Hamburg. Die Hansestadt muss den begehrten Energieträger zum Großteil importieren. Anders werden die ehrgeizigen Ziele nicht zu erreichen sein.

Das Land Chile hat ein Bruttoinlandsprodukt von 312 Milliarden Euro. Deutschlands Wirtschaft ist mehr als zehnmal so stark. Aber der Staat an der Westküste Südamerikas hat neben dem weltgrößten Kupfervorkommen etwas, das in Deutschland rar ist, und was andere noch nicht liefern können: In Chile wird schon im industriellen Maßstab grüner Wasserstoff produziert.

Wasserstoff, der mit Strom aus regenerativen Quellen hergestellt wird, ist der Energieträger der Zukunft, mit dem Deutschland die Klimawende schaffen will. Nicht mehr fossile Brennstoffe wie Gas und Öl, sondern Wasserstoff und dessen chemische Ableger (Derivate) wie Ammoniak, Methanol oder E-Fuels sollen künftig die Wirtschaft und den Verkehr am Laufen halten. Weil bei der Verbrennung von Wasserstoff keine schädlichen Klimagase entstehen, sondern nur Wasser und Sauerstoff.

Zukunft Wasserstoff: Chile soll Hamburg bei Energieversorgung helfen

Hamburg will Hauptstadt der deutschen Wasserstoffwirtschaft werden. Zum einen weil hier viel Grundstoffindustrie sitzt, die auf hohe Energiemengen angewiesen ist, zum anderen weil Hamburg mit seinem Hafen eine bedeutsame logistische Drehscheibe für Energie ist. Und ein bedeutsamer Partner, auf den die Stadt dabei setzt, ist Chile. Dazu hat Hamburg am Donnerstag eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit mit einem der größten Forschungsnetzwerke für neue Technologien, dem Innovationszentrum der Pontificia Universidad Catolica de Chile, geschlossen. Ziel ist es, strategische Projekte zu entwickeln, die den Aufbau eines Silicon Valleys für grünen Wasserstoff fördern – vor allem, aber nicht ausschließlich in der Region Antofagasta im Norden des Anden-Staates am ehemaligen Salpeterhafen von Mejillones. Zudem sollen Lieferketten für grünen Wasserstoff von Chile nach Hamburg aufgebaut werden.

Doch warum Chile? Es gibt mehrere Regionen in der Welt, die sich für die Herstellung von grünem Wasserstoff rüsten, wie Australien, Saudi-Arabien und Nordafrika. „Aber kein anderer Staat ist bei der Wasserstoffnutzung so weit wie Chile“, sagt Matthias Bartholl, Geschäftsführer der Lother Gruppe, eines familiengeführten Hamburger Mineralölhändlers. Die Lother Gruppe hat im vergangenen Jahr beim 24-Stunden-Rennen am Nürburgring einen Rennwagen mit E-Fuels gestartet und will einer der führenden Händler für Wasserstoff-Derivate werden. „Die Nachfrage aus den Unternehmen ist riesengroß“, sagt Bartholl. „Zum Beispiel suchen die großen Reedereien wie Maersk und Hapag-Lloyd händeringend nach E-Methanol.“

Bis 2030 riesiger Bedarf an Wasserstoff

Die Bundesregierung geht in ihrer Nationalen Wasserstoffstrategie bis zum Jahr 2030 von einem Bedarf in Deutschland von circa 90 bis 110 Terrawattstunden (TWh) Wasserstoff pro Jahr aus. Ein Terrawatt entspricht einer Milliarde Kilowatt. Eine Kilowattstunde verbraucht man beispielsweise beim Kochen eines Mittagessens für die Familie. Von diesen 90 bis 110 TWh bundesweit werden auf Hamburg allein etwa vier TWh pro Jahr auf Hamburg entfallen.

Eine aktuelle Abfrage bei den größten Hamburger Industriebetrieben kommt zu noch höheren Ergebnissen. Sie gehen bis 2030 sogar von einem grünen Wasserstoffbedarf für Industrieanwendungen in Höhe von etwa 5,7 TWh pro Jahr und für den Mobilitätssektor von etwa 1,9 TWh pro Jahr aus – allein für die direkt mit dem Warenumschlag im Hafen verbundenen Verkehrsströme. Das entspricht zusammen also einem Bedarf von 7,6 Terrawattstunden pro Jahr. Schon die Transformation der heimischen Stahlproduktion hin zu einer treibhausgasneutralen Produktion wird bis 2050 über 80 TWh Wasserstoff verschlingen.

Heimische Produktion kann Wasserstoff-Bedarf nicht decken

Das sind gigantische Mengen. Und was bietet Hamburg? Auf dem Raffinerieareal in Hamburg-Neuhof hat die H&R Gruppe (Ölwerke Schindler) eine Fünf-Megawatt-Anlage installiert, die jährlich mehrere Hundert Tonnen Wasserstoff für den Eigenbedarf produzieren kann. Die Stadt Hamburg benötigt aber viel mehr: Sie hat ein Konsortium aus mehreren Unternehmen wie Vattenfall und Shell gebildet, um ab 2026 einen Elektrolyseur zur Wasserstoffherstellung mit einer Leistung von 100 Megawatt in Betrieb zu nehmen.

Doch das ändert nichts an der Erkenntnis, dass der Bedarf an Wasserstoff die heimischen Produktionskapazitäten bei Weitem übersteigt. „Wir werden, wenn wir weiter ausbauen, perspektivisch etwa ein Drittel des benötigten Wasserstoffs mit unseren Windrädern im Norden herstellen können. Zwei Drittel müssen wir aber importieren“, sagt Jan Rispens, Geschäftsführer des Clusters Erneuerbare Energien Hamburg, der die Vereinbarung am Donnerstag für Hamburg unterschrieb. „Deshalb ist Chile Schlüsselpartner für die Umsetzung von Hamburgs Wasserstoffstrategie.“

Zukunft Wasserstoff: Warum Hamburg auf Chile setzt

„Dort, im chilenischen Teil Patagoniens weht viermal so viel Wind wie bei uns in der Nordsee“, sagt Bartholl. Und dort entsteht bis 2025 ein Elektrolyseur mit einer Leistung von fünf Gigawatt, also zehnmal so groß wie der in Hamburg. Und dort gibt es bereits eine von den deutschen Unternehmen Porsche und Siemens initiierte Anlage, die jährlich 130.000 Liter synthetische Kraftstoffe produziert.

So haben sich zur Unterzeichnung mit den Chilenen eine Reihe von Unternehmern in der Handelskammer eingefunden. Zum Beispiel Joerg Bargest vom Tanklager Evos, das zusammen mit der Lother Gruppe einen Blue Hub, ein Importterminal für jährlich 75 Millionen Liter E-Fuels, aus Chile bauen will. Oder Nikolaus W. Schües dessen traditionsreiche Reederei F. Laeisz sieben Gastankschiffe unterhält, die Ammoniak transportieren und damit einen Marktanteil von 15 bis 18 Prozent hält. Auch Schües sagt: „Das ist die Zukunft.“ Und Rispens merkt an: „Mittelfristig müssen sich alle Unternehmen klimaneutral aufstellen. Im Grunde sind wir zehn Jahre zu spät. Wir haben viel Zeit verloren.“