Hamburg. Arne Weychardt hat sich auf den Verleih von 30 Jahre alten Mercedes spezialisiert. Was hinter der ungewöhnlichen Idee steckt.

„An dem Wagen ist ein Aufkleber. Der ist nicht zu übersehen“, hatte Arne Weychardt den Treffpunkt mit Hamburgs ungewöhnlichstem Carsharing-Dienst beschrieben. Stimmt! Die Mercedes-Limousine sticht raus aus dem Auto-Einerlei in den Parkbuchten an der Großen Brunnenstraße in Ottensen.

Sattblauer Lack, fetter Kühlergrill, glänzende Chromleiste an der Seite, große Fenster zum Kurbeln. Arne Weychardt ist schon da, lehnt lässig an der Beifahrertür des „blauen Klaus“. So nennt er den Wagen. Es ist einer von zehn der Mercedes-Flotte von Rent an Oldie.de. Das Besondere: Alle sind seit mehr als 30 Jahren auf der Straße und haben gut 300.000 Kilometer auf dem Tacho. Keine Oldtimer, aber Oldies.

Carsharing Hamburg: Oldie-Verleih ist trotz Klimadiskussion beliebt

Auf den ersten Blick wirkt das Geschäftsmodell des Hamburgers wie aus der Zeit gefallen. Während es in der Autobranche angesichts von Klimakrise und steigenden Umweltauflagen um Dekarbonisierung und Digitalisierung, E-Motoren, E-Fuels und das Ende der Verbrennungsmotoren geht, betreibt Weychardt einen florierenden Verleih mit Fahrzeugen, die aus dem letzten Jahrtausend stammen.

„Gerade weil sie so alt sind, haben sie keinen CO-Rucksack“, argumentiert der 57-Jährige. Schließlich entstünden anders als bei jedem neuen Auto, das jetzt gebaut wird, bei der Nutzung der alten Schüsseln keine zusätzlichen Emissionen. „Im Prinzip ist das Recycling.“

Oldie-Carsharing: 500 Nutzer haben sich registriert

Auf jeden Fall ist es für seine Kunden ein großer Spaß. 500 Nutzer sind bei ihm registriert. Die Mercedes, übrigens alle aus der Baureihe W124, sind in technisch einwandfreiem Zustand mit sehr gepflegtem Innenraum. „Es sind unverwüstliche Autos, mit denen es sich entspannt cruisen lässt“, sagt Arne Weychardt. Alles läuft noch komplett manuell. Man dreht den Schlüssel im Zündschloss. Die Uhr im Armaturenbrett ist analog und lässt sich per Drehknopf einstellen. Es gibt Rädchen und Kippschalter, über die sich Heizung und Lüftung regeln lassen. Einen Schaltknüppel, mit dem man wirklich schaltet. Beim Einparken schaut man in den Rückspiegel oder durchs Seitenfenster statt auf einen Monitor.

Und, vielleicht erinnert sich noch jemand, das Radio hat ein Kassettenfach. Darin allerdings verbirgt sich eine Bluetooth-Option, über die sich das Handy als Freisprechanlage nutzen lässt. „Das ist moderner, als es aussieht“, sagt der Rent-an-Oldie-Gründer mit einem Augenzwinkern. Seine Wagen, allesamt Benziner, haben ein grünes Umweltsiegel (E4) und sind mit einem GPS-Tracker ausgestattet. Und noch ein Zeichen der heutigen Zeit: Anderes als zum Zeitpunkt der Herstellung üblich ist Rauchen im Innenraum grundsätzlich verboten.

Gründer ist Pressefotograf und suchte ein zweites Standbein

Gestartet hatte Arne Weychardt seinen Fahrzeugverleih vor zehn Jahren. „Ich habe damals ein zweites Standbein gesucht“, sagt der ausgebildete Fotograf, der für große Zeitungen und Magazine arbeitet. Durch den Wandel in der Presselandschaft sei es immer schwieriger geworden, lukrative Aufträge zu bekommen. „Mir wurde klar, dass es so nicht weitergeht.“ Er selbst fuhr zu dem Zeitpunkt einen Mercedes der Baureihe W124. Damals auch schon eine Entschleunigungsmaßnahme für den Vielfahrer. „Ich habe dann noch einen zweiten gekauft und überlegt, was ich damit mache.“ Daraus entstand die Idee, die Wagen zu vermieten und sich damit zusätzliche Einnahmen zu verschaffen.

Der Fotograf, der eigentlich nicht viel mit Autos zu tun hatte, arbeitete sich ein. Er sorgte dafür, dass seine Fahrzeuge technisch einwandfrei mit aktueller TÜV-Plakette und versichert waren. Und startet unter dem Namen „Rent an Oldie“. Dass das Logo an eine bekannte Spielzeugauto-Firma erinnert, ist nicht von ungefähr. Sein erster Kunde mit der Nummer 0001 war der inzwischen verstorbene Hamburger Schriftsteller und Dichter Andreas Greve. „Es hat sich dann immer weiter rumgesprochen“, sagt Arne Weychardt. Viel Werbung gemacht hat er nicht. „Aber die Mercedes haben für Aufmerksamkeit auf der Straße gesorgt.“

Cruisen im Oldie ab 35 Euro für einen halben Tag

Das Geschäft läuft ähnlich wie bei den inzwischen üblichen Carsharing-Anbietern – nur ohne App. Nach der Registrierung (über Selfie-Foto mit Führerschein) fragen die Kunden ihren Wunschtermin per WhatsApp an. Vor jeder Buchung wird eine Kaution in Höhe von 250 Euro fällig, die später mit dem Mietpreis verrechnet wird. Dann verschickt Weychardt den Standort des gebuchten Mercedes und den Code für die Schlüsselbox an der Wagentür. Und es kann losgehen.

Die Schlüsselbox lässt sich über einen Code öffnen.
Die Schlüsselbox lässt sich über einen Code öffnen. © Hanna-Lotte Mikuteit

Das Geschäftsgebiet ist in Altona, zwischen Nobistor und Hohenzollernring. Für diesen Bereich hat der Unternehmer eine Genehmigung des Landesbetriebs Verkehr, seine Mercedes als Carsharing-Wagen abzustellen. Weychardts Oldies gibt es ab 35 Euro für einen halben Tag und 60 Euro für zwölf Stunden Mietdauer. Wochenangebote gibt es auch. Für einen Kombi zahlt man 320 Euro in der ersten Woche, 250 in der zweiten und 200 in der dritten Woche. Dazu kommen allerdings noch die Kosten fürs Benzin. Nach seinen Angaben liegt der Verbrauch im Schnitt bei neun Litern auf 100 Kilometer. Für eventuelle Pannen haben alle Wagen einen ADAC-Schutzbrief. Ausgewählte Ersatzteile gibt er gleich mit, oder er schickt sie zur Not nach. „Viele Kunden haben den Ehrgeiz, kleine Probleme selbst zu lösen.“

Auch Mercedes-Werkstätten fragen den Autoschrauber

Inzwischen hat Arne Weychardt zehn Wagen im Einsatz. Der Kaufpreis ist überschaubar. Den blauen Klaus beispielsweise hat er für 600 Euro erworben. „Der fuhr allerdings auch nicht mehr“, sagt er. Letztlich fehlte nur eine Unterlegscheibe. Manche Autos bekommt er auch geschenkt. Erst vor einigen Wochen hat er zwei Mercedes aus Dithmarschen geholt. „Die waren total runtergerockt“, sagt er. Festgerostete Bremsen, ausgebautes Zündschloss, abgeklemmte Benzinpumpe. Weychardt hat beide in seiner Selbsthilfe-Werkstatt wieder auf Vordermann gebracht, mit TÜV und allem Drum und Dran.

Der Mercedes-Stern ist weg. Ein Kunde hat einen Ersatz aus Kabelbindern gebastelt.
Der Mercedes-Stern ist weg. Ein Kunde hat einen Ersatz aus Kabelbindern gebastelt. © Hanna-Lotte Mikuteit

„Inzwischen weiß ich, wie es geht“, sagt der Fotograf, der zum Autoschrauber wurde und gemeinsam mit dem Hamburger Journalisten Peter Pursche das Buch „Bring das Wrack auf Zack“ mit 28 Reparaturanleitungen für den Mercedes W124 geschrieben hat. Selbst aus der Mercedes-Werkstatt kämen manchmal Anfragen, wenn sie Probleme mit älteren Modellen haben, erzählt Weychardt. Etwa 3000 Euro investiert er im Schnitt in seine Wagen. Das Vermietungsgeschäft lohnt sich. „Ich verdiene Geld, aber ich werde nicht reich.“

Jetzt, in den Sommerwochen, sind alle Fahrzeuge im Einsatz. Vor allem für längere Urlaubsreisen werden seine Wagen gern genutzt, sagt Unternehmer Weychardt. Eine Kilometergrenze gibt es nicht. „Auf ein paar Tausend mehr kommt es ja bei meinen Wagen nicht an.“ Im vergangenen Jahr waren vier seiner Oldies parallel in Thessaloniki, Neapel, Dijon und Bordeaux. Sogar die Hamburger Hip-Hop-Band Deichkind war schon mit einem Rent-an-Oldie-Mercedes in Deutschland unterwegs.

Carsharing Hamburg: Auch Deichkind fuhr schon mit Oldie-Mercedes

Auch für die Zukunft seines Geschäftsmodells ist Weychardt optimistisch. „Wenn die Umweltauflagen es erfordern, rüste ich die Wagen so um, dass sie weiterlaufen“, sagt er. Unterstützung hat der Oldie-Fan in der Familie. Sein Sohn, 15 Jahre alt, findet die alten Auto inzwischen auch gut. „In den Ferien wollen wir zusammen an einem Wagen basteln“, sagt sein Vater.