Hamburg. Auch am Sonnabend sollen Beschäftigte bei großen Handelsketten in Hamburg die Arbeit niederlegen. Die Folgen sind überschaubar.
Mit dem Wort „Warnstreik“ verbinden viele Menschen aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Monate Begriffe wie Stillstand oder Chaos – je nach Branche. Doch wer am Freitagmittag in der Hamburger Innenstadt unterwegs war, musste vom Warnstreik im Einzelhandel der Hansestadt nicht unbedingt etwas bemerken: Bei H&M im Alsterhaus-Gebäude gab es Warteschlangen nur vor den Umkleidekabinen, obwohl der Modehändler zu den bestreikten Unternehmen gehört.
Bei Rewe in der Europa Passage ebenso wie bei Zara in der Mönckebergstraße warteten nicht auffällig mehr Kundinnen und Kunden vor den Kassen, als angesichts der wegen des Brückentags gut besuchten City zu erwarten war. Immerhin klebten vor den Eingängen der Zara-Filiale zur Spitalerstraße Plakate mit dem Hinweis „Heute Warnstreik“ und dem Logo der Gewerkschaft Ver.di auf dem Boden – und einige Meter entfernt hatten sich Streikteilnehmer in gelben Warnwesten um einen eigens aufgebauten Getränkestand versammelt.
Einzelhandel Hamburg: Warnstreiks in großen Geschäften – kaum jemand merkt’s
Dierk Böckenholt, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Nord, bestätigt den Eindruck: „Nach unseren Informationen läuft der Verkaufsbetrieb ganz normal weiter. Die betroffenen Firmen haben sich gut vorbereitet.“ Nach seiner Einschätzung wird das auch am Sonnabend nicht anders sein.
Für den Freitag und den Sonnabend hat Ver.di unter anderem Beschäftigte bei H&M, Ikea, Primark, Netto, Rewe, Zara, Kaufland und Douglas in Hamburg zu einem ersten Warnstreik in der diesjährigen Tarifrunde aufgerufen. In der ersten Verhandlungsrunde am 4. Mai hätten die Arbeitgeber für die rund 90.000 Beschäftigten der Branche in der Hansestadt ein Angebot vorgelegt, das die aktuelle Preissteigerung von 7,4 Prozent (März 2023) „nicht einmal ansatzweise kompensiert und somit zu Reallohnverlusten führt“, wie es von Ver.di heißt.
Die Gewerkschaft Ver.di fordert in Hamburg 2,50 Euro mehr Geld pro Stunde
Gefordert hat die Gewerkschaft im Tarifgebiet Hamburg eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um 2,50 Euro pro Stunde sowie ein „rentenfestes“ Mindestentgelt von 13,50 Euro pro Stunde , das also eine Rente oberhalb der Grundsicherung gewährleiste. Die Laufzeit des Tarifvertrages soll zwölf Monate betragen, außerdem will man gemeinsam mit den Arbeitgebern seine Allgemeinverbindlichkeit beantragen. Dies bedeutet, dass die tariflichen Regelungen auch für nicht tarifgebundene Unternehmen gelten.
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Aus Sicht von Böckenholt sind Einkommenssteigerungen in der geforderten Höhe „in der aktuellen Lage“ – der bundesdeutsche Einzelhandel erwartet für 2023 preisbereinigte Umsatzrückgänge von drei Prozent und das Aus für rund 9000 Läden – für die Branche „nicht darstellbar“. Sie bekommt nach Darstellung des Handelsverbands Deutschland (HDE) derzeit eine „deutliche Konsumzurückhaltung“ zu spüren.
„Es geht darum, sich auch am Monatsende den Wocheneinkauf leisten zu können“
Bezogen auf die größte Beschäftigtengruppe, Verkäuferinnen und Verkäufer mit mindestens sechs Jahren Berufserfahrung, bedeute die Ver.di-Forderung eine Einkommenssteigerung von 14,4 Prozent, sagt Böckenholt, im Durchschnitt mache sie ein Gehaltsplus von deutlich mehr als 15 Prozent aus.
„Die gestiegenen Preise für Lebensmittel und Energie wirken sich für die Kolleginnen und Kollegen viel stärker aus als für Menschen mit höheren Einkommen“, sagt dazu Heike Lattekamp, Ver.di-Verhandlungsführerin und stellvertretende Landesbezirksleiterin Hamburg. „Hier geht es schlicht und ergreifend darum, sich auch am Ende des Monats den Weg zur Arbeit oder den Wocheneinkauf leisten zu können.“
Warum die Arbeitnehmerseite das Tarifangebot als „Unverschämtheit“ sieht
Lattekamp bestätigt die Rechnung der Arbeitgeber mit Bezug auf das „Verkäufereckgehalt“, erklärt aber: „Wir schauen mit dieser Forderung auch zurück. Für 2022 gab es gerade einmal eine Tariferhöhung von 1,7 Prozent – und das bei einer enorm hohen Inflationsrate.“
In der ersten Verhandlungsrunde hatte die Arbeitgeberseite eine Gehaltssteigerung um drei Prozent sowie um noch einmal zwei Prozent zum 1. Mai 2024 zuzüglich einer Inflationsausgleichszahlung von 1000 Euro verteilt auf zwei Jahre angeboten. Die drei Prozent seien verglichen mit einer für 2023 erwarteten Inflationsrate von mehr als sechs Prozent völlig unzureichend, und die Einmalzahlung helfe den Beschäftigten nicht nachhaltig, so Lattekamp. Das Angebot sei aus der Perspektive der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einzelhandel eine „Unverschämtheit“.
Rund 700 Beschäftigte haben sich laut Ver.di an dem Warnstreik beteiligt
Mit Blick auf die Auswirkungen des Warnstreiks räumt die Gewerkschafterin ein: „Wir haben keinen Laden zubekommen.“ Dennoch sei sie „für den ersten Aufschlag sehr zufrieden“, die Beteiligung an der Aktion sei „relativ gut“ gewesen. Rund 700 Beschäftigte haben nach Angaben von Ver.di daran teilgenommen, darunter allein 100 Personen im H&M-Logistikzentrum in Allermöhe.
Immerhin scheine es, als seien Geschäfte gezwungen gewesen, früher zu schließen als üblich, so Lattekamp. Außerdem habe die Gewerkschaft ja erst für einen relativ kleinen Teil des Hamburger Einzelhandels, in rund 20 Filialen, zu der Arbeitsniederlegung aufgerufen. Am Sonnabend soll die Aktion in denselben Geschäften fortgesetzt werden.
Einzelhandel Hamburg: Montag wird wieder verhandelt – droht danach ein großer Streik?
Die Verhandlungen im Einzelhandel werden in zehn Tarifgebieten regional geführt. Insgesamt arbeiten im Einzelhandel in Deutschland mehr als 3,1 Millionen Beschäftigte. Für rund zwei Drittel von ihnen richtet sich laut dem HDE die Vergütung direkt oder indirekt nach dem Branchentarif.
Zur nächsten Verhandlungsrunde für Hamburg treffen sich die Tarifparteien am Montag. Womöglich kommt es danach ja doch noch zu Streiks, deren Auswirkungen stärker wahrgenommen werden.