Hamburg. Obermeister Dirk Hübenbecker befürchtet, dass die „Schließungswelle“ 2023 weitergeht. Was die Betriebe belastet.
In der Kühltheke liegen Hamburger Gekochte und Mortadella, Wiener und Bratwürste, zartes Schnitzel, hochwertiges Roastbeef, Filet vom artgerecht gehaltenen Haselauer Landschwein – das ganze Sortiment, sehr traditionell und appetitlich arrangiert. Immer wieder geht die Ladentür der Fleischerei Hübenbecker in der Waitzstraße auf. Vom abnehmenden Fleischkonsum ist hier nichts zu spüren. Eine Kundin kommt wegen der hausgemachten Fleischwurst und nimmt auch noch ein paar Kohlwürstchen für Grünkohl mit, ein anderer lässt sich den Mittagstisch warm in eine Tüte packen. Die beiden Verkäuferinnen haben gut zu. Von hinten zieht der Geruch von frisch Geräuchertem in das kleine Ladenlokal. „Wir machen viele unserer Wurstwaren selbst“, sagt Inhaber Dirk Hübenbecker mit dem Stolz des Handwerkers.
Einmal in der Woche ist Produktionstag. Der Fleischermeister öffnet eine Tür hinter dem Ladengeschäft. Zu fünft arbeiten sie hier Hand in Hand. Neben Dirk Hübenbecker ist auch sein Vater Rolf, 79 Jahre alt und Gründer des Familienbetriebs, mit von der Partie. Außerdem zwei Auszubildende und eine Aushilfe. „Wir beziehen unser Fleisch ausschließlich von regionalen Erzeugern“, sagt der große, kräftige Mann mit weißer Fleischerschütze. Im Räucherschrank hängen Wiener Würstchen in mehreren Etagen übereinander, im Fleischwolf wird die Rohmasse für Königsberger Klopse vorbereitet. Insgesamt verarbeiten sie an diesem Vormittag etwa 200 Kilogramm zu den bekannten Hübenbeckerschen Wurstwaren, die dann direkt in die Theke landen. „Das Rezept für unseren Kochschinken ist seit der Gründung vor fast 50 Jahren unverändert“, sagt Hübenbecker.
Fleischereien: Zahl geht kontinuierlich zurück
Die Geschäfte in einer der letzten inhabergeführten Fleischereien im Westen Hamburgs laufen. Trotzdem sieht der 56-Jährige, der als Obermeister der Fleischer-Innung die Branche in der ganzen Stadt vertritt, sorgenvoll in die Zukunft. Zum Jahresende hat wieder ein Traditionsbetrieb aufgegeben. Nach mehr als 100 Jahren gibt es die Fleischerei Hans Wagner in Eimsbüttel nicht mehr. Auch bundesweit haben zahlreiche Unternehmen dicht gemacht, unter anderem in Frankfurt, Fulda und Forchheim. „Die Schließungswelle wird auch 2023 weitergehen“, befürchtet Dirk Hübenbecker angesichts der aktuellen Wirtschaftslage.
Schon seit Jahren geht die Zahl von Fleischereien und Metzgereien von Flensburg bis Füssen kontinuierlich zurück. Fachkräftemangel und Nachfolgeprobleme machen den Handwerksbetrieben zu schaffen. Dazu die Billigkonkurrenz in Supermärkten und Discountern. Aktuell belasten die durch Inflation und Krieg massiv gestiegenen Kosten die Fachgeschäfte zusätzlich. Schon im Sommer hatte der Deutsche Fleisch-Verband Alarm geschlagen, der bundesweit 11.000 inhabergeführte Betriebe vertritt. „Vielerorts sind Unternehmen in ihrer Existenz bedroht“, hatte Hauptgeschäftsführer Martin Fuchs damals gewarnt. Inzwischen hat sich die Situation etwas beruhigt. Die Energiekosten sind weniger stark gestiegen, dazu kommen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen. „Aber die Unsicherheit bleibt. Wie dramatisch es wird, hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung in den nächsten Monaten ab“, sagt Fuchs.
Die Preise für Fleisch und Wurst sind kräftig gestiegen
Nachdem während der Corona-Pandemie mehr gekocht und teurer eingekauft wurde, schauen viele Kunden beim Lebensmitteleinkauf jetzt sehr genau auf den Preis. „Alle, die im höherpreisigen Segment arbeiten, spüren das. Die Schere geht immer weiter auseinander“, so der Branchenexperte. Die Preise für Fleisch und Wurst sind kräftig gestiegen. Auch die Handwerksfleischer haben die Preise erhöht, aber die zusätzlichen Kosten in nahezu allen Bereiche ließen sich nicht komplett auf die Verbraucherpreise umlegen. „Für die Fachbetriebe ist das eine Gratwanderung. Wir müssen damit rechnen, dass die Zahl weiter sinkt.“
Die Fleischerei Wagner an der Methfesselstraße in Hamburg hat angesichts dieser Entwicklung kapituliert. „Steigende Energiekosten, steigende Personalkosten und der nachlassende Fleischkonsum“, hatte Sandra Wagner, die den beliebten Familienbetrieb mit Ehemann Michael geführt hatte, gegenüber dem Abendblatt die Gründe für das Aus aufgezählt. Dazu kämen immer mehr Auflagen der Behörden. „Das können wir uns nicht mehr leisten.“ Via Facebook hatten sich die Wagners schon Heiligabend für die jahrelange Treue der Kundschaft bedankt, darunter bekannte Gastronomen wie Tim Mälzer und Cornelia Poletto.
Zahl der Fleischereien in Hamburg hat Ende 2022 neues Rekordtief erreicht
„Das ist sehr bedauerlich“, sagt Fleischer-Obermeister Dirk Hübenbecker. Und sicherlich nicht der letzte Hamburger Betrieb, der nicht weitermachen könne. Immer wieder höre er von Kollegen, dass sie ans Aufhören dächten. Dabei hatte die Zahl der Fleischereien in Hamburg schon Ende des vergangenen Jahres ein neues Rekordtief erreicht. Nach Angaben der Handwerkskammer waren am 31. Dezember 86 Betriebe registriert. 2012 lag die Zahl noch bei 116. Das bedeutet: In den vergangenen zehn Jahren hat jeder vierte Betrieb dicht gemacht. Noch drastischer zeigt sich die Veränderung, wenn man weiter zurückschaut. Für das Jahr 1970, also vor gut 50 Jahren, verzeichnete die Kammerstatistik noch 822 Fleischer in der Hansestadt.
Die Fleischerei Hübenbecker gibt es seit 1973. Gründer Rolf Hübenbecker ist auch mit fast 80 Jahren noch im Unternehmen. Sohn Dirk war 1994 in den Familienbetrieb eingestiegen, nachdem er zunächst eine kaufmännische Ausbildung gemacht hatte. „Aus Überzeugung“, wie er betont. Bis Ende 2021 hat das Duo noch zwei Standorte betrieben, das Stammhaus an der Nienstedtener Straße und den Standort in der Waitzstraße. Grund für die Schließung in Nienstedten war Personalmangel. „Das Hauptproblem ist, dass unserer Handwerkszunft die Anerkennung fehlt“, sagt Seniorchef Hübenbecker. „Wie soll man da junge Menschen begeistern?“
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Fleischereien: Vor allem Jüngere greifen immer häufiger zu vegetarischen Alternativen
Der Fleischkonsum geht nach Jahren des Wachstums zurück. Vor allem die Jüngeren greifen immer häufiger zu vegetarischen oder veganen Alternativen zu tierischen Produkten – aus ganz unterschiedlichen Gründen von Klimaschutz über Tierwohl bis zu immer neuen Skandalen in Mastbetrieben und auf Schlachthöfen. Fleischermeister Hübenbecker ist deshalb durchaus einverstanden mit dem Grünen- Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, der ab Sommer 2023 mit einer neuen Haltungskennzeichnung für mehr Transparenz beim Fleischkauf sorgen will. Schon länger gibt es in der Branche nach Jahren des Billigtrends immer mehr Betriebe, die auf (Bio-) Qualität und regionale Herkunft setzen. „Lieber weniger, dafür aber gutes Fleisch ist die Zukunft“, sagt auch der Obermeister.
Vielleicht ist das die längst überfällige Trendwende in einem Berufszweig, für den es längst um die Existenz geht. Denn nicht nur die Zahl der Betriebe, auch die Zahl der Ausbildungsverhältnisse ist stark rückläufig. In ganz Deutschland haben 1990 noch 3686 Fleischer und Fleischerinnen ihre Gesellenprüfung bestanden, 2010 waren es nur noch 1867, 2021 sogar nur noch 835. „Hamburg liegt da im bundesweiten Trend“, heißt es bei der Innung. 2021 gab es in der Hansestadt gerade mal 69 Fleischer-Azubis (über alle drei Lehrjahre) und 16 Fachverkäuferinnen-Azubis (ebenfalls über alle drei Lehrjahre). Zum Anmeldestatus für 2022 konnte die Innung noch keine Angaben machen. Fleischermeister Hübenbecker hat aktuell zwei Auszubildende. Aber, sagt auch er, die Suche wird immer schwieriger. Er setzt jetzt auf Quereinsteiger. „Gegessen wird schließlich immer.“