Hamburg/Landkreis Harburg. Mehrwegbehälter sind jetzt als Alternative zu Wegwerf-Verpackungen für Speisen außer Haus vorgeschrieben. Es gibt jedoch eine Ausnahme.

Wer in der Kantine von Marko Weise Essen zum Mitnehmen bestellt, kann seine Mahlzeit auf Wunsch in einer geliehenen Mehrwegschale nach Hause transportieren. Was der Küchenchef der NSB-Kantine in Buxtehude seit Ausbruch der Coronapandemie im Jahr 2020 freiwillig anbietet, ist deutschlandweit seit dem 1. Januar 2023 Pflicht. Restaurants, Cafés, Lieferdienste, Supermärkte und fast jeder, der Speisen und Getränke „to go“ verkauft, muss seinen Kunden mit dem Jahreswechsel eine solche Mehrwegalternative bieten. In vielen Fällen ist das noch Theorie.

Das Gesetz soll den Verpackungsmüll in Deutschland verringern. Wirken kann es nur, wenn die Gastronomen es umsetzen und die Kunden die Alternative beim Außer-Haus-Verkauf annehmen. Das Abendblatt hat sich in Harburg und Umland umgehört und Stichproben genommen. Das Ergebnis: Viele halten sich noch nicht an die neuen Vorgaben.

Mehrweg-Pflicht: Bei Verstößen drohen Strafen bis zu 10.000 Euro

Kaffee, Salate und warme Speisen gehen vielerorts in Kunststoffverpackungen und -bechern über die Theke, ohne dass eine Mehrwegvariante zur Wahl steht. Dabei drohen Geldstrafen bis zu 10.000 Euro. Zuständig sind in Niedersachsen die Unteren Abfallbehörden – sprich die Landkreise und kreisfreien Städte. „Wie bei jeder Neuerung, wird es aber vermutlich auch hier eine Weile dauern, bis sich die betroffenen Betriebe sowie auch die Verbraucherinnen und Verbraucher auf die neue Situation eingestellt haben“, sagt Oliver Waltenrath, Leiter der Stabsstelle Klimaschutz beim Kreis Harburg. In Harburg ist nicht der Bezirk, sondern die Hamburger Umwelt- und Klimabehörde verantwortlich.

Angesprochen auf die gesetzliche Verpflichtung wollen sich mehrere Gastronomen nicht gegenüber dem Abendblatt äußern oder verweisen vage auf Konzepte „in Arbeit“. Andere Anbieter setzen schon seit Jahren auf Leihbehälter oder haben rechtzeitig auf die Gesetzesänderung reagiert. Nicht alle verzichten dabei auf Einwegverpackungen.

Fleischerei in Winsen kann Außer-Haus-Pläne nicht umsetzen

„Wir haben uns schon im vergangenen Jahr Gedanken gemacht, wie wir das neue Gesetz umsetzen können, haben alles da und würden es gern ausprobieren“, sagt Petra Jurich, Mitinhaberin der Fleischerei Jurich in Winsen. Der in vierter Generation geführte Familienbetrieb in der Deichstraße bietet seinen Kundinnen und Kunden unter anderem für den Mittagstisch ein Set mit drei unterschiedlich großen Tupper-Dosen an.

Aufgrund von Personalengpässen kamen die Inhaber aber nicht umhin, die Ladenöffnungszeiten zu reduzieren und das Angebot einzuschränken. „Wir können bis auf weiteres keinen Mittagstisch anbieten“, heißt es auf der Homepage. Demzufolge gibt es bis dato kaum Erfahrungen, wie viele Kundinnen und Kunden auf Mehrwegbehältnisse zurückgreifen würden.

Günstiger als Verpackungsmüll: Kantinenchef spart 1,5 Cent pro Portion

Kantinenchef Marko Weise setzt 2020 auf das Mehrwegsystem des Anbieters „Vytal“ und ist sehr zufrieden. „Es ist simpel und ich spare sogar 1,5 Cent pro Portion gegenüber einer Kunststoffverpackung beim Essen zum Mitnehmen“, sagt er.

Die Kantine in Buxtehude, die zur Reederei NSB gehört, hat zu rund 80 Prozent externe Gäste. „Uns wurde der Verpackungsmüll selbst zu viel. Außerdem haben die Leute nach einer umweltfreundlicheren Lösung gefragt und das Angebot dankend angenommen“, sagt er. „In Lockdownphasen wurden im Monat bis zu 350 Essensschalen geliehen“, so Weise.

Aus Kundensicht funktioniert es so: Nach einer kostenlosen Registrierung im Internet reicht ein Hinweis an der Theke. Dann füllt das Personal die Speisen in die verschließbaren Schalen, statt in Plastikverpackungen. Per App scannen die Mitarbeiter oder die Kunden selbst die QR-Codes auf den Behältern. Kunden zahlen keinen Pfand. Die Kosten trägt der Verkäufer. Wer jedoch die Ausleihfrist von 14 Tagen überschreitet, muss zehn Euro bezahlen. Wer kein Smartphone nutzen will, kann ein sich eine Mitgliedskarte kaufen. Um den Abwasch kümmert sich das Team von Marko Weise.

Eigene Pfandbehälter sind erlaubt, können aber Probleme schaffen

Wie die „Letztvertreiber“ – so die Formulierung im Verpackungsgesetz – eine Mehrwegalternative organisieren, ist ihnen selbst überlassen. So kann jeder Verkäufer seine To-go-Speisen auch in eigenen Behältern verkaufen – wie es die Inhaber der Winsener Fleischerei Jurich vorhaben. Generelle Voraussetzung: Teurer als die klassische Kunststoffverpackung darf es für die Kunden nicht werden.

Marko Weise hat mit eigenen Behältern im kleinen Rahmen gemischte Erfahrungen gemacht. „Der Kauf der Schalen ist eine große Investition – und die Nachverfolgung ist ein Problem“, sagt er. Das Risiko, letztlich auf den Kosten sitzen zu bleiben, sei hoch.

Leihsysteme auf dem Markt: „Recup/Rebowl“, „Relevo“ und Co.

Gastronomen und Einzelhändler können mittlerweile auf verschiedene Mehrwegsysteme für Speisen und Getränke zurückgreifen. Dazu gehören neben „“Vytal“ etwa „Relevo“ oder „Dishcircle“. Die Stadtschlachterei Wiese in Buchholz hat kürzlich „Recup/Rebowl“ einführt. Ein weit verbreitetes System für Hartplastikbehälter, das bisher besonders in Cafés für Coffee-to-go im Einsatz ist. Für die Lebensmittelschalen hinterlegen Kunden in der Schlachterei fünf Euro Pfand.

Der Aufwand im To-Go-Geschäft sei durch die neuen gesetzlichen Vorgaben leicht gestiegen, sagt Metzgereichef Jan Lohmann. Hinzugekommen seien neben der Reinigung nach der Rückgabe organisatorische Herausforderungen. So kann er die Mittagsmenüs wegen der ungewissen Nachfrage nach Mehrwegbehältern nicht mehr vorpacken. Besonders Lohmanns ältere Kundschaft kenne Anbieter wie „Recup“ noch nicht. Auch eine Anfangsinvestition sei für die „Recup“-Behälter angefallen. Diese wird allerdings zum laufenden Posten.

Wenig Veränderung bei McDonald’s – Einige Einweglösungen sind erlaubt

Die Burgerkette McDonalds hat mit einem eigenen Pfandsystem auf das Gesetz reagiert. Allerdings nur mit Bechern für Getränke, Eis und Milkshakes. Laut Gesetz müssen lediglich „Einwegkunststofflebensmittelverpackungen und Einweggetränkebecher“ um Mehrwegalternativen ergänzt werden, Papierverpackung aber nicht.

Ebenfalls Edeka Meyer in Nenndorf musste wie alle Lebensmittelhändler mit „Take away“-Angebot aufgrund des neuen Verpackungsgesetzes umdenken. Auch der Supermarkt setzt weiter auf Einwegverpackungen. Speisen nehmen Kunden dort jetzt in Behältern aus Holzschnitz mit. Und damit in plastikfreien Verpackungen. Der Preis liegt deutlich höher als der für die Hartplastikvariante. „Grundsätzlich ist das neue Gesetz bestimmt eine gute Sache, aber für den Einzelhandel schwer umsetzbar“, sagt Junior-Chef Jonas Meyer. „Es stellt sich eben die Frage, ob der Umweltgedanke noch gegeben ist, wenn alle Mehrwegbehälter gereinigt und gespült werden müssen.“

Nicht jedes Geschäft, das keine Mehrwegbehälter oder Ersatz bereit hält, verstößt übrigens gegen das Gesetz. Von der Pflicht ausgenommen sind Betriebe mit weniger als fünf Mitarbeitern und bis zu 80 Quadratmetern Fläche. Diese müssen Speisen und Getränke auf Wunsch in mitgebrachte Schachteln abfüllen.

Al Limone: Es gab schon eine Abbestellung

Das Pizza alla Mama in Eißendorf ist ein kleines Restaurant mit Lieferservice und Mitnahmemöglichkeit, also mit einer hohen Außer-Haus-Quote, wenn auch zumeist in Papierverpackungen. „Wegen unser kleinen Betriebsgröße was Fläche und Mitarbeiter angeht, müssen wir die Verordnung nicht umsetzen“, sagt Chefin Benizar Gündogdu, „aber wir halten sie grundsätzlich für eine gute Idee und beobachten die Entwicklung interessiert. Wenn wir eine für unser Geschäft und unser Produkt praktikable Mehrweglösung finden, sind wir dabei. Wir sehen ja welche Kartonberge hier täglich herausgehen.“

Stefan Labann, Inhaber der Kultwurstbude „Bruzzelhütte“ in Harburg
Stefan Labann, Inhaber der Kultwurstbude „Bruzzelhütte“ in Harburg © xl | Lars Hansen

Auch Harburgs Kult-Imbiss Bruzzelhütte sieht sich derzeit nicht in der Umsetzungspflicht: „In unserer kleinen Bude ist das nicht umsetzbar, deshalb sind wir ausgenommen“, sagt Currywurst-Guru Stefan Labann. „Aber wir verhandeln ja seit Jahren über eine Erweiterung der Bruzzelhütte. Wenn das etwas wird, wären wir in der Pflicht und machen auch gerne mit!“

Das Restaurant Al Limone in der Harburger Gastro-Meile Lämmertwiete lebt eigentlich von seiner Atmosphäre im Lokal und auf den Außenplätzen. Viele Fans der Al-Limone-Küche holen sich aber auch schnell mal einen Mittagstisch ins Büro oder bringen vom Restaurantbesuch etwas für Kollegen mit. Sie müssen jetzt etwas umdenken: „Wir bitten Abholer, ab jetzt ihre eigenen Behälter mitzubringen, sagt Inhaber Khodr Ali. „Wir selbst bieten nur noch Kartonverpackungen an. Es wird wohl einige Zeit dauern, bis die Gäste sich darauf eingestellt haben. Eine größere Abholbestellung wurde uns schon abgesagt. Das ist schade!“

Kontrollen: Lüneburg fordert Berichte von betroffenen Betrieben ein

Die meisten Behörden planen nach aktuellem Stand keine regelmäßigen Kontrollen, sondern wollen zunächst auf Anzeigen und Hinweise reagieren. In Harburg hätten die Lebensmittelkontrolleure die betroffenen Betriebe bereits auf die Pflicht hingewiesen.

Im Landkreis Harburg soll das Thema langfristig „in bestehende Kontrollmechanismen eingebunden werden“, sagt Sprecherin Katja Bendig. Die Stadt Lüneburg wird in den kommenden Wochen über die Pflicht informieren, die Betriebe um einen Bericht bitten – und im Zweifelsfall Kontrollen und Bußgelder verhängen. Sprecherin Ann-Cathrin Behnck sagt: „Bereits jetzt haben in der Hansestadt Lüneburg viele Geschäfte und Inhaber zahlreiche Ideen zur Umsetzung entwickelt und sich auch schon vor Inkrafttreten der neuen Regelung an Mehrwegsystemen beteiligt.“

Mehrweg-Pflicht: „Es gibt wirklich schon genug Abfall“

So wie das Café Zeitgeist in der Lüneburger Altstadt, das schon seit etwa drei Jahren das „Recup/Rebowl“-System nutzt. Kunden können sich hier Suppen, Salate oder Quiches in die grünen Schalen füllen lassen. „Es gibt wirklich schon genug Abfall, da ist das aus unserer Sicht sehr sinnvoll“, sagt Inhaberin Claudia Klamp. Sie geht davon aus, dass die neue Verordnung die Nachfrage weiter steigen lassen wird – und das System durch weitere Standorte noch attraktiver wird. „Es vereinfacht das Pfandsystem, wenn es mehr Möglichkeiten zur Rückgabe gibt. Aber schon jetzt kann man in Lüneburg das Pfandgeschirr auf einer Seite der Stadt mitnehmen und auf der anderen Seite abgeben.“

Zum Beispiel auf dem Campus der Leuphana Universität. Dort hat vor drei Monaten im Zentralgebäude das Klippo eröffnet, eine moderne Cafeteria. Das Mehrweggeschirr zum Mitnehmen sei Teil des Grundkonzepts, sagt Axel Bornbusch, Geschäftsführer der dahinter stehenden Heiter & Wolkig GmbH. „Wir verfolgen das Zero-Waste-Prinzip.“ Einwegverpackungen werden nicht angeboten, alle vier täglich angebotenen Gerichte sind für die Rebowls geeignet. „Die Schalen sind schlicht, stylish und funktionieren sehr gut“, sagt Bornbusch. Das Konzept passe auch zum Standort, hierher kommen vor allem Studenten und Uni-Mitarbeiter. „Viele Leute wollen hier schnell etwas mitnehmen. Und sie kommen immer wieder, sodass wir die üblichen Probleme eines Pfandsystems nicht haben.“