Berlin. Hiobsbotschaft aus Wolfsburg: Der VW-Konzern steckt in der Krise und will massiv die Kosten drücken. Warum diese das ganze Land angeht.
Was bei Volkswagen passiert, hat Bedeutung weit über den Konzern hinaus. Nun bebt es bei dem Automobilriesen: Zwei inländische Werke stehen auf der Kippe. Außerdem will das Management die bis 2029 vereinbarte Jobgarantie aufkündigen, um zusätzliche Milliarden einzusparen. Das erschüttert nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die übrige Branche und die Politik. Befürchtet werden Folgen für die gesamte deutsche Volkswirtschaft. Ein Überblick über die Krise bei Deutschlands größtem Unternehmen und die möglichen Konsequenzen.
Wie groß ist VW?
Die Volkswagen AG aus Wolfsburg ist ein Unternehmen im XXXL-Format: Es gehört zu den größten Konzernen Europas, war im vergangenen Jahr mit einem Rekordumsatz von 332 Milliarden Euro der umsatzstärkste Automobilkonzern des Planeten und gemessen am Absatz (9,24 Millionen Fahrzeuge) nach Toyota weltweit die Nummer 2. Volkswagen setzt mehr Geld um, als EU-Staaten wie Rumänien, Tschechien, Finnland oder Portugal an nationaler Wirtschaftsleistung erzielen. Weltweit arbeiteten zuletzt für VW inklusive Töchtern wie Skoda oder Audi 684.000 Beschäftigte. Davon entfielen rund 200.000 auf die Kernmarke Volkswagen, 120.000 von ihnen waren in Deutschland tätig.
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Was ist das Problem des Konzerns?
Bei VW brennt es an vielen Ecken lichterloh. Die Kernmarke produziert zu teuer. Bei E-Mobilität und Software hat Volkswagen den Anschluss an die Konkurrenz verloren. Das schlägt insbesondere auf dem wichtigsten Markt China ins Kontor, wo der Absatz von Verbrennern rasant zurückgeht und die Hälfte aller Neuzulassungen inzwischen auf E-Fahrzeuge entfällt.
Das Geschäft machen aber heimische, staatlich subventionierte Hersteller. In Europa hingegen bleibt der Absatz von E-Autos wegen der hohen Preise hinter den Erwartungen zurück. Generell machen Volkswagen zudem gestiegene Materialkosten zu schaffen. Zudem verzichten viele Kunden beim Autokauf auf teure, gewinnbringende Extras oder vertagen die Neuanschaffung gleich ganz.
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Was sind die Folgen, wenn es VW schlecht geht?
Die Krise des Konzerns lässt weitere Verwerfungen befürchten. Einerseits zittern nun die Standorte, die von Schließungen betroffen sein könnten. Neben dem Stammwerk in Wolfsburg gibt es VW-Fabriken in Hannover, Emden, Osnabrück, Braunschweig, Salzgitter, Kassel, Zwickau, Dresden und Chemnitz. Eine schlechte Nachricht ist der verschärfte Sparkurs zudem für die Zulieferindustrie und andere Autohersteller. Gerät der Branchenriese unter Druck, dürfte die Krise auch andere Betriebe in der Autoindustrie erreichen. In der gesamten Branche arbeiten in Deutschland nach Angaben des Verbands der Automobilindustrie knapp 800.000 Menschen.
Der Notruf des Konzerns wirft die Frage über den Zustand der deutschen Industrie über die Autobranche hinaus auf. „Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands kommt immer mehr ins Rutschen, die deutschen Standortbedingungen sind einfach nicht mehr gut genug“, warnt die CDU-Wirtschaftspolitikerin Julia Klöckner. Die Rahmenbedingungen in Deutschland hemmten das Wachstum. „Die Energiepreise und Unternehmenssteuern sind zu hoch, Fachkräfte fehlen, zu viel Bürokratie und kleinteilige Regulierung sind nur einige Nachteile“, sagte Klöckner dieser Redaktion.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Marcel Fratzscher, sagte: „Kaum ein Unternehmen steht so sehr für Qualität und Innovation Made in Germany.“ Die fehlende Zukunftsfähigkeit Volkswagens sei jedoch primär das Resultat eigener Fehlentscheidungen und nicht die Verantwortung der Politik. „Die angekündigten Maßnahmen sind überfällig, um eine Trendwende einzuleiten und eine Krise zu verhindern. Der deutsche Staat muss sich bei dieser Erneuerung heraushalten und darf nicht den Fehler begehen, alte Strukturen zu zementieren und die notwendige Transformation zu behindern.“
Welche Rolle spielt die Politik bei VW?
Die Politik hat ein ganz besonderes Auge auf Volkswagen. Man erinnere sich nur daran, wie Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) öffentlich dagegen protestierte, als in einer Kantine des Konzerns die Currywurst vom Menü gestrichen werden sollte. Die große politische Aufmerksamkeit für das Unternehmen speist sich aber nicht nur aus der schieren Größe und wirtschaftlichen Bedeutung des Konzerns. Dem Land Niedersachsen gehören knapp zwölf Prozent der VW-Aktien, das Land verfügt zudem über ein Fünftel der Stimmrechte. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ist Mitglied im Aufsichtsrat. Durch den Stimmrechtsanteil von 20 Prozent hat das Land ein wichtiges Mitspracherecht bei grundlegenden Entscheidungen im Konzern.
Wie handelt die Politik jetzt?
Noch wird abgewartet, welches Ausmaß der Sparkurs annimmt. Ministerpräsident Weil hält Einsparungen bei VW für erforderlich. „Das Unternehmen selbst muss rentabler werden“, sagte der SPD-Politiker am Dienstag. Seine klare Erwartung sei aber, dass dies ohne Standortschließungen gehen müsse. „Das kann die allerletzte Maßnahme nur sein. Und die sehe ich einstweilen nicht.“ Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, Entscheidungen müssten in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern erfolgen und das Ziel im Blick behalten, dass Deutschland ein starker Automobilstandort bleibe. „Alle Beteiligten müssen ihrer Verantwortung für die Beschäftigten in den Standorten gerecht werden.“
Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler warnte: „Die Bundesregierung darf nicht tatenlos zusehen, wie die VW-Bosse den Konzern an die Wand fahren.“ Sie forderte Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf, einen Sondergipfel zur Zukunft der Automobilindustrie einzuberufen. „Niemand darf durch und nach dem Umbau der Industrie sozial abstürzen.“ Es brauche eine Jobgarantie in der Autoindustrie und eine Förderung der Produktion kleiner und bezahlbarer E-Autos, sagte Wissler dieser Redaktion.
Klöckner verlangt nach der Hiobsbotschaft aus Wolfsburg von der Regierung, den deutschen Unternehmen insgesamt unter die Arme zu greifen. „Der Kanzler redet die Lage schön, statt die politischen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig zu gestalten“, sagte die wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Jetzt braucht es mehr Freiräume für die Unternehmen durch Bürokratieabbau und Deregulierung, mehr Liquidität durch Steuersenkungen und einen Pakt für Leistung, der Arbeit anreizt.“
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