Hamburg. 130 Allnex-Beschäftigte kämpfen um ihre Jobs. Sie haben einen einflussreiche Verbündete – und einen ungewöhnlichen Plan.
- Geschäftsführung von Allnex kündigt Anfang März an, den Standort in Hamburg zu schließen
- Betroffen sind 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Chemiewerks in Wandsbek
- Die Belegschaft hat auch einen Verdacht, was wirklich hinter dem Aus der Fabrik steckt
Dass es an der Helbingstraße in Wandsbek gerade um nicht weniger als die Existenz geht, ist schon von außen zu sehen. Am Werkszaun der Chemiefabrik Allnex flattern Fahnen mit dem Emblem der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE).
Das ist höchst ungewöhnlich, die Geschäftsführung hat jedes Recht, sie entfernen zu lassen, tut das aber nicht. „Das Management weiß sehr gut, was dann erst hier los wäre“, sagt Ute Sierck, die für Allnex zuständige Gewerkschaftssekretärin.
Industrie Hamburg: Chemiewerk Allnex droht Aus – Belegschaft hat bösen Verdacht
Die Fahnen hängen da seit dem 2. März. Tags zuvor hatte Allnex Deutschland angekündigt, seinen Standort in Hamburg mit 130 Beschäftigten zu schließen. Im Juni 2024 – so der Zeitplan – soll die Produktion heruntergefahren werden, Mitte kommenden Jahres endgültig Schluss sein mit der Produktion von Kunstharzen an der Helbingstraße. Nach 90 Jahren.
Die Belegschaft tut viel dafür, dass es anders kommt. „Wir haben uns sehr schnell entschlossen für den Erhalt des Werks zu kämpfen, nicht für hohe Abfindungen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Christian Wolf. Denn es gibt den bösen Verdacht, dass das Werk nur deshalb geschlossen werden soll, um das ausgedehnte Grundstück verkaufen zu können.
Chemiewerk soll schließen – um das Grundstück verkaufen zu können?
Allnex stellt in Hamburg Komponenten für Beschichtungen, Farben und Lacke etwa von Betonböden, Containern und ICE-Züge her – und einen sehr beliebten Bastelklebstoff in der Flasche. Seit der Gründung 1933 firmierte die Fabrik unter gut zehn verschiedenen Unternehmensnamen und hatte noch mehr Eigentümer. Seit 2013 ist es Allnex, das zum thailändischen Mineralölkonzern PTT und dessen Chemiesparte PTT Global Chemicals gehört.
Im Frühjahr verkündete Allnex Deutschland, die Schließungsentscheidung sei unumkehrbar. Begründung: Das Unternehmen habe in Europa Aufträge eingebüßt. Andere Standorte auf dem Kontinent, die schon heute auch das herstellen, was aus Wandsbek kommt, sollen übernehmen. Eine Unternehmenssprecherin betonte, die endgültige Entscheidung sei noch nicht gefallen, man sei aber „wenig optimistisch, den Plan revidieren“ zu können.
Betriebsratschef: „Unsere Auftragsbücher sind voll“
Die Begründung für den Stilllegungsplan akzeptieren Wolf und die Beschäftigten nicht. „Unsere Auftragsbücher sind voll. Der Standort ist hochprofitabel. In den anderen Werken werden Investitionen in einer Höhe notwendig, die dem Investitionsstau hier in Hamburg entsprechen.“ Betriebsrat und IGBCE haben externe Berater engagiert, die einen Konzeptvorschlag für den Standort erstellen sollen.
Die Unternehmenssprecherin sagt, die Allnex-Flüssigharz-Standorte in Europa litten unter wachsender Konkurrenz aus Asien. Das Werk Hamburg habe den Nachteil, dass es direkt neben einem Wohngebiet liegt. Das mache künftige Investitionen schwieriger.
„Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ganz großer Blödsinn“
Jan Koltze, der Hamburger IGBCE-Bezirksleiter, sagt: „Eine Schließung wäre aus betriebswirtschaftlicher Sicht ganz großer Blödsinn.“ Mal ganz abgesehen davon, dass es um 130 gut bezahlte Jobs mit attraktiven Zusatzleistungen des Arbeitgebers gehe. Dass viele der Allnex-Beschäftigten gute Chancen hätten, anderswo in der Branche unterzukommen, ist für Betriebsrats- und Gewerkschaftschef kein Grund, den Kampf um den Standort aufzugeben.
Nun erhöhen IGBCE und Beschäftigte den Druck. Dabei fahren sie zweigleisig. „Voraussichtlich im September werden Gespräche über den Interessenausgleich und einen Sozialtarifvertrag beginnen“, sagt Wolf. Und dann könnte es zu Warnstreiks kommen. Das ist sogar sehr wahrscheinlich. Mit 97 Prozent ist der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder in der Belegschaft außergewöhnlich hoch.
Grundstück soll verkauft werden, aber es ist kontaminiert
Weil Warnstreiks allein vielleicht auch nichts ändern, verfolgen die Arbeitnehmer einen weiteren Plan. Sie mobilisieren einflussreiche Hamburger Politiker. Denn vieles spricht aus Sicht der Beschäftigten dafür, dass Allnex den Standort nur deshalb schließen will, um das knapp 80.000 Quadratmeter große Grundstück gewinnbringend verkaufen zu können.
Im Frühjahr gab Allnex bekannt, nach der Stilllegung solle das Werksgelände geräumt werden und bis Ende 2026 komplett von allen Bürogebäuden und Produktionsanlagen befreit sein. „Das Grundstück soll verkauft werden“, sagt Wolf. Der Haken dabei: Nach 90 Jahren Chemieproduktion ist der Untergrund belastet. Schon heute laufen Maßnahmen, um das Vordringen von Schadstoffen aus dem Boden in die Wandse zu verhindern. Laut IGBCE schätzen Experten die Sanierungskosten auf einen „hohen mehrstelligen Millionenbetrag“.
Allnex bestätigt die Verkaufspläne. Die Altlasten werden nach Angaben des Unternehmens bereits seit zehn Jahren und in enger Abstimmung mit den Behörden saniert. Das solle nach einer Räumung des Grundstücks fortgeführt werden. „Die Kosten dafür werden voraussichtlich im unteren zweistelligen Millionenbereich liegen“, so die Allnex-Sprecherin
Wie Hamburg die Schließung noch verhindern soll
In den vergangenen Woche hat Christian Wolf im Betriebsratsbüro die Fraktionschefs von SPD und CDU in der Bürgerschaft empfangen. Auch Finanzsenator Andreas Dressel, der zugleich SPD-Kreisvorsitzender in Wandsbek ist, kam zum Gespräch. Dabei ging es immer auch um die Verkaufspläne des Unternehmens. Sollen die Entscheidungsträger in der Stadt also den Allnex-Eigentümern einen Grundstücksverkauf vermiesen oder durch hohe Sanierungsauflagen finanziell unattraktiv machen – und sie so doch noch zum Umdenken bewegen? Eine Chemieproduktion jedenfalls wäre trotz der Schadstoffe im Boden weiterhin möglich, so die IGBCE.
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Gewerkschaftschef Koltze, der selbst für die SPD in der Bürgerschaft sitzt, formuliert die Antwort diplomatisch: „Ich denke, die Stadt wird großes Interesse daran haben, dass die Altlasten nicht einfach liegen gelassen werden. Sie wird ein ziemlich waches Auge auf das Grundstück haben.“
SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf sagte nach dem Treffen, es sei „unverständlich, dass ein profitabler Standort geschlossen werden“ solle. Es gebe sehr gute Voraussetzungen, die industrielle Produktion zu erhalten. Die Wandsbeker SPD hat den Senat aufgefordert, sich für den Erhalt der Allnex-Arbeitsplätze einzusetzen.
Industrie Hamburg: Viele Allnex-Azubis sind schon geflohen
Ob die kaum verhohlenen Drohungen, einen Grundstücksverkauf zu erschweren, die Zukunftsaussichten des Werks an der Helbingstraße verbessert, muss sich erst noch zeigen. Klar ist, dass es einen Teil seiner Zukunftsfähigkeit bereits eingebüßt hat. Der Großteil der Auszubildenden hat das Unternehmen verlassen und setzt die Ausbildung in anderen Betrieben fort. „Allnex-Azubis werden mit Kusshand genommen“, sagt Ute Sierck.
Christian Wolf sagt: „Wenn wir hier wirklich gehen müssen, dann wird das nicht ohne Getöse passieren.“ Und dann sagt er noch einen Satz, den sich ein Beschäftigter nur leisten kann, wenn er als Betriebsrat Kündigungsschutz hat: „Wir müssen unseren Arbeitgeber vor seiner eigenen Dummheit bewahren.“