Hamburg. Wenig bekannte Marken wie BYD und Nio haben Standorte in der Hansestadt. Die Nachfrage ist groß. Und bald kommen auch die Vietnamesen.

Erinnern Sie sich noch an die chinesische Automarke Brilliance, die im Jahr 2007 mit einer geräumigen Limousine zum Niedrigpreis nach Deutschland kam? Oder an den Billig-Geländewagen Jiangling Landwind, der 2005 hier sein Debüt feierte? Beide waren sehr schnell wieder vom deutschen Markt verschwunden, nicht zuletzt wegen katastrophaler Crashtest-Resultate.

Gut 15 Jahre später versuchen es chinesische Hersteller ein zweites Mal – nun mit Elektroautos. Modelle wie der Nio ET5, der dem Tesla Model 3 fast zum Verwechseln ähnlich sieht, und der BYD Atto 3, ein Rivale des VW ID.4, sind inzwischen auch auf den Hamburger Straßen zu sehen.

Sogar ein Autobauer aus Vietnam wird demnächst in der Hansestadt vertreten sein. „Wir gehen davon aus, dass der Hamburger Showroom im Juli 2023 eröffnet wird“, sagt eine Kundenservice-Mitarbeiterin der Firma VinFast, Tochter eines Immobilien- und Einzelhandelskonzerns mit immerhin 40.000 Beschäftigten. Am Großen Burstah sollen dann die SUV-Modelle VF8 und VF9, Letzteres ein wuchtiges Gefährt von mehr als fünf Metern Länge, präsentiert werden.

Chinesische Elektroautos in Hamburg – das sagen die Experten

BYD ist da schon weiter. „Bei uns wurden im Dezember erste Autos der Marke BYD zugelassen“, sagt Viktor Hafner, Geschäftsführer bei SPT Avior am Großmoorbogen in Neuland, einer speziell für den Vertrieb der chinesischen Elektrofahrzeuge gegründeten Tochter des Hamburger Mercedes-Händlers Sternpartner. „Seitdem haben wir insgesamt 14 Vorführwagen eingesetzt“, so Hafner. Schließlich sei das Interesse an diesen Modellen sehr groß – „auch von Unternehmen, die ihre Fahrzeugflotte damit ausstatten wollen“.

Aber auch die Öffentlichkeit sei an der Marke und ihren Produkten interessiert: „Selbst internationale Zeitungen fragen bei uns nach. Aktuell macht es jedenfalls sehr viel Spaß, BYD in dieser Stadt zu vertreten.“ Und anders als die Händler europäischer Hersteller muss Hafner die Kunden nicht einmal lange auf ein neues E-Auto warten lassen: „Beim Atto 3 ist eine Lieferzeit von acht Wochen im Moment realistisch.“

Yoga-Kurse im Auto-Showroom – bald in den Großen Bleichen?

Auch der Tesla-Rivale Nio ist schon in Hamburg präsent – bisher allerdings nur mit einem sogenannten Handover Center in Hammerbrook, wo Neuwagen ausgeliefert und nach Vereinbarung Probefahrten unternommen werden können. Mit der Zahl der Anfragen hierfür sei man „sehr zufrieden“, sagt eine Firmensprecherin. Die Eröffnung eines „Nio House“ sei für Anfang 2024 geplant.

Ein solcher Standort schafft nach Angaben des Unternehmens „Erlebnisse, die über das Auto hinausgehen“. Üblicherweise kann man dort Meetingräume buchen, eine Bibliothek nutzen, ein privates Konzert organisieren oder Yoga-Kurse besuchen. Einiges deutet darauf hin, dass das künftige Nio House Hamburg in den Großen Bleichen zu finden sein wird.

Viktor Hafner, Geschäftsführer des Hamburger Autohändlers SPT Avior, steht vor einem Auto der Marke BYD.
Viktor Hafner, Geschäftsführer des Hamburger Autohändlers SPT Avior, steht vor einem Auto der Marke BYD. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Selbst bundesweit sind die Zulassungszahlen der Newcomer noch überschaubar. So bringen es die chinesischen Anbieter BYD, Nio, Aiways und der bereits 1984 gegründete Hersteller Great Wall Motors (GWM), der einen entfernt an den VW Käfer erinnernden Kleinwagen namens „Funky Cat“ offeriert, im Zeitraum von Januar bis Ende Mai zusammen auf gerade einmal 826 Neuzulassungen.

Akzeptanz für chinesische Elektroautos nimmt deutlich zu

Schon etwas länger auf dem deutschen Markt vertreten sind die wie Volvo zur chinesischen Geely-Gruppe gehörende Marke Polestar (rund 2000 Neuzulassungen) mit einem Showroom in den Hohen Bleichen sowie MG mit dem Mutterkonzern SAIC Motor aus Shanghai (rund 6000 Neuzulassungen). Diese E-Autos, die außer dem bekannten Logo nichts mehr mit der englischen Traditionsmarke MG zu tun haben, werden unter anderem von Dello verkauft.

„Die Chinesen werden sich zu harten Konkurrenten der etablierten Autobauer entwickeln“, ist der Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer überzeugt. „In der Batterietechnologie geben sie deutschen Unternehmen Entwicklungshilfe und auch bei der Software sind sie europäischen Produzenten in vielen Dingen überlegen“, sagt der Direktor des Duisburger CAR Center Automotive Research.

Wie eine Umfrage des Neuwagen-Vergleichsportals Carwow in Deutschland jüngst ergab, würden schon 42 Prozent seiner Nutzer eine chinesische Marke für ihr nächstes Auto in Betracht ziehen. Im Dezember waren es erst 30 Prozent. Unter den Befragten, die das nicht tun würden, rangierten „politische Gründe“ und nicht etwa Qualitätsbedenken an der Spitze der Motive für die Ablehnung.

Qualität der chinesischen Elektroautos kann sich sehen lassen

„In den vergangenen drei Jahren haben chinesische E-Auto-Hersteller enorme Fortschritte im Hinblick auf die Qualität gemacht und sind heute absolut auf Augenhöhe mit Wettbewerbern aus Europa und den USA“, sagt Carwow-Deutschlandchef Philipp Sayler von Amende. „Was die Batterietechnik angeht, haben die Chinesen einen Vorsprung, weil die Regierung sehr früh auf die Elektromobilität gesetzt hat.“ Dieser Vorsprung betreffe auch die Produktionskosten.

Auffällig ist aber, dass gerade die Autos der neuen Herausforderer Nio und BYD in Deutschland gar nicht so viel günstiger angeboten werden als vergleichbare E-Fahrzeuge aus Europa oder den USA. So kostet etwa der Atto 3 immerhin 44.625 Euro, Nio verlangt für den ET5 sogar knapp 60.000 Euro.

Dudenhöffer erwartet jedoch nicht, dass es auf Dauer dabei bleibt. „Anfangs haben die chinesischen Autobauer hier umgerechnet auf die zunächst kleine Stückzahl noch hohe Kosten für Vertrieb und Werbung – und sie versuchen, trotzdem kostendeckend zu arbeiten“, erklärt der Branchenfachmann. „Aber sie haben noch viel Luft nach unten.“

Experten erwarten kräftige Preissenkung bei chinesischen Autos

Ähnlich sieht es Philipp Sayler von Amende: „Zwar versuchen chinesische Massenhersteller jetzt beim Marktstart in Europa, sich zunächst am hier üblichen Preisniveau zu orientieren. Aber gemessen an den Preisen auf ihrem Heimatmarkt haben sie Spielraum nach unten im fünfstelligen Bereich – und den werden sie, wie ich vermute, künftig auch ausspielen, um auf höhere Verkaufszahlen zu kommen.“ Schließlich ist BYD der weltweit zweitgrößte Hersteller von Elektrofahrzeugen und das Modell Atto kostet in China umgerechnet gerade einmal rund 25.000 Euro.

Auch Aurélien Duthoit, Automarkt-Analyst beim Kreditversicherer Allianz Trade (früher: Euler Hermes), weist auf die Mengenvorteile hin. So seien in China im vorigen Jahr deutlich mehr als doppelt so viele Elektroautos zugelassen worden wie in Europa und in den USA zusammen, wobei der Marktanteil der chinesischen Produzenten bei mehr als 80 Prozent liege. Duthoit hält es für ein realistisches Szenario, dass im Jahr 2030 Importe aus China schon zehn Prozent aller Neuwagen in Europa ausmachen.

Treffen dürfte das vor allem die Konzerne Volkswagen und Stellantis (Marken unter anderem Citroën, Peugeot, Opel, Fiat), erwartet Dudenhöffer. Er sagt: „Wozu die Japaner noch 20 Jahre gebraucht haben, werden die Chinesen hier jetzt in fünf Jahren schaffen.“ Und wie sehen die Perspektiven der Vietnamesen aus? „Ich glaube nicht, dass VinFast bei uns der große Durchbruch gelingt“, so der Experte.

Dem Erfolg von chinesischen Herstellern aber dürften zumindest die Crashtest-Ergebnisse nicht mehr im Wege stehen: Die Fünf-Sterne-Bestnote ist bei ihnen nun selbstverständlich.