (GHB) in Bremen an, die Zahl seiner Mitarbeiter bis zum Jahresende um 1400 zu reduzieren. Der GHB, den es auch in Hamburg gibt, ist eine Art Spezialagentur für Zeitarbeit, die mit den Hafenunternehmen kooperiert. Der mögliche Verlust von 1400 Jobs war der "Tagesschau" eine Meldung in ihrer 20-Uhr-Hauptnachrichtensendung wert - in einer Zeit, in der Hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland auf dem Spiel stehen. Doch die Stellenbilanz in den Häfen hat mehr Symbolkraft als das Zahlenwerk in vielen anderen Branchen: Sie ist ein Gradmesser für die Vitalität des "Exportweltmeisters" Deutschland. Und die leidet gerade spürbar.

Keine andere westdeutsche Stadt trifft die Rezession der Weltwirtschaft so schnell so hart wie Bremerhaven. Die Arbeitslosenquote im eigentlichen Stadtgebiet lag im Februar bei 16 Prozent. Das ist der höchste Wert in den alten Bundesländern, auf dem gleichen Niveau wie Leipzig und höher als selbst bei vielen der üblichen Verdächtigen in Ostdeutschland wie Cottbus (15,5 Prozent) oder Halle an der Saale (13,9 Prozent). Selbst die Schalke-Stadt Gelsenkirchen steht mit 15 Prozent besser da.

Der Hafen, der etwa ein Viertel zur Wirtschaftsleistung von Bremerhaven beiträgt, boomte in den vergangenen Jahren, die Zahl der Arbeitslosen ging deutlich zurück. Nach den Hartz-Reformen, nach der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe lag die Arbeitslosenquote vor wenigen Jahren noch bei bis zu 25 Prozent. Das Elixier des florierenden Welthandels schaffte Linderung. Nun bricht das Geschäft fast schlagartig ein. In der Arbeitsstatistik wirkt sich das auf dem Autoterminal noch stärker aus als auf den benachbarten Containerumschlagplätzen. Der Containertransport ist stark automatisiert. Aber jeder einzelne Neuwagen auf dem Terminal muss von einem Menschen gefahren werden.

Ferdinand Möhring versucht zu improvisieren, so gut es geht. Nicht nur sein Autogeschäft leidet in diesen Wochen, sondern auch die Abteilung "High and Heavy", die alles bewegt, was sich an Land bewegen lässt, Agrarmaschinen, Kräne, Großbagger, Panzer. "Das Problem ist, dass ich zum Beispiel einen geübten Panzerfahrer nicht ohne Weiteres an die vielen verschiedenen Autotypen heranlassen kann, weil er mit deren Handhabung nicht unbedingt die nötige Erfahrung hat", sagt Möhring. Abgesehen von solchen Fährnissen, braucht er derzeit vom Gesamthafenbetrieb täglich nur 80 bis 100 Leiharbeiter, in besseren Zeiten waren es fast 500. Aber damals lag der Autoumschlag in Bremerhaven mit 160 000 Einheiten im Monat auch fast doppelt so hoch wie jetzt.

Die guten Zeiten für Bremerhaven sind lange vorbei. Die Zeiten, als die Stadt der Hauptnachschubhafen der US-Truppen in Mitteleuropa war, als Elvis Presley 1958 auf dem Weg zu seinem Militärdienst in Hessen hier eine Massenhysterie bei den Teenagern auslöste. Als es im Schiffbau und im Hafengeschäft an der Weser nach dem Krieg endlich wieder kräftig aufwärts ging. Als es noch eine deutsche Fischereiflotte gab, die in Bremerhaven die Anker lichtete. Die Amerikaner sind längst weg, die deutschen Hochseefischer ebenfalls, und die Werftindustrie beschäftigt nach den Zusammenbrüchen großer Namen wie Rickmers oder Vulkan heute noch gut 1500 Menschen, in den 70er-Jahren waren es noch fast 25 000.

Jörg Schulz lässt sich seinen Traum nicht nehmen, dass es mit Bremerhaven wieder aufwärts geht. Daran glaubt er seit vielen Jahren. Seit 1999 regiert der Sozialdemokrat und frühere Amtsrichter die Stadt. Er hat geredet, gestritten, gekämpft und gebaut. Jetzt sieht das alles aus wie die Arbeit des Sisyphos. Doch es sieht gut aus: "Ich konnte hier in den vergangenen Jahren wirklich gestalten", sagt Schulz bei einem Blick auf den schmuck bebauten Hafenrand aus dem Fenster bei der Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung. Der Hafenrand, das ist aufpolierte Historie und futuristische Werbung. Das triste Bremerhaven hinter der Fassade steht jenseits der Hafenrandstraße. Am Hafen aber präsentiert sich das neue Einkaufszentrum Mediterraneo, das innen gestaltet ist wie der Rundgang durch eine italienische Renaissancestadt. Das SailCity-Hotel überragt den Hafenrand, es ist dem Burj al-Arab in Dubai nachempfunden. Im Sommer soll das "Klimahaus" eröffnen, eine Art Ökoerlebniswelt. Ein paar Meter entfernt wartet der "Zoo am Meer". Viele Gäste mit Geld soll die Prachtmeile an die Weser locken, Kongressbesucher und Familien: "Bremerhaven ist ein klassisches Ferienziel für den Facharbeiter aus Nordrhein-Westfalen", sagt Schulz.

Er hat Neues aufgebaut, er will die Stadt weniger abhängig vom Hafen machen, obwohl sich dessen Dominanz nur langsam zurückdrängen lässt: "Wir waren in den vergangenen Jahren Gewinner der Globalisierung", sagt er. Schulz setzt auf Tourismus, auf Forschung - und auf den Wind. Im alten Fischereihafen wächst seit einiger Zeit das wichtigste Zentrum der deutschen Offshore-Windkraftindustrie heran. Hier sollen die riesigen Windturbinen und ihre Fundamente für den künftigen Einsatz in den Windparks auf der Nordsee montiert werden. Die Unternehmen Repower und Multibrid haben Fabriken vor Ort, die Fraunhofer-Gesellschaft hat ein Institut für die Erforschung der Windkraft gegründet: "Unter normalen Umständen", sagt Schulz, "würde die Arbeitslosigkeit hier weiter sinken." Wann die Umstände wieder "normal" werden, weiß auch er nicht.

Draußen am alten Hafen steht das Deutsche Auswandererhaus, ein liebevoll gestaltetes Museum, das die historische Auswanderung aus Deutschland via Bremerhaven dokumentiert. Sieben Millionen Europäer starteten im 19. und frühen 20. Jahrhundert von hier aus per Schiffspassage in ein neues Leben, die meisten zog es in die aufstrebenden USA. Für Bremerhaven war das ein Riesengeschäft. Auch das ist vorbei. Genauso wie die goldenen Zeiten jenseits des Atlantiks.