Hamburg. Kaum jemand in Hamburg kennt die Börse so gut wie Kapitalmarktexperte Bernd Schimmer. Was er verunsicherten Kleinanlegern empfiehlt.

Es sind unruhige Zeiten für Aktionäre. Nachdem der Deutsche Aktienindex (Dax) sich von rund 14.000 Punkten zu Jahresbeginn innerhalb von knapp fünf Monaten auf mehr als 16.000 Zähler hochgearbeitet hatte, fährt das wichtigste heimische Börsenbarometer seitdem einen Zickzackkurs.

Mal über, mal unter der 16.000-Punkte-Marke. Und die eher mauen Aussichten für die Konjunktur verunsichern die Anleger. Wie geht es weiter an der Börse? Soll man noch einsteigen? Welche Aktien versprechen die höchsten Renditen? Das Abendblatt befragte dazu Bernd Schimmer, den Chef-Investment-Strategen der Hamburger Sparkasse (Haspa).

Zunächst blickt Schimmer auf die gute Performance der Aktienmärkte zurück, spricht von einem „ausgesprochen positiven Start“ ins Jahr 2023. „Für die ersten sieben Monate können wir Wertzuwächse bis in den Bereich von knapp 20 Prozent verzeichnen. Die amerikanische Technologiebörse glänzt angesichts des Booms in künstlicher Intelligenz sogar mit über 30 Prozent Kurssteigerungen.“ Allerdings gingen er und sein Expertenteam nicht davon aus, dass dieses „sehr ambitionierte Tempo“ gehalten werden könne.

Aktien kaufen? Das sagt der Haspa-Stratege

Gerade bei Dax-Unternehmen gebe es immer mehr Anzeichen dafür, dass diese ihre teilweise sehr optimistischen Gewinnschätzungen vor allem in den konjunktursensiblen Branchen nicht werden halten können. Auch die ökonomischen Daten in Europa ließen aktuell „wenig Positives für die Konjunktur gerade in Deutschland“ erwarten. „Vor diesem Hintergrund rechnen wir für die nächsten Monate eher mit zunehmenden Schwankungen am Aktienmarkt und einer Konsolidierung. Für das Jahresende halten wir nach wie vor Stände von 16.000 Dax-Punkten für realistisch“, sagt Schimmer.

Bernd Schimmer, Chef-Investment-Stratege der Haspa, kennt die Börse wie kaum ein anderer in Hamburg.
Bernd Schimmer, Chef-Investment-Stratege der Haspa, kennt die Börse wie kaum ein anderer in Hamburg. © Michael Dannenmann

Und wie geht es bis zum Sommer 2024 weiter? „Bis zum nächsten Sommer haben wir noch kein explizites Kursziel, gehen aber unverändert von einer durchschnittlichen Aktien-Rendite zwischen sechs und sieben Prozent aus. Rein mathematisch würden sich somit Kursstände von 16.700 errechnen lassen“, zeigt sich der Kapitalmarkt-Stratege zuversichtlich.

Als positiv für die Börse könnten sich im kommenden Jahr bei weiter zurückgehenden Inflationsraten mögliche Zinssenkungen seitens der Notenbanken erweisen.

Festgeld oder Aktien? Das sagt der Experte

Und in welche Branchen sollten Anleger aus seiner Sicht investieren? „Zu unseren Topfavoriten zählen weiterhin Unternehmen der Automatisierung, hier sind die Einflüsse der künstlichen Intelligenz schon heute erkennbar“, so Schimmer. Es stehe fest, dass die Digitalisierung weiter voranschreiten werde.

In diesem Zusammenhang setze er insbesondere auf Unternehmen, die mit ihrem Geschäft im Bereich der digitalen Sicherheit aktiv seien. Ein – wenn nicht der wichtigste – Megatrend sei zudem der Wandel hin zur Klimaneutralität. „Die Verfügbarkeit der hierfür notwendigen Rohstoffe ist eine Voraussetzung für eine gelungene Transformation, somit zählen Unternehmen aus diesem Bereich mittelfristig zu unseren Favoriten.“

Mittlerweile zahlen sogar Banken mit sehr hohen Bonität, zum Beispiel aus Frankreich, für ein- bis dreijähriges Festgeld mehr als vier Prozent Zinsen pro Jahr. Da stellt sich die Frage, ob Festgeld aktuell nicht die bessere Alternative zu Aktien ist. „In der Tat haben Aktien durch die Rückkehr des Zinses wieder einen ernstzunehmenden Wettbewerber“, sagt Schimmer.

Es sei positiv zu bewerten, dass man nun wieder robuste Vermögensstrukturen mit festverzinslichen Wertpapieren aufbauen könne. „Sozusagen anlegen wie früher: Aktien und Anleihen.“ Dennoch seien Aktien aus seiner Sicht renditeträchtiger, was nicht nur exemplarisch das erste Halbjahr 2023 gezeigt habe. Sondern auch der längerfristige Blick zurück untermauere diese These.

Langfristig setzt der Haspa-Stratege auf US-Aktien

Mit Blick auf die weltweiten Aktienmärkte steht für Schimmer fest, dass renditeorientierte Anleger an den USA nicht vorbeikämen. Für den amerikanischen Aktienmarkt spreche auch dessen Sonderstellung im Bereich der Informationstechnologie. Bislang enttäuschend verlaufen sei dagegen die Börse in Asien, mit Ausnahme Japans.

„Rein aus Bewertungsgründen spricht alles für Asien, dann Deutschland und drittens als deutlich teuersten Markt die USA“, sagt Schimmer. Die asiatischen Börsen wiederum hingen stark von der Entwicklung in China ab und da gebe es derzeit „ungewöhnlich viele Fragezeichen“. Alles in allem lägen die größten Chancen – aber auch Risiken – kurzfristig wohl in Asien. Langfristig spreche vieles für die US-Börsen.

Nicht wenige Kleinanleger scheuen den Kauf von Einzelaktien. Eine Scheu, die Schimmer verstehen kann und deshalb die Empfehlung ausspricht: „Grundsätzlich sind breite Indizes – und das gilt insbesondere für den Vermögensaufbau – zu bevorzugen.“ Das Risiko, in bestimmten Situationen die falschen Aktien ausgewählt zu haben, sei einfach zu groß.

„In der jetzigen Situation, wo wir kurzfristig dem Gesamtmarkt keine größeren Kurschancen einräumen, können sich für Bestandshalter mit Einzelaktien allerdings durchaus lukrative Umschichtungsmöglichkeiten eröffnen.“ Im Klartext: Wer Einzelaktien hat, sollte wachsam bleiben und auf Werte aus Branchen mit Potenzial setzen.