Hamburg. Bei Limonaden und Sprudel erleben immer mehr Hamburger eine Überraschung. Nicht alle Experten halten die Neuerung für sinnvoll.
Mit einem lauten Zischen wird die Flasche geöffnet. Doch der Deckel geht nicht ab, zumindest nicht komplett. Viele Hamburgerinnen und Hamburger, die in den vergangenen Monaten zu Limonaden oder Sprudel gegriffen haben, waren nicht selten genervt, statt erfrischt. Der Grund: Die Europäische Union hat 2019 angeordnet, die Umweltverschmutzung zu bekämpfen.
Und zu dieser Richtlinie gehört auch, dass Plastikdeckel von PET-Einwegflaschen spätestens ab Juli 2024 fest mit der Flasche verbunden sein müssen. Tethered Caps („angebundene Deckel“) nennen sich diese neuen Verschlüsse. Doch was bedeutet die Maßnahme für Verbraucher und hilft sie tatsächlich der Umwelt?
Flasche der Zukunft? Verbraucherzentrale: Viele empfinden Deckel als störend
Tristan Jorde leitet den Fachbereich Umwelt und Produktsicherheit bei der Verbraucherzentrale Hamburg. Er beschäftigt sich seit 30 Jahren mit produktbezogenem Umweltschutz, kennt also sowohl die Verbrauchersicht als auch die Umweltauswirkungen. Was den Verbraucher betrifft, würden die Tethered Caps eher wenig verändern, sagt er.
„Viele empfinden den neuen Deckel zwar als unpraktisch und störend, schließlich hängt er beim Trinken im Gesicht“, so Jorde. Doch die Kunden würden sich wohl relativ schnell daran gewöhnen. Auch ändere sich nichts an den Pfandregeln, das Pfand werde bei der Rückgabe mit und ohne Deckel voll ausbezahlt – also kein Nachteil für die Kunden.
Neue Flaschen: Warum der Deckel nicht mehr abgeht
Ökologisch gesehen beurteilt der Experte die Maßnahme zweischneidig. Zum einen könne man die hängenden Deckel sehr leicht abreißen und im Zweifel weiterhin in der Umwelt liegen lassen. Zudem suggeriere die Richtlinie, dass Einwegflaschen eine ökologisch sinnvolle Alternative zu Mehrweg seien. Das erinnere ihn an die sogenannte Kreislaufflaschen-Kampagne des Discounters Lidl. Umweltverbände hatten diese im vergangenen Frühjahr stark kritisiert.
Jorde sieht die Tethered Caps als eine lobbygetriebene Aktion, die PET-Einwegflaschen attraktiver machen soll. Denn er kennt eine Entwicklung, die man heute nur schwer nachvollziehen kann. Vor 30 Jahren hatte der Anteil an Mehrwegflaschen mit Mineralwasser noch bei 95 Prozent gelegen. Aktuell sind es 30 bis 40 Prozent. „Für die Umwelt wäre es viel sinnvoller, diesen Anteil zu erhöhen“, so Jorde.
Verschlusssache: Nicht alle sind vom ökologischen Sinn überzeugt
Einwegflaschen bestehen aus einem Kunststoff namens Polyethylenterephthalat, kurz PET. Der Deckel dieser Flaschen wird aus einem anderen Kunststoff hergestellt, aus Polypropylen. Im Idealfall läuft der Recyclingprozess so ab: Man entsorgt die Einwegflasche samt Deckel bei einer Pfandrückgabestelle, zum Beispiel im Supermarkt. Dort werden die Flaschen zunächst zusammengepresst.
Der städtische Entsorger schreddert anschließend die gepresste Flasche – immer noch gemeinsam mit dem Deckel. Das sogenannte Schwimm-Sink-Verfahren trennt erst jetzt die beiden Kunststoffe voneinander, denn sie besitzen unterschiedliche physikalische Eigenschaften. PET sinkt nach unten, während Polypropylen oben schwimmt. So können die Materialien einzeln weiterverarbeitet werden, etwa zu neuen Einwegflaschen oder zu Textilfasern.
Flasche mit Deckel: Laut Stadtreinigung Hamburg besser zu recyceln
„Zusammengefasst spielt es für den Recyclingprozess keine Rolle, ob man Flasche und Deckel getrennt oder verbunden entsorgt“, bestätigt Kay Goetze, Sprecher der Stadtreinigung Hamburg. Allerdings würden die Verwertungsanlagen angeschraubte Deckel viel eher recyceln können, als wenn diese lose zum Beispiel in Gewässern landeten. Weil man somit weniger Kunststoff neu produzieren müsse, begrüßt die Stadtreinigung die neue Vorschrift.
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Thomas Fischer, Leiter Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe, befürwortet die Verordnung ebenfalls. Aus Einwegflaschen würde man am häufigsten unterwegs trinken, also im Park, Wald oder am Strand. Zwar sei die sogenannte Verdeckelungsquote mit über 90 Prozent hoch, so Fischer. Dabei handelt es sich um die Zahl an Deckeln, die von den Kunden gemeinsam mit den Flaschen zurückgebracht werden. Dennoch sei die Zehn-Prozent-Quote der nicht zurückgegebenen Deckel bei 16,4 Milliarden jährlich verkauften Einwegflaschen aus seiner Sicht viel zu hoch.
EU-Beschluss: Was sagt die Bismarck Quelle dazu?
Der EU-Beschluss soll laut Fischer Verbrauchern vor allem dabei helfen, bewusster mit Plastikmüll umzugehen. Dass diese Art der Umweltverschmutzung über die Idee der hängenden Deckel beendet werde, sei aber nicht garantiert. Zu einfach könne man den Deckel abreißen, bestätigt auch Fischer. Ähnlich wie Jorde von der Verbraucherzentrale ist ihm bewusst, dass die Tethered Caps die Flasche selbst nicht ökologischer machen würden. „Das Problem bei Einweg sind nicht nur die Deckel, sondern ihre immer währende Neuproduktion nach einmaligem Gebrauch. Sie erfordert viel Energie, Rohstoffe sowie Chemikalien und belastet das Klima“, so Fischer.
Und was sagen die Getränkehersteller im Norden: Bei Hansa Mineralbrunnen (Fürst Bismarck Quelle) in Rellingen zeigt man sich verschlossen bei dem Thema Tethered Caps. Man kommuniziere dazu noch nichts, sagte eine Sprecherin des Unternehmens auf Abendblatt-Anfrage. Es gab lediglich den dezenten Hinweis, dass die EU-Verordnung ja erst im Juli 2024 greife. Eine Stichprobe unserer Redaktion im lokalen Einzelhandel ergab, dass die Deckel der PET-Einwegflaschen der Marke Fürst Bismark nicht fest verbunden sind – noch kann man hier also, ohne den Deckel im Gesicht zu haben, aus der Flasche trinken.