Hamburg. Im nächsten Jahr will Nioomi schon bis zu 1000 der dringend gesuchten Spezialisten aus dem Ausland vermitteln – auch aus Russland

In deutschen Unternehmen fehlen nach Angaben des Branchenverbands Bitkom derzeit 137.000 IT-Spezialisten – und dieser Mangel dürfte sich nach Einschätzung von Experten noch verschärfen. Das erst im Januar gegründete Hamburger Start-up Nioomi will dazu beitragen, Abhilfe zu schaffen. Dazu hat das kleine Team um Firmenchef Torben Bursinski eine digitale Lösung entwickelt, die den Anspruch hat, Deutschlands „zentraler Marktplatz“ für die Suche nach geeigneten Kandidaten im Ausland zu werden.

Bursinski war in verschiedenen IT-Managementpositionen unter anderem schon für die frühere Oetinger-Tochter StoryDocks, den Mobilitätsdienstleister FreeNow und das Online-Karriereportal Xing tätig. „Bei FreeNow habe ich mit internationalen Teams zusammengearbeitet, mit Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel aus Indien, der Ukraine und Indonesien“, sagt er. „Ich habe dabei auch erfahren, welches die Hürden bei der Anwerbung weiterer Mitarbeiter aus dem Ausland sind, und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Prozess gut digitalisieren lässt.“

Hamburger Start-up will IT-Fachleute nach Deutschland holen

Einschließlich der drei Gründer – außer Bursinski sind das Jonas Schenk vom Sparkassen Innovation Hub und Georg Tavonius, früher bei Xing – hat Nioomi derzeit erst vier Festangestellte, die durch mehrere Freiberufler unterstützt werden. „Wir gestalten unsere Dienstleistung so digital wie möglich, um die Kosten für die Kunden gering halten zu können“, erklärt Bursinski.

Und so funktioniert das Ganze: „Unsere Software sucht in den sozialen Netzen nach Profilen von internationalen IT-Fachkräften, die an einem Jobwechsel und einem Umzug nach Deutschland interessiert sind.“ Zudem sei der Nioomi-Internetauftritt so optimiert, dass er in Suchmaschinen wie Google leicht gefunden werden kann.

„Dafür sorgen unter anderem unsere ,Whitepaper‘“, sagt der Nioomi-Chef. Das sind kompakte Erklärtexte, in denen zum Beispiel dargestellt wird, wie die Wohnungssuche in Deutschland abläuft, wie das Gesundheitssystem organisiert ist und welche Regeln es zur Elternzeit gibt.

Fachleute aus knapp 40 Ländern haben sich schon registriert

„Viele der internationalen Talente wissen gar nicht, worauf sie sich in Deutschland einlassen“, so Bursinski. „Das betrifft unter anderem die Gehaltsabzüge und Lebenshaltungskosten. Darum haben wir Rechner auf der Internetseite, mit denen man ermitteln kann, welches Bruttogehalt man benötigen würde, um sich einen bestimmten Lebensstandard leisten zu können.“

Bisher wurden von Kandidaten rund 600 Profile erstellt, von denen das Nioomi-Team die Hälfte zugelassen hat. „Wir lehnen Bewerber ab, wenn sie nicht drei Jahre relevante Berufserfahrung nachweisen können – und natürlich, wenn sie nicht wirklich IT-Kräfte sind“, sagt Bursinski.

Personen aus knapp 40 Ländern seien aktuell registriert: „Besonders stark vertreten sind Indien, Pakistan und die Türkei. Aber es sind auch relativ viele Bewerber aus Russland dabei, die das Land gern verlassen würden.“

Für Unternehmen werden bei erfolgreicher Vermittlung 6000 Euro fällig

Für die „Talente“ ist die Dienstleistung kostenlos. Die Kosten tragen – nach erfolgreicher Vermittlung – die bisher 15 Unternehmenskunden. Darunter ist die Hamburger Online-Plattform Statista, die Marktforschungsdaten aufbereitet. Nach dem ersten Arbeitstag des neuen Beschäftigten werden 6000 Euro für Nioomi fällig.

„Es kommt aber gar nicht so selten vor, dass IT-Fachkräfte, wenn sie schon einmal in Deutschland sind, noch innerhalb der sechsmonatigen Probezeit von anderen Firmen abgeworben werden“, so Bursinski. „In solchen Fällen erhält unser Kunde eine Gutschrift von 3000 Euro“ – für den nächsten Versuch mit Nioomi.

Zwar liegt die Zahl der schon abgeschlossenen Einstellungen bisher erst im einstelligen Bereich. Das hängt aber auch mit der teils langen Vorlaufzeit zusammen: „Um ein Visum zu bekommen, braucht man einen Termin bei der deutschen Botschaft in dem jeweiligen Staat. Bis dahin können Monate vergehen.“

Im nächsten Jahr will Nioomi schon 300 Firmenkunden haben

In besonders komplexen Fällen bietet Nioomi eine Kooperation mit dem Hamburger Unternehmen Localyze an, das sich darauf spezialisiert hat, ebenfalls mit digitalen Hilfsmitteln bürokratische Hürden beim Umzug neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Deutschland zu überwinden. Eine echte Konkurrenz zu Localyze besteht laut Bursinski nicht: „Deren Dienstleistung beginnt an dem Punkt, an dem man bereits einen neuen Beschäftigten gefunden hat.“

Für die nächste Zeit hat der Nioomi-Chef recht konkrete Entwicklungspläne: „Unser Ziel ist, die Zahl der Firmenkunden in diesem Jahr auf 100 zu steigern und im nächsten Jahr auf 300.“ Dabei sei hilfreich, dass alle drei Gründer über 40 Jahre alt seien und damit aus ihrer eigenen Berufspraxis schon über ein „breites Netzwerk an Kontakten“ verfügten.

Zudem sei der Markt groß: „Wir zielen auf Unternehmen mit mindestens 250.000 Euro Jahresumsatz. Damit kommen 30.000 Firmen in Deutschland infrage.“ Das Planziel für die Zahl der Vermittlungen im kommenden Jahr liege bei 900 bis 1000, „wofür wir schätzungsweise 20.000 Talente im Pool benötigen“. Mit einer stark wachsenden Geschäftstätigkeit muss auch das Nioomi-Team selbst größer werden: Für 2024 sind zehn Festangestellte vorgesehen. Um öffentliche Förderung will man sich demnächst bewerben. Es ist aber derzeit nicht geplant, Investoren hereinzunehmen.

Die umworbenen Fachkräfte gehen häufig auch nach Kanada oder Australien

Von dem vor wenigen Tagen vom Bundestag beschlossenen Fachkräfteeinwanderungsgesetz verspricht sich Bursinski keine wesentlichen Erleichterungen. „Für den IT-Bereich wird sich vermutlich nicht so viel verändern“, sagt er. „Zwar soll es für Fachkräfte mit Berufserfahrung auch die Möglichkeit geben, ohne einen anerkannten Abschluss nach Deutschland zu kommen, aber ich kann noch nicht einschätzen, ob das für unsere Kunden interessant ist.“

Natürlich werden IT-Fachleute aus Asien oder Osteuropa nicht nur von deutschen Firmen umworben. Der Wettbewerb unter den Einwanderungsländern sei groß: „Kanada ist sehr gefragt, ebenso Australien und die USA. In Europa ziehen IT-orientierte Standorte in Spanien und Portugal, aber auch in Irland viele Spezialisten an.“

Wünschenswert wäre ein gemeinsamer europäischer Ansatz für die Suche nach internationalen IT-Fachkräften, findet Bursinski, „aber so etwas ist im Moment nicht in Sicht.“