Hamburg. Gibt es Starts und Landungen ab Mitte Juni auch nach 24 Uhr? Fluglotsengewerkschaft warnt vor massiven Verspätungen.

Gründe für Flugstreichungen und Verspätungen im Luftverkehr gibt es viele – das Wetter, Streiks, technische Probleme, Personalengpässe. In einigen Tagen kommt eine weitere Ursache hinzu, die sich auch am Hamburger Flughafen auswirken dürfte: Die Nato-Luftwaffen-Großübung „Air Defender 23“ vom 12. bis zum 23. Juni.

Mit 250 militärischen Flugzeugen sowie 10.000 teilnehmenden Soldaten ist es die größte Übung zur Verlegung von Luftstreitkräften seit Bestehen der Nato – und diesmal ist Deutschland der Gastgeber. Hamburg liegt mitten zwischen den drei für die Übung ausgewiesenen Lufträumen.

Wegen Nato-Manövers: Hamburg will Nachtflugverbot lockern

Einer davon überdeckt Schleswig-Holstein sowie die Nordsee und zieht sich an der niederländischen Grenze herunter, der zweite liegt über Ostdeutschland von der Ostsee bis an die tschechische Grenze und der dritte über der Pfalz und Baden, womit er die von Ziviljets viel beflogenen Routen zu spanischen Urlaubsgebieten kreuzt. Diese Räume werden nach Angaben der Bundeswehr „zeitversetzt“ für bis zu vier Stunden täglich militärisch genutzt „und stehen in diesem Zeitfenster dem zivilen Luftverkehr nicht zur Verfügung“.

Obwohl der Beginn des Großmanövers, das bereits 2018 beschlossen wurde, nun kurz bevorsteht, herrscht noch immer Unklarheit darüber, wie stark es den Linienflugbetrieb stören wird. „Es gibt keine Erfahrungswerte für eine Übung dieser Größenordnung“, hieß es dazu am Flughafen Hamburg. „Beeinträchtigungen des zivilen Luftverkehrs werden wohl nicht vermieden werden können, aber die Auswirkungen der militärischen Übung auf den ohnehin hochbelasteten deutschen Luftraum sollen zumindest reduziert werden.“

Zwar gibt sich die Bundeswehr besondere Mühe, das Thema herunterzuspielen. Jüngste Studien hätten ergeben, dass mit keinen Flugausfällen zu rechnen ist, sondern höchstens mit Verzögerungen im Bereich von wenigen Minuten, hatte der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, vor einigen Tagen gesagt.

Fluglotsen befürchten bis zu 50.000 Minuten Verspätungen pro Tag

Doch im Kreis der Fluglotsen kann man diese Prognose überhaupt nicht nachvollziehen. „Die Militär-Übung Air Defender wird natürlich massive Auswirkungen auf den Ablauf der zivilen Luftfahrt haben. Gegenteilige Behauptungen sind wirklichkeitsfremd und entbehren jeder Grundlage“, kontert Matthias Maas, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF).

Aus Simulationen der Deutschen Flugsicherung ergebe sich, dass mit Gesamtverspätungen von bis zu 50.000 Minuten pro Tag gerechnet werden muss, so Maas. Darüber hinaus werde erwartet, dass täglich bis zu 100 zivile Flüge ihr Ziel nicht bis zur Nachtschließung der jeweiligen Flughäfen in Deutschland erreichen – und sie damit womöglich auch am Folgetag nicht rechtzeitig am geplanten Ort zur Verfügung stehen.

Bundesministerien empfehlen Verkürzung der Nachtruhe an Flughäfen

„Jeder Flughafen mit Nachtflugbeschränkung, an dem es schon bisher in bestimmten Situationen Probleme wegen der Betriebszeiten gibt, wird während der Übung in dieser Weise betroffen sein“, sagt Maas dem Abendblatt. Hamburg gehört zu Flughäfen mit solchen Beschränkungen. Hier können gewerbliche Starts und Landungen zwischen 23 und 24 Uhr nur bei „nachweislich unvermeidbaren Verspätungen“ erfolgen, nach Mitternacht sind Linienflüge nur mit einer Ausnahmegenehmigung durch die Umweltbehörde zulässig. Im April mussten immerhin 41 Flüge von der Verspätungsregel zwischen 23 und 24 Uhr Gebrauch machen, im März waren es 48.

Um die Auswirkungen der Militärübung auf die Flugpläne der Airlines in Grenzen zu halten, zeichnet sich nun eine vorübergehende Ausweitung der Flughafen-Betriebszeiten ab. „Wir sind mit den Landesluftfahrtbehörden dazu im Gespräch, dass bei solchen Flügen, die aufgrund der Militärübung abends verspätet sind, über die bestehenden Betriebszeiten hinaus Starts und Landungen möglich sein sollen, um den Luftverkehr stabil zu halten“, sagt Alexander Klay, Sprecher des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL).

Wirtschaftsbehörde hält Ausweitung der Flughafen-Betriebszeit für sinnvoll

Nach Angaben der für den Flughafen zuständigen Hamburger Wirtschaftsbehörde ist dort am Donnerstag ein gemeinsames Schreiben des Bundesministers für Verkehr und des Bundesministers für Verteidigung eingegangen, in dem es heißt, aus Sicht des Bundes bestehe ein „besonderes öffentliches Interesse“ am Ausgleich der „temporären Störung des zivilen Luftverkehrs“ durch die Übung. Dazu sei „die Ermöglichung von Starts- und Landungen auch außerhalb der normalen Betriebszeiten ein wesentlicher Beitrag.“

Auch wenn die Wirtschaftsbehörde noch keine entsprechende Entscheidung getroffen hat, dürfte sie der Empfehlung der Bundesministerien wohl folgen. Denn wie ein Sprecher der Behörde sagte, ist es auch aus ihrer Sicht „in jedem Fall sinnvoll und geboten, mit einer Ausweitung der Flugzeiten auf die außergewöhnlichen Umstände zu reagieren, um die Einschränkungen für Fluggäste so gering wie möglich zu halten“.

Wegen Nato-Manövers: Fluglärmschützer kritisiert Aufweichung des Nachtflugverbots

Martin Mosel, Vorsitzender des Dachverbands der Bürgerinitiativen und Vereine für Fluglärm-, Klima- und Umweltschutz (BIG-Fluglärm Hamburg), kritisiert eine – wenn auch nur vorübergehende – Aufweichung des Nachtflugverbots. Er hält eine solche Regelung für ungerecht: „Warum sollen nur diejenigen, die am Boden bleiben, die Einschränkungen durch die Übung tragen, und nicht die Menschen, die fliegen?“

Für den Stuttgarter Flughafen hat das baden-württembergische Verkehrsministerium bereits beschlossen, für die Dauer der Übung Ausnahmen vom Nachtflugverbot bis spätestens 2 Uhr zuzulassen.

Derweil möchten die Fluglotsen jedenfalls nicht die Schuld zugeschoben bekommen, wenn es massive Probleme wegen „Air Defender 23“ gibt. Angesichts der politischen Lage mit dem Ukraine-Krieg und weiteren Krisen sei man zwar der Auffassung, dass eine solche Übung notwendig ist und für die Nato einen hohen Erkenntniswert hat, sagt der GdF-Vorsitzende Maas. Er fordere aber das Bundesverteidigungsministerium auf, „die Passagiere und Airlines, die es in großer Zahl betreffen wird, hinsichtlich der Folgen für den Luftverkehr nicht in einer falschen Sicherheit zu wiegen.“