Hamburg. Der Hamburger Chemiehändler will bis 2030 deutlich nachhaltiger werden. Personell gibt es zudem eine historische Veränderung.

Früher war die Arbeit eines Chemikalienhändlers relativ einfach. Er kaufte Methanol und andere Substanzen, verkaufte sie weiter – und lebte (zumeist) nicht schlecht von der Handelsspanne. Doch so simpel ist das Geschäft nun nicht mehr. Klassische Chemikalien sind in der Herstellung besonders energieintensiv und teuer: ein Prozess, bei dem viel klimaschädliches CO2 entsteht und der deshalb – wie die Chemie insgesamt – immer negativer beäugt wird.

Das weiß auch Stephan Schnabel, der Chef des weltweit größten, konzernunabhängigen Chemiehändlers, der Helm AG. Deshalb setzt der Enkel des Gründers nun auf andere Wege, spricht im Abendblatt von einer „neuen strategischen Ausrichtung“ des mehr als 70 Jahre alten Unternehmens. Schnabel investiert – und zwar kräftig. Allein 2022 nahm das Hamburger Familienunternehmen 105 Millionen Euro vor allem für den Kauf von Beteiligungen in die Hand – das entspricht fast dem kompletten Jahresüberschuss.

„Wir wollen und müssen uns wandeln“, sagt Schnabel. Das Unternehmen, dessen Geschäft aktuell auf drei Sparten fußt (Chemikalien, Pflanzenschutz/Dünger sowie Pharmazeutika), wird Stück für Stück umgebaut. Frisches Geld soll möglichst nur noch in nachhaltige Projekte und Produkte fließen. „In den Kauf einer alten Chemieanlage würde ich nicht mehr investieren“, sagt Schnabel. Stattdessen suchen die Hamburger neue Spielfelder, mit denen sich der Umsatzanteil der klassischen Chemie zurückdrängen lässt.

Handyhüllen aus Biomasse – Hamburger Helm AG hat eine neue Idee

Stephan Schnabel holt sein Smartphone aus der Tasche, zeigt auf die durchsichtige Schutzhülle. „Dafür werden wir in Zukunft mit einem Partner den Rohstoff herstellen“, sagt er stolz. Das Besondere: Die biegsame Handyhülle wird dann nicht mehr aus klassischem, klimaschädlichem Plastik, sondern quasi aus Biomasse bestehen.

In einem komplizierten Verfahren wird pflanzlicher Zucker fermentiert, und es entsteht ein Stoff, der nicht nur zur Produktion von Handyhüllen, sondern auch in der Bekleidungs- und Automobilproduktion zum Einsatz kommen kann. Aktuell bauen die Helm AG und ihr Partner eine große Anlage zur Produktion des Plastikersatzes in den USA. 93 Prozent CO könnten so eingespart werden, sagt Schnabel.

Die klassische Chemie wird zwar noch sehr lange das Geschäft der Hamburger dominieren. Und der Anteil nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen am Gesamtumsatz von rund acht Milliarden Euro (2022) ist derzeit verschwindend gering. Aber nun ist der Startschuss für den Wandel gefallen. Aktuell arbeitet die Helm AG mit Hauptsitz in Hammerbrook an ihrer Strategie 2030.

Chemiekeule aufs Feld – das will die Helm AG ändern

Schon bald will man klar definieren, wie hoch die Anteile „grüner“ Projekte am Gesamtumsatz bis 2030 sein sollen, der im vergangenen Jahr um mehr als 30 Prozent zugelegt hat. Auch der Jahresüberschuss konnte sich 2022 mit 115 Millionen Euro mehr als sehen lassen – immerhin war dies der zweitbeste Wert der Firmengeschichte nach 2021 (120 Millionen Euro).

Doch Schnabel sieht seit Ende 2022 einen Rückgang des klassischen Geschäfts. Er wäre für 2023 bereits mit einem Umsatz zwischen sechs und sieben Milliarden Euro sowie einer Gewinnhalbierung zufrieden. „Die komplizierte Konjunkturlage, die Kostenprobleme und sinkende Nachfrage der Industrie machen uns aktuell sehr zu schaffen“, sagt der Helm-Chef. Und trotz der schwierigen Lage müsse genau jetzt „nachhaltig umgesteuert“ werden.

CO2 in der Chemie reduzieren – das ist der Plan der Helm AG

Neben Handyhüllen aus Biomasse haben die Hamburger 2022 auch in die weltweit größte Agrar-App zur Erkennung von Pflanzenkrankheiten investiert. Damit kann man Mangelerscheinungen und Krankheiten frühzeitig aufspüren und dagegen vorgehen. Der flächendeckende Einsatz von Pflanzenschutzmitteln könnte auf diesem Weg begrenzt und ökologische Alternativen punktuell verwendet werden.

Dazu passt auch die Helm-Beteiligung an der britischen Firma Unium Bioscience, die sich auf ökologisch verträglichen Pflanzenschutz spezialisiert hat. Rund 20 Produkte haben die Briten mittlerweile in ihrem Portfolio. Das Ziel: Weniger ökologisch bedenklichen Stickstoff und Phosphor in die Umwelt zu bringen.

Beim Blick in die Zukunft, auf den Umbau der Helm AG, schaut Stephan Schnabel auch in die Vergangenheit, spricht über die Arbeit seines Vaters und Großvaters. „Mein Opa hat in den ersten Jahrzehnten aus einer kleinen Firma ein großes Unternehmen gemacht“, sagt er. „Mein Vater hat vor allem auf immer neue und gute Partnerschaften mit anderen Firmen gesetzt.“ Und er selbst? „Mir geht es jetzt darum, einen positiven Einfluss auf unseren Planeten zu nehmen.“

Sicherlich ein ambitioniertes Ziel für einen Chemiekonzern. Doch nicht nur mit Blick auf den Klimawandel und die Probleme der klassischen Industrie, von der die Helm AG abhängig ist, dürfte an diesem Weg nichts vorbeiführen. Denn auch beim immer härter werdenden Kampf um begehrte Fachkräfte und guten Nachwuchs könnte das Unternehmen massive Probleme bekommen, wenn es sich nicht schnell und dauerhaft wandelt.

Helm AG: Dieter Schnabel verlässt den Aufsichtsrat

Klassische, ökologisch bedenkliche Chemie und eine junge Generation, die sich zu Recht große Sorgen um ihre Lebensgrundlage mit Blick auf den Klimawandel macht – das passt nicht zusammen. „Unsere neue strategische Ausrichtung wird uns auch bei der Stellensuche helfen“, davon ist Stephan Schnabel überzeugt.

Auf die intensive Unterstützung durch seinen Vater Dieter kann er bei seinen weiteren Plänen nicht mehr zählen. Der heute 76-Jährige hatte den Chefsessel zwar schon 2012 geräumt, war aber weiterhin im Aufsichtsrat aktiv. Nun hat er auch das Kontrollgremium verlassen und den Vorsitz an die Finanzchefin der Otto Group, Petra Scharner-Wolff, abgegeben.

Damit geht eine Ära zu Ende, denn Dieter Schnabel startete bereits als Jugendlicher im Alter von 16 Jahren im väterlichen Betrieb mit kleineren Arbeiten, war später fast 30 Jahre lang Vorstandschef. Ratschläge am Telefon oder beim gelegentlichen Mittagessen wird er Sohn Stephan vielleicht noch geben. Und dennoch: Die neue Ära unter Schnabel junior beginnt jetzt erst richtig.