Hamburg. Pragmatiker sterben aus, Politik regiert wie im Proseminar. Für die Klimawende sind das keine guten Aussichten

Vor einigen Tagen erinnerte die Deutsche Presseagentur an einen Jahrestag, der fast vergessen ist. Vor 30 Jahren lösten Greenpeace aus Hamburg und Ingenieure aus dem Erzgebirge eine Technik-Revolution aus – sie entwickelten den ersten Kühlschrank, der ohne FCKW auskam, die Löcher in die Ozonschicht fraßen. Die Umweltorganisation suchte damals eine Firma, die bereit war, Testgeräte zu bauen und blitzte bei etablierten Herstellern reihenweise ab. Erst im Erzgebirge bei Foron wurde Greenpeace fündig, gemeinsam verhalfen sie der neuen Technik zum Durchbruch. Der FCKW-freie Kühlschrank wurde schnell Standard, Foron ging später trotzdem pleite.

Zur selben Zeit studierte ich in Münster und erinnere mich an die Debatten, die wir damals führten. Im Soziologie-Seminar vertraten viele die These, man benötige gar keinen Kühlschrank, eine Vorratskammer tue es auch. Ich schüttelte über sie den Kopf, genau wie über die aufkommenden Aktivisten im sprachwissenschaftlichen Seminar, die verkündeten, das generische Maskulinum sei frauenfeindlich und gehöre fortan abgeschafft.

Bei Greenpeace sucht man den Pragmatismus vergebens

30 Jahre später scheint die Politik auf dem intellektuellen Niveau damaliger Proseminare angekommen zu sein. Gendern gehört heute zum guten Ton, und Verzicht ist erste Bürgerpflicht. Den Pragmatismus früherer Jahre, die wahrscheinlich erfolgreichste Aktion von Greenpeace überhaupt für den Umweltschutz, sucht man hingegen eher vergeblich. Leider hat inzwischen die Generation der Bedenkenträger die Generation der Pragmatiker ersetzt. Wir diskutieren lieber die Frage, was gar nicht mehr geht als, was geht.

Wo sind die Umweltverbände, die Innovationen wagen statt Verbote zu predigen? Ob in Lützerath oder bei der Letzten Generation – sie kleben an ihren Parolen wie an der Straße fest und buddeln sich immer tiefer in die Schützengräben ein. Auch die Politik lässt Pragmatik vermissen – ausgerechnet Olaf Scholz, der vor Jahren zu Recht Ingenieurslösungen zum Klima- und Umweltschutz einforderte, leitet jetzt eine Bundesregierung, deren Teile fast erotische Beziehung zu Verboten hegen. Offenbar wollen die Grünen in wenigen Monaten aufholen, was Kanzlerin Merkel in 16 Jahren verschleppt und versäumt hat. Das ist nachvollziehbar – und trotzdem ist es falsch.

Maßnahmen der Umweltschützer werden immer brachialer

Die immer brachialeren Maßnahmen, wie ein Verbot von Öl- und Gasheizungen, werden das Weltklima kaum bewegen, sie können aber das gesellschaftliche Klima in seinen Grundfesten erschüttern. Denn die neuen Auflagen prasseln im Wochentakt auf die Menschen ein. Zu Habecks Plänen kommen die EU-Mindeststandards für die Energieeffizienz von Gebäuden hinzu. Millionen Eigentümern drohen teure Sanierungen, Mietern Erhöhungen. Nicht alle werden diese Vorgaben stemmen können. Manche Besitzer haben ihr ganzes Vermögen in ihre Immobilie investiert, ihnen fehlt das Geld, vielleicht müssen sie gar ihr Haus verkaufen. Das aber ist wegen der alten Technik plötzlich viel weniger wert.

Welche sozialen Verwerfungen kommen da auf uns zu? Wie fällt die Ökobilanz aus, wenn schnell noch Ölheizungen geordert oder bald funktionstüchtige Anlagen verschrottet werden? Und welche Handwerker sollen die Millionen Häuser eigentlich sanieren?

Sind Gebote und Verbote wirklich zielführend?

Das Beispiel zeigt, dass wir nicht mehr pragmatisch nach den besten, effizientesten und günstigsten Lösungen suchen, sondern die Politik glaubt, dass Gebote und Verbote, am Ende auch Verzicht, zielführend sind. Das dürfte ein klimapolitischer Irrweg sein – und eine demokratische Geisterfahrt obendrein. Mehrheiten lassen sich so nicht gewinnen.

Das Bittere daran: Über das Ziel Klimaschutz herrscht weitgehend Einigkeit. Dieser Konsens wird verspielt, wenn Politik übergriffig wird. Und wir verspielen die Chancen, die in der Energiewende liegen. Sie kann neue Techniken, neue Verfahren und neue Produkte beflügeln – aber nur dann, wenn der Staat nicht jeden Weg bürokratisch vorgibt, sondern das Klimaziel klar definiert. Wenn die Politik glaubt, alles besser zu wissen, wird es am Ende vor allem teuer und ineffizient. Die großen Erfolge haben stets Pragmatiker erzielt – es wäre dem Land zu wünschen, dass wir wieder mehr Bündnisse von Umweltschützern und Unternehmern, Tüftlern und Technikern, Politikern und Pragmatikern bekommen. Wie es gehen kann, haben Greenpeace und Foron bewiesen.