Hamburg. Größtes Nato-Luftmanöver aller Zeiten dauert zwölf Tage und führt zu Einschränkungen der zivilen Luftfahrt. Auch auf dem Flughafen Hamburg.

Die Bundeswehr bereitet sich für die Nato auf eine der größten Übungen ihrer Geschichte vor – und ihre Auswirkungen werden insbesondere im Norden spürbar sein: Vom 12. bis 24. Juni trainieren bis zu 10.000 Übungsteilnehmer aus 24 Nationen mit 220 Luftfahrzeugen unter der Führung der Luftwaffe komplexe Operationen im europäischen Luftraum. „Air Defender 23“ ist der Name dieser größten Flugoperationsübung der Nato seit Gründung des Verteidigungsbündnisses vor knapp 74 Jahren.

Die verbündeten Streitkräfte trainieren die internationale Verteidigung gemeinsam in einem realen Übungsraum. Das Prinzip „Train as you fight“ bedeutet, dass Übungen möglichst real gestaltet werden müssen, um optimal auf den Ernstfall vorbereitet zu sein, heißt es von der Bundeswehr. Die konkreten Vorbereitungen in Schleswig-Holstein haben bereits begonnen.

Bei 250 täglich geplanten Starts liegt es auf der Hand, dass auch der zivile Luftverkehr beeinträchtigt wird. Zudem dürfte es deutlich mehr Fluglärm geben. Drei der fünf Standorte, von denen aus die Kampfflugzeuge, Drohnen, Hubschrauber und andere Militärflugzeuge starten, liegen im Norden: Es sind Jagel (Kreis Schleswig-Flensburg) und Hohn (Kreis Rendsburg-Eckernförde) in Schleswig-Holstein sowie Wunstorf nordwestlich von Hannover in Niedersachsen.

Auch zu den drei Hauptdrehkreuzen zählen Schleswig/Hohn und Wunstorf. Hier könnte es laut werden. Die Triebwerke von Kampfjets sind aufgrund ihrer Bauweise deutlich lauter als die von Passagiermaschinen. „Weil Air Defender so groß angelegt ist, wird es notwendigerweise zu einem erhöhten Luftaufkommen und damit auch zu erhöhtem Fluglärm im Juni 2023 kommen“, heißt es von der Luftwaffe.

Nato-Manöver: Luftraum für zivile Jets stundenlang gesperrt

„Kunden, die in der Zeit den Flugverkehr nutzen, werden sich voraussichtlich auf Einschränkungen einstellen müssen“, bestätigt eine Pressesprecherin der Deutschen Flugsicherung (DFS) dem Abendblatt. Die DFS ist zuständig für die Kontrolle und Koordination des Flugverkehrs im deutschen Luftraum. Die Bundeswehr will Beschränkungen für den zivilen Flugverkehr und die Passagiere sowie für die Bevölkerung bei der Luftwaffenübung „so gering wie möglich“ halten. So werden die drei Luftübungsräume nur zeitversetzt für zwei bis vier Stunden täglich militärisch genutzt und stehen in diesem Zeitfenster dem zivilen Luftverkehr nicht zur Verfügung.

Im Norden Schleswig-Holsteins dürfte die Belastung am größten sein.
Im Norden Schleswig-Holsteins dürfte die Belastung am größten sein. © HA Grafik | Frank Hasse

Nach aktuellen Planungen der Luftwaffe wird der Übungsraum Nord Ost zwischen 16 und 20 Uhr für die militärische Nutzung zeitweise reserviert sein. Am Wochenende und nachts wird nicht geflogen. Bereits im Mai beginne die ersten Nationen, ihre Luftfahrzeuge und Einheiten nach Deutschland zu verlegen. Unter anderem nehmen Eurofighter und Tornado-Kampfjets an der Übung teil.

„Wir gehen davon aus, dass es zu Einschränkungen im Luftverkehr kommen wird“

Die Verantwortlichen am Flughafen Hamburg haben noch keine Informationen, wie sich die Einschränkungen auf die geplanten Starts und Landungen in Fuhlsbüttel konkret auswirken werden. Aber: „Wir gehen davon aus, dass es zu Einschränkungen beim Luftverkehr kommen wird“, sagt auch Julia Fohmann-Gerber, Sprecherin des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft e. V., auf Abendblatt-Anfrage. Bald wird man mehr wissen.

Derzeit laufen demnach Simulationen der Deutschen Flugsicherung zusammen mit Eurocontrol. Sie werden noch im April fertig sein. „Wenn diese abgeschlossen sind, wird es genauere Informationen geben“, so Fohmann-Gerber. Dann ist die Detailplanung möglich.

Die Nato-Übung liegt zeitlich vor der Schulferienzeit, allerdings starten Mitte Juni die ersten Sommerurlauber in die Ferienflieger. „In enger Zusammenarbeit mit den für die Flugsicherheit zuständigen Behörden, den Fluglinien sowie den zivilen Flugplätzen werden Abläufe und Verfahren derzeit optimiert, um die Auswirkungen auf den zivilen Flugverkehr weitestgehend zu minimieren“, heißt es von der Luftwaffe. Der unmittelbare Flugbetrieb zu den großen zivilen Flughäfen in Deutschland werde nicht gesperrt, es könne aber zu zeitlichen Verschiebungen kommen, so die Luftwaffe.

Bundeswehr verspricht: Belastungen so gering wie möglich

Sie will auch die Belastung durch Fluglärm so gering wie möglich halten, beispielsweise durch die Nutzung von Luftraumkorridoren über dünn besiedelten Gebieten, wie es heißt. Auch werden die Übungsgebiete weiträumig verteilt und zeitlich gestaffelt, um punktuelle Belastungen auszuschließen. Durch die Nutzung von Nord- und Ostseegebieten entlaste man die Lufträume über bewohntem Gebiet.

Ein Kampfflugzeug vom Typ Eurofighter Typhoon der Luftwaffe
Ein Kampfflugzeug vom Typ Eurofighter Typhoon der Luftwaffe © dpa | Christophe Gateau

Die jeweiligen Übungsgebiete erstrecken sich zum großen Teil über Nord- und Ostsee, jedoch auch über Teile von Schleswig-Holstein, Bremen und Niedersachsen. „Gänzlich verhindern lässt sich der Fluglärm nicht“, so die Luftwaffe. Ein Bürgerservice zum Fluglärm wird unter der kostenlosen Telefonnummer 0800-8620730 (Mo–Do 8-17 Uhr, Fr 8–12.30 Uhr) angeboten.

Airlines und Flughäfen melden Bedenken gegen das Manöver an

„Wir fliegen an zehn Tagen im gesamten Übungszeitraum. Zehn von 365 Tagen. Ich denke, das ist ein hinnehmbarer Anteil für die Verteidigung unser aller Freiheit und Demokratie“, sagt der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz. Die deutsche Luftverkehrsbranche hatte mit Blick auf das Manöver Bedenken geäußert – wegen des ohnehin schon hoch belasteten deutschen Luftraums.

Gerhartz: „Die Luftbewegungen, die wir täglich haben, werden überwiegend über Nord- und Ostsee, also über den Seegebieten, stattfinden.“ Und: „Mit Air Defender 2023 zeigen wir, dass Deutschland Führung kann und wir mehr Verantwortung übernehmen.“ In Hohn bei Rendsburg schafft die Bundeswehr bereits Unterkünfte und Büros für Hunderte Soldaten – sowie eine mobile Küche.

Der Grund dafür, dass Deutschland Austragungsort für die Übung geworden ist, liegt fünf Jahre zurück. 2018 hatte sich Deutschland gemeinsam mit Nato-Partnern dazu verpflichtet, bis 2023 einsatzbereite militärische Einheiten bereitzustellen. Um dies dann nachzuweisen, sollte eine Großübung stattfinden. Daraus entstand das Projekt Air Defender 2023. Die teilnehmenden Nationen besuchten bereits die jeweiligen Standorte und prüften vor allem die Infrastruktur. Jede Nation nimmt mit unterschiedlichen Fahrzeugen an der Übung teil, die dementsprechend auch unterschiedliche Anforderungen haben.

Flugverkehr im Norden: „Übung historischen Ausmaßes“

Außerdem wurde kontrolliert, ob auch genügend Platz für Material und Personal vorhanden ist. „Es geht bei dieser Übung historischen Ausmaßes um glaubwürdige Bündnisverteidigung. Die Nato ist ein absolut defensives Bündnis, aber wir müssen jedem zeigen: Wenn es darauf ankommt, sind wir auch in der Lage, unsere Werte – Freiheit und Demokratie – in dieser Allianz zu verteidigen“, so Gerhartz.

Das Übungsszenario der Nato basiert auf der Beistandsverpflichtung, festgehalten in Artikel 5 des Nato-Vertrags: Wird ein Mitglied der Nato militärisch angegriffen, wird dieser Angriff als ein Angriff gegen alle Mitgliedsstaaten gesehen, und es muss Beistand geleistet werden. Doch vor allem soll die Zusammenarbeit zwischen Nationen und Soldaten verbessert werden, und gleichzeitig will man Stärke als Bündnis zeigen.

Die USA haben bei der Übung eine zentrale Rolle. Sie beteiligen sich den Angaben zufolge mit etwa 100 Flugzeugen und circa 2000 Soldaten. Der für den Luftraum zuständige Teil der Nationalgarde werde Personal und Flugzeuge aus 35 US-Bundesstaaten nach Europa bringen. Nach der Invasion Russlands in die Ukraine und vor dem Hintergrund russischer Drohgebärden haben die Nato-Bündnispartner die gemeinsame Verteidigung wieder in den Mittelpunkt ihrer Vorbereitungen gestellt.