Hamburg. Auszubildende werden in vielen Berufen dringend gesucht. Auch ältere Quereinsteiger wie Christian Schmidt sind willkommen.
Erst mal frische Handschuhe überstreifen. Dann hebt Christian Schmidt das Fleisch auf die Arbeitsplatte, setzt das Messer an. „Das ist die Hohe Rippe, ein ordentliches Teil“, sagt er und beginnt, Roastbeef auszulösen. Es dauert nur wenige Minuten, dann liegt es vor ihm. Gelernt ist gelernt.
Seit morgens kurz vor 7 Uhr steht Schmidt im Produktionsraum der Fleischerei Hübenbecker in der Waitzstraße. Er hat die Großmarkt-Einkäufe vom Morgen in die Kühlkammer geräumt, das Fleisch für die Ladentheke portioniert, 50 Liter Hühnerfrikassee für den Mittagstisch gekocht. Was man so zu tun hat, wenn man gerade seine Gesellenprüfung als Fleischer bestanden hat. Das Besondere: Christian Schmidt ist nicht 17 oder 18 Jahre alt, sondern 42.
Hamburg-Altona: Azubi beginnt Fleischer-Lehre mit 40 Jahren – wegen Corona
„Ich arbeite gern mit Lebensmitteln“, sagt der Wahlhamburger. Vor allem dem handwerklich Hergestellten gehört seine Leidenschaft. Dass er im Fleischhandwerk gelandet ist, hat mit Corona zu tun. Schmidt, der in seinem früheren Leben schon Ausbildungen als Fischer und als Koch gemacht hat, hatte sich kurz vor Beginn der Pandemie mit einem Catering-Service selbstständig gemacht. Innerhalb weniger Wochen brachen damals sämtliche Aufträge weg und er brauchte einen neuen Job. Mitte 2020 fing er in der Fleischerei Hübenbecker an, kochte den täglich wechselnden Mittagstisch.
„Das war gut und hat Spaß gemacht, aber ich brauchte etwas für den Kopf“, sagt er. So entstand die Idee, mit 40 Jahren noch mal in die Lehre zu gehen. „Durch Corona habe ich gemerkt, dass die Gastronomie nicht krisensicher ist. Das ist bei Fleischern anders: Selbst gekocht wird immer.“ Im Herbst 2021 begann er seine Ausbildung in dem Groß Flottbeker Betrieb. Im Juli dieses Jahres war er, mit auf 18 Monate verkürzter Ausbildungszeit, fertig. Abschlussnote: 2,1. „Ich bin stolz und glücklich“, sagt er mit breitem Lächeln.
Christian Schmidt war älter als einige seiner Lehrer und drückte die Schulbank mit Menschen, die seine Kinder sein könnten. Er ist ein Ausnahmefall in der Ausbildungsstatistik, aber kein Einzelfall. Die Zahl der Ausbildungsanfänger, die 24 Jahre oder älter sind, hat sich nach den Daten des aktuellen Berufsbildungsberichts des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) seit 2007 mehr als verdoppelt – auf 13,1 Prozent im Jahr 2021. In Hamburg waren es den Angaben zufolge 1900 Männer und Frauen der insgesamt gut 10.000 Azubis des Jahres. 54 von ihnen waren 40 Jahre und älter.
Hamburg-Altona: Fischer, Koch, Fleischer – Christian Schmidt ist endlich angekommen
„Ich habe viele Pläne“, sagt Christian Schmidt. Für ihn ist es nicht der erste Neustart. Mit 17 Jahren hatte der Sohn eines Gastronomen aus der Nähe des hessischen Wetzlar eine Ausbildung als Fluss- und Seenfischer absolviert. Weil er den Betrieb nicht wie geplant übernehmen konnte, kam er nach Hamburg und jobbte im Traditionslokal Flickenschildt am Mundsburger Damm.
Seine Kochprüfung machte er als Quereinsteiger gut zehn Jahre später – und nachdem er im Wendland eine Zeit lang selbst ein Lokal betrieben hatte. Seine Cateringfirma Food Dude fing gerade an zu laufen, als Corona kam. „Das war eine Vollbremsung“, sagt er. Damals war er verzweifelt. Jetzt nennt er es einen Glücksfall für sich.
Menschen wie Schmidt werden dringend gesucht in einem Beruf mit schwierigem Stand und massiven Nachwuchssorgen. Anfang dieses Jahres gab es in Hamburg noch 86 Fleischerei-Fachbetriebe – ein neues Rekordtief. Seitdem haben in Eimsbüttel und Eißendorf zwei weitere Läden dicht gemacht. Ende September schließt auch die Fleischerei Jacob am Weidenstieg, ebenfalls in Eimsbüttel. Auch die Zahl der Auszubildenden ist seit Jahren im Sinkflug. 2023 haben gerade mal zwölf junge Männer und Frauen einen Lehrvertrag in dem klassischen Handwerk unterschrieben. Insgesamt über alle Lehrjahre sind aktuell 61 in der Ausbildung.
Fleischer-Ausbildung: Hamburger Betriebe suchen dringend Azubis
Auch Fleischermeister Dirk Hübenbecker ist von der Misere betroffen. „Die Situation war noch nie so angespannt wie jetzt. Viele Betriebe in Hamburg suchen händeringend Auszubildende“, sagt der 53-Jährige, der als Obermeister der Fleischerinnung die Branche in der Stadt vertritt. Christian Schmidt war für ihn so was wie ein Sechser im Lotto. „Er wusste, was er wollte, war von Anfang an selbstständig, hat mit angepackt und neues Wissen aufgesogen.“ Das ging so weit, dass er in der Berufsschulwoche nach dem Unterricht noch in den Laden kam und den Mittagstisch für den nächsten Tag vorbereitete.
Auch der Lehrherr ist froh, dass Christian Schmidt die Ausbildung so gut gemeistert hat. Noch froher ist er, dass er dem Betrieb als Geselle treu bleibt. Zum Ausbildungsstart in diesem Jahr hatte Hübenbecker zunächst gar niemanden für die freie Lehrstelle gefunden. Inzwischen hat sich eine junge Frau zu der Ausbildung entschlossen.
Hamburger Fleischer sieht große Chance in Ausbildungsberuf
Auch deshalb sieht Hübenbecker, dessen Vater Ralf den Betrieb 1973 gegründet hatte, in der Branche große Chancen für ältere Quereinsteiger. „Wir können Menschen, die direkt nach der Schule nicht so richtig ihren Weg gefunden haben, etwas Handfestes bieten“, sagt der Obermeister.
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Mit der Ausbildung eröffnen sich auch für Tausendsassa Christian Schmidt ganz neue Möglichkeiten. Direkt nach dem Abschluss seiner Lehre hat der Fleischergeselle die Meister-Ausbildung angefangen. Wenn alles glatt läuft, macht er schon im November die Prüfung.
„Der Abschluss fehlte mir noch in meiner Agenda“, sagt der Geselle, der mit seinem Lebenspartner und Jack Russell Paul in Stellingen lebt. Erst mal will er bei Hübenbecker im Betrieb bleiben. Aber er sagt auch: „Wenn Corona mich eins gelehrt hat, dann ist es, dass man nicht mehr so langfristig planen kann, wie man vielleicht möchte.“