Hamburg. Die Art-Invest Real Estate hat viele alte Gebäude revitalisiert. COO Ferdinand Spies sieht enorme Möglichkeiten beim Bauen im Bestand.
Wer den klimapolitischen Sonntagsreden lauscht, hört viel von Klimaschutz und grauer Energie. 40 Prozent, so zeigen Studien, des CO2-Ausstoßes erfolgt über Gebäude. Und da wiederum ist der Bau besonders umweltschädlich. Ein beträchtlicher Teil der Klimabilanz wird schon auf den Baustellen verhagelt: So machen die CO2-Emissionen für den Bau eines Gebäudes einen großen Teil der Gesamtbilanz aus: Eine Faustformel besagt, dass der Bau so belastend ist, wie ein Gebäude rund 25 bis 50 Jahre zu betreiben. Das relativiert nicht nur alle Energieeinsparauflagen, sondern sendet eine klare Botschaft: Beendet das Abreißen.
Im Podcast „Was wird aus Hamburg“ weisen fast alle Gäste darauf hin, dass kein Gebäude mehr fallen soll. In der Hamburger Realität aber bleibt die Abrissbirne ein ständiger Begleiter. Nach Empfehlungen des Umweltbundesamts sollen Bestandsgebäude erhalten und energetisch optimiert werden. Immerhin: Da tut sich was.
Viele alte Gebäude werden derzeit in Hamburg revitalisiert
In der Hamburger Innenstadt haben gleich eine Vielzahl von Projektentwicklern das Alte neu entdeckt: Ob die Stadthöfe, die Alte Oberpostdirektion, Commerzbank am Jungfernstieg oder der Alte Wall: Sie alle setzen auf das Bauen im Bestand. Die Art-Invest Real Estate hat mehrere City-Objekte revitalisiert und treibt nun die Verlängerung des Alten Walls voran.
„In keiner anderen Stadt bauen wir so viel im Bestand wie in Hamburg“, sagt Ferdinand Spies, als COO verantwortlich für das operative Geschäft bei der Art-Invest. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Sanierung reduziert den Flächenverbrauch, weil kein Quadratmeter versiegelt werden muss. Zudem schont die Verwendung der vorhandenen Substanz wertvolle Ressourcen. Gleichzeitig werden die alten Objekte energetisch und funktional auf den neuesten Stand gebracht.
Was wird aus Hamburg? Parkhäuser sind nur sehr schwer neu zu nutzen
Allerdings sieht der 44-Jährige auch Grenzen beim Bauen im Bestand, etwa bei Parkhäusern. „Sie sind historisch betrachtet wichtige Bestandteile in der Stadt und verfügen dementsprechend oft über zentrale Lagen. Aber es gibt gerade bei älteren Parkhäusern Einschränkungen.“ Oft seien der Bodenbelag schlecht versiegelt oder die Versiegelung unzureichend gepflegt worden. So konnten Stoffe in den Beton eindringen und ihn schädigen.
Ein weiteres Problem ist die Deckenhöhe, die für das Bauen im Bestand wichtig ist. „Es funktioniert nicht, ein Gebäude mit zu niedrigen Decken zu entwickeln, in dem sich die Menschen nicht gerne aufhalten.“ Spies, der mit einer Architektin verheiratet ist, empfiehlt hybride Konzepte, die den Wandel im Bauplan haben.
Hybride Bauten sind die Zukunft
Gerade hat der Münchner ein Parkhaus in Paris besichtigt. Dort wohnen in den oberen Stockwerken Studenten, in den unteren Etagen befindet sich ein Parkhaus. „Sobald es keinen Bedarf mehr für die Stellplätze gibt, kann man weitere Stockwerke in Apartments umwidmen. Das sind Konzepte, die ich mag. Man sollte mit Immobilien allgemein so umgehen, dass sie sich immer an veränderte Nutzungsbedingungen anpassen lassen. Das ist nachhaltig.“
Der Experte sieht noch weitere Grenzen der Umnutzung: „Da kann man klar kategorisieren. Der Zweite Weltkrieg war eine Zäsur: Alles, was davor entstanden ist und heute noch existiert, verfügt in der Regel über eine sehr gute Bausubstanz. Die Materialkosten waren damals relativ hoch, die Personalkosten hingegen relativ niedrig. Man konnte mit dem vorhandenen Material wunderbar arbeiten, hat kluge Lösungen gefunden und tolle Fassaden geschaffen.“ Mit der Substanz aus der Gründerzeit könne man fantastisch arbeiten. „Was es heute noch aus dieser Zeit gibt, hat in der Regel eine sehr gute Qualität.“
Nachkriegsbauten sind die Sorgenkinder
Schwieriger werde es bei vielen Nachkriegsbauten: „Da ist oft aus der Not heraus gebaut worden, meist mit weniger Material und zum Teil notdürftigen Lösungen“, sagt Spies. Manches würde man heute nicht mehr umsetzen, manches sei baurechtlich sogar verboten. „Als das Wirtschaftswunder Fahrt aufnahm, wurden neue Stoffe entwickelt, zum Teil Schadstoffe wie Asbest. Die müssen nun aufwendig entfernt werden. Erst mit den Achtziger-/Neunzigerjahren haben wir wieder eine sehr gute Substanz, auf die man aufbauen kann.“
Allerdings bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel: „In dieser Zeit übernahmen die Computer immer mehr Aufgaben, etwa die Berechnung von optimalen Statiken. Da haben die Architekten an der einen oder anderen Stelle überoptimiert und beispielsweise Decken konzipiert, die zu dünn sind für eine neue Nutzung.“ In solchen Fällen müsse man am Ende doch abreißen oder könne nur den Gebäudekern mit Aufzügen und Treppen erhalten.
Wer das Fundament und die Kerne erhält, spart viel CO2
Aber auch so lässt sich der Treibhausgas-Ausstoß deutlich senken. „Vielen ist nicht bewusst, dass die Herstellung von Beton unheimlich CO2-intensiv ist, eine sehr große Hitze benötigt und viel Energie bindet. Deshalb ist bestehender Beton wertvoll“, sagt Spies. Wer das Fundament und die Kerne erhält, spare ungefähr die Hälfte der Emissionen.
Eine weitere Möglichkeit zur Verbesserung der Klimabilanz sieht der promovierte Betriebswirt in alternativen Baustoffen wie Holz. Spies empfiehlt, zwischen der Herstellungsphase und der Betriebsphase zu unterscheiden. „Natürlich ist das Ziel, insgesamt CO2-neutral zu werden. Aber ein Gebäude, das bereits 25 oder 50 Jahre steht, hat natürlich eine bessere Klimabilanz. Zugleich können wir heute durch moderne Technologie Gebäude energieeffizient bauen.“ Wenn ein Altbau extrem ineffizient sei, lohne sich der Neubau auch ökologisch. „Diese Analysen muss man machen, bevor man sich für Neubau oder für eine Renovierung im Bestand entscheidet.“
„Nur schöne Häuser sind am Ende nachhaltig“
Spies, der sich in seiner Freizeit gerne in der Natur der bayerischen Alpen und Seen aufhält, treibt eine weitere Frage um: „Wir müssen intensiver über Ästhetik sprechen. Gute Architektur ist für mich zeitlos. Und nur schöne Häuser sind am Ende nachhaltig.“
Er zitiert seine Mutter, die Immobilien als Teil der vom Menschen geschaffenen Umwelt betrachtet und mehr Umweltschutz einfordert. „Wir müssen den ästhetischen Aspekt miteinbeziehen, auch über Grundstücksgrenzen hinaus.“
Oftmals finden sich bei Revitalisierungen echte Schätze
Spies betont, dass es inzwischen viele Methoden gibt, Fassaden im Bestand etwa durch Folieren aufzuwerten. Eine gute Immobilie sei eine genutzte Immobilie. Und damit eine Immobilie genutzt wird, benötige sie eine gewisse Ästhetik. Darin liege die große Herausforderung für den Bauen im Bestand.
„Die Gebäude sind nicht digitalisiert. Solche Immobilien gehen durch mehrere Hände, und nicht jeder geht bewusst mit dem historischen Bestand um.“ Oft komme es dann zu negativen Überraschungen, etwa dass die Bausubstanz größere Eingriffe nötig macht. Zugleich berichtet Spies von positiven Fällen, wenn plötzlich Schätze wie ein Deckenbild, eine Wandzeichnung oder wie im Klöpperhaus am Rödingsmarkt wertvolle historische Fliesen auftauchen.
Denkmalschutz ist anstrengend – und wichtig
„Es macht Spaß, einen Schatz zu entdecken, den andere früher übersehen oder versteckt haben. So lassen sich Gebäude ganz anders in Szene setzen.“ Im Alten Wall hat Art-Invest sich dann an einer besonders prominenten Stelle für eine Treppe mit möglichst viel Glas entschieden.
Aber ist das nicht ein teurer Spaß, auf den Investoren lieber verzichten? Spies bricht eine Lanze für den Denkmalschutz. Dieser sei gesamtgesellschaftlich von großer Bedeutung. Durch Sonderabschreibung und steuerliche Vorteile könne er sogar Vorteile für gewisse Investorengruppen bringen. Zugleich gesteht der Art-Invest-Geschäftsführer aber ein, dass Denkmalschutz mitunter „anstrengend“ wird. „Im Alltag gibt es immer wieder Diskussionen, was wirtschaftlich noch verhältnismäßig ist. Wenn man dann alte Fliesen nachbrennen soll, wird es schon schwierig. Ich bin aber der Überzeugung, dass diese Herausforderungen grundsätzlich den Aufwand lohnen.“
Nun will Art-Invest den Alten Wall zu Ende bauen
Nun hat sich Art-Invest die Verlängerung des Alten Walls vorgenommen und wird die Hausnummern 38 bis 40 mit einem Mix aus Büro-, Einzelhandels-, Hotel- und Wohnflächen neu gestalten. „Hier geht es um klassische Stadtreparatur. Dieser Bereich wurde im Krieg weitestgehend zerstört. Nun orientieren wir uns am historischen Teil des Alten Walls.“ Substanz, die nicht mehr verwertbar ist, wird abgerissen. Ein anderer Teil zurückgebaut und als Betonkern weitergenutzt.
Spies erwartet, dass die Zukunft die Immobilienwirtschaft deutlich ökologischer machen wird. „Die Branche hat eine gewisse Trägheit. Das liegt auch an unserem Produkt. Von der ersten Idee bis zur Fertigstellung dauert es in der Regel um die fünf Jahre, um ein Haus zu errichten. Erst jetzt betrachten wir Immobilien im gesamtgesellschaftlichen Kontext“, sagt er. Seine Prognose: „Die nächsten 10, 20 Jahre werden uns als Gesellschaft mehr verändern als die letzten 50 Jahre.“
Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung verändern die Branche
Gleich mehrere Entwicklungen erwartet der Vater von vier Kindern. „Das Thema Kreislaufwirtschaft kommt. Das bedeutet, dass wir Baumaterialien verwenden, die man später recyceln oder anderweitig verwenden kann.“ Ein weiterer Zeitenwender liegt in der Digitalisierung. „Sie wird uns helfen, unseren Bestand viel besser zu verstehen.“
Spies glaube fest daran, dass die Möglichkeiten von Innovationen noch lange nicht ausgeschöpft sind. „In Zukunft werden Häuser nicht nur klimaneutral sein, sondern vielleicht sogar mehr Energie produzieren als sie verbrauchen.“
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Zugleich greift ein neues Konzept von Stadt. „Früher haben wir zu sehr in Stadtteilen gedacht. Da gab es Wohnviertel, Bürostädte und Einkaufscenter. Erst 2016 ist erstmals wissenschaftlich das Thema der 15-Minuten-Stadt behandelt worden, also die Idee, dass man alle Bedürfnisse des Alltags zu Fuß innerhalb von 15 Minuten abwickeln kann.“ Ein solches Konzept erfordert, Schulen, Kindergärten oder Geschäfte frühzeitig mitzudenken und zu planen.
Die Innenstadt benötigt mehr Wohnungen
Und für die Innenstadt bedeutet das, viel mehr Wohnungen zu bauen. Gleichzeitig könne es sein, dass man die prominenten Eckgebäude in den Straßenzügen zukünftig eher gewerblich nutzt und dazwischen Wohnungen errichtet. „So machen wir es auch bei der Verlängerung des Alten Walls, weil der Mittelteil dem Lärm am wenigsten ausgesetzt ist.“ Ein solches Umdenken kann helfen, die Städte und Stadtteile besser zu durchmischen.