Hamburg. Heike Lattekamp kämpft für kräftiges Lohnplus. Schon jetzt wandern Beschäftigte ab. So sieht es bei Galeria Karstadt Kaufhof aus.
Ob Bahn, Flughafen, Kita, Post, Krankenhaus oder Müllabfuhr – viele Bereiche des öffentlichen Lebens sind in den vergangenen Wochen bei Arbeitskämpfen immer wieder lahmgelegt worden. In den laufenden Tarifgesprächen im Einzelhandel müssen sich die Hamburger jetzt möglicherweise auch auf geschlossene Geschäfte und Supermärkte einstellen. „Die Streikbereitschaft unter den Beschäftigten ist sehr hoch“, sagt Ver.di-Verhandlungsführerin Heike Lattekamp. Die Landesfachleiterin Handel erwartet harte Auseinandersetzungen bei den Verhandlungen, die am kommenden Montag in die zweite Runde gehen.
Die Dienstleistungsgesellschaft will für die knapp 90.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Hamburger Handel ein Lohnplus von 2,50 Euro pro Stunde durchsetzen und einen Mindestlohn von 13,50 Euro festschreiben – bei einer Laufzeit von einem Jahr. „Damit sollen vor allem die unteren Gehaltsgruppen gestärkt werden, die besonders stark von der Inflation und steigenden Preisen betroffen sind“, sagt Lattekamp, die seit Februar dieses Jahres auch stellvertretende Ver.di-Landesleiterin ist. Der bisherige Tarifvertrag war zum 30. April ausgelaufen. Seit dem 1. Mai gilt die Friedenspflicht nicht mehr.
Ver.di: Positionen in den Tarifgesprächen weit auseinander
Im vergangenem und auch in diesem Jahr hätten die Kollegen durch die hohe Inflation unter dem Strich aber einen Reallohnverlust zu verkraften. „Hier geht es schlicht und ergreifend darum, sich auch am Ende des Monats den Weg zur Arbeit oder den Wocheneinkauf leisten zu können. Das sind keine Luxusprobleme“, so Lattekamp. Außerdem kämpfen die Arbeitnehmervertreter für die sogenannte Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge, mit der sie die dramatische Tarifflucht der vergangenen Jahre unterbinden wollen. Ein wichtiger Knackpunkt: Aktuell ist in der Hansestadt nur noch knapp ein Drittel der Beschäftigten im Handel in der Tarifbindung. 2010 waren es noch mehr als 50 Prozent.
Die Arbeitgeber haben inzwischen ein Angebot vorgelegt, das mit einer Steigerung von fünf Prozent in zwei Stufen für eine Laufzeit von zwei Jahren allerdings weit von den Gewerkschaftsforderungen entfernt ist. Umgerechnet liegen diese bei durchschnittlich 15 Prozent, in der Spitze sogar bei 26 Prozent. Außerdem haben die Unternehmen eine steuer- und abgabenfreie Sonderzahlung von insgesamt 1000 Euro angeboten. Die Forderungen von Ver.di hatte die Vorsitzende der Arbeitgeberkommission vor einigen Tagen „nicht erfüllbar“ genannt.
Ver.di: Inflationsausgleich ist nicht nachhaltig
Es sind dicke Bretter. Sehr dicke Bretter. „Das Angebot hat nichts damit zu tun, was wir gefordert haben“, sagt Heike Lattekamp. Sie sitzt in ihrem Büro im dritten Stock des Gewerkschaftshauses am Besenbinderhof. Auf dem Tisch hat die 60-Jährige Unterlagen und Statistiken ausgebreitet. Daneben liegt immer griffbereit ein kleines Büchlein, die Tariftabelle. „Der Inflationsausgleich klingt verlockend. Aber es ist eine Einmalzahlung, die nicht nachhaltig wirkt“, so die studierte Diplom-Pädagogin und Mutter von drei erwachsenden Kindern, die schon mehr als 30 Jahre als Arbeitnehmervertreterin unterwegs ist, anfangs noch für die DAG. Seit 2009 im Bereich Handel bei Ver.di.
So leicht bringt die Frau mit dem praktischen Kurzhaarschnitt nichts aus der Ruhe. Aber dass die Arbeitsbedingungen in ihrem Bereich mit bundesweit 3,5 Millionen Beschäftigten zuletzt deutlich weniger öffentliche Aufmerksamkeit bekommen haben als andere Branchen, das ärgert sie schon. „Der Einzelhandel ist ein gesellschaftliches Thema“, sagt Heike Lattekamp. „Jeder kauft ein.“ Aber von den niedrigen Löhnen, teilweise im prekären Bereich, seien vor allem Frauen betroffen. 70 Prozent der Beschäftigten in Warenhäusern, Modeboutiquen oder Supermärkten sind weiblich.
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Aktuell verdient eine Verkäuferin mit sechs Jahren Berufserfahrung 2832 Euro im Monat brutto. Allerdings arbeitet nur knapp die Hälfte der Beschäftigten in Vollzeit, mehr als 20 Prozent sind Mini- oder Nebenjobber. „Spätestens bei der Rente zahlt die Gesellschaft für diese Menschen, auch wenn sie ihr ganzes Leben gearbeitet haben“, kritisiert Gewerkschaftlerin Lattekamp, die nach dem Aufstieg in die Führungsriege des Bezirks auch für Frauenpolitik zuständig ist.
Einzelhandel durch Corona, Energiekrise und Inflation stark belastet
Der Einzelhandel hatte es in den vergangenen Jahren alles andere als einfach. Durch die Corona-Pandemie durften zeitweise nur Geschäfte öffnen, die den Bedarf des täglichen Lebens abdeckten. Für viele Angestellte bedeutete das monatelange Kurzarbeit und Gehaltskürzungen in einer ohnehin schwierigen Zeit. Inzwischen steigen die Umsätze wieder, aber die Energiekrise und die Inflation belasten die Branche. Große Handelsketten wie Galeria Karstadt Kaufhof, Schuhhändler wie Görtz und Reno und auch kleine Fachgeschäfte sind in wirtschaftliche Schieflage geraten, mussten Insolvenz anmelden und bauen Personal ab.
Aus Sicht von Lattekamp sind die Pandemie und ihre Folgen nur ein Teil des Problems. Schon vorher sei der stationäre Handel unter anderem auch durch immense Flächenausweitung durch Druck gewesen. Zwischen 1980 und 2021 haben sich Handelsflächen auf 125 Millionen Quadratmeter mehr als verdoppelt. „Da läuft teilweise ein Vernichtungskampf zwischen den Anbietern. Zu sagen, dass die Beschäftigten die Lasten durch die verfehlte Politik allein tragen sollen, finde ich schwierig“, sagt sie.
Räumungsverkauf bei Galeria-Karstadt in Wandsbek und Harburg läuft
Die Folge: Der Einzelhandel verliert Fachkräfte. Das zeigt sich aktuell auch bei der Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof, die im Zuge eines Sanierungsprogramms bundesweit knapp 50 Häuser schließt. In Hamburg sind die Filialen in Harburg und Wandsbek betroffen. An beiden Standorten läuft der Räumungsverkauf, spätestens am 30. Juni ist Schluss. 180 Beschäftigte sind betroffen. Zusätzlich würden weitere 100 Stellen in den verbliebenen drei Galeria-Kaufhäusern in der Mönckebergstraße, Eimsbüttel und im Alstertal Einkaufszentrum abgebaut, so Lattekamp, die als Arbeitnehmervertreterin im Aufsichtsrat des Essener Handelskonzerns sitzt.
Aber anders als bei vorherigen Schließungswellen wie zuletzt 2020 läuft das Ende geradezu in gespenstischer Stille ab. „Früher standen die Beschäftigten immer zum Unternehmen und haben gekämpft“, beobachtet Heike Lattekamp. „Neu ist, dass dieses Mal viele schon vor dem Ende weggehen und sich neue Arbeitsplätze suchen. Und zwar nicht nur die Jungen, sondern quer durch alle Alters- und Beschäftigungsgruppen.“ Besonders in Wandsbek sei die Enttäuschung, dass die Geschäftsleitung das Haus zehn Monate vor dem geplanten Ende im April 2024 schließe, sehr groß. „Die Leute haben abgeschlossen“, sagt die Gewerkschaftlerin.
Ver.di: Arbeitgeber müssen sich auf härtere Zeiten einstellen
Aus ihrer Sicht eine fatale Entwicklung. „Der Wettbewerbsvorteil des stationären Handels sind Beratung und Service“, sagt Heike Lattekamp. Genau daran hapere es aber, wenn zu wenige Beschäftigte in den Läden sind. „Das muss sich ändern. Wenn die Branche weiter verkaufen will, muss sie den Wettbewerb um die besten Arbeitsbedingungen anstreben.“ Auf jeden Fall müssten sich Arbeitgeber auf härtere Zeiten einstellen. „Die Beschäftigen sind bereit, für die eigenen Interessen einzustehen, damit sich etwas bei Arbeitsbedingungen und Löhnen ändert.“