Hamburg. Bodenpersonal steht am Airport vor dem nächsten Ausstand. Die Fronten zwischen Ver.di und dem Dienstleister scheinen verhärtet.

Martin Albair steht am Montag um kurz nach 10 Uhr im Terminal 2 des Hamburger Flughafens. Sein Flug um 12 Uhr mit Lufthansa nach Frankfurt ist gestrichen. Der Ausklang einer Privatreise in den Norden. Im Hotel wurden er und seine Ehefrau von der Hiobsbotschaft Warnstreik überrascht. „Wir sind heute Morgen im Badezimmer informiert worden“, sagt er.

Per Mail habe er die Nachricht erhalten, dass er nun via Brüssel nach Hause fliegen solle. Allerdings erst am Dienstag. Die Direktflüge nach Frankfurt seien am Folgetag wohl schon alle ausgebucht. Das Ehepaar entscheidet sich anders und steigt mittags in die Bahn.

Flughafen Hamburg: Passagiere über kurzfristigen Streik entsetzt

Selbstverständlich habe er Verständnis für den Ausstand, sagt Albair und ergänzt: „Die sollen streiken, bis der Papst kommt. Die verdienen alle zu wenig.“ Aber für ihn und andere Passagiere sei es unschön, schließlich habe man nichts mit der Auseinandersetzung zu tun.

Ver.di hatte am Sonntag kurz nach 22 Uhr per Pressemitteilung die Öffentlichkeit über den Warnstreik informiert. Die Dienstleistungsgewerkschaft rief die rund 300 Beschäftigten des Bodenabfertigers Aviation Handling Services (AHS) für Montag zum 24-stündigen Ausstand auf – und sorgte wegen der kurzen Frist bei vielen Fluggästen für Unmut. „Ich habe kein Verständnis für die kurzfristige Ankündigung“, sagt Albair.

Kurzfristiger Warnstreik – Ver.di rechtfertigt sich

„Wir verstehen den Ärger“, sagt Ver.di-Gewerschaftssekretär Lars Stubbe etwas später auf dem Parkdeck vor dem Terminal 2. Aber das kurzfristige Ankündigen des Arbeitsausstandes sei „so etwas wie Notwehr“. Gäbe man dem Unternehmen einen längeren zeitlichen Vorlauf, würde AHS mit Gegenmaßnahmen reagieren. Arbeitskräfte von anderen Flughäfen und Führungskräfte würden zur Arbeit herangezogen, also Streikbrecher organisiert.

„Ein Streik soll wirksam sein und wirtschaftlichen Schaden erzeugen, damit ein Unternehmen versteht: Es muss ein besseres Angebot auf den Tisch“, sagt Stubbe und spricht von einem „erfolgreichen Streik“.

50 von 160 Flügen fielen in Hamburg aus

AHS betreut in Fuhlsbüttel zum Beispiel die Airlines Lufthansa, Swiss und Austrian. Die Mitarbeiter fertigen Passagiere ab, nehmen am Check-in Koffer entgegen und machen an den Abfluggates das Boarding. Bei 84 Abflügen mit rund 9500 Passagieren sollten sie diese Aufgaben am Montag übernehmen, mehr als die Hälfte davon fiel aus.

Im Laufe des Tages wurden mehr als 50 Flüge gestrichen, der Großteil von ihnen Starts. Auf dem Programm standen ursprünglich 160 Abflüge. Wurden die Passagiere von anderen Dienstleistern abgefertigt, konnten die Flüge wie geplant stattfinden. Am Dienstag lief der Betrieb in Fuhlsbüttel dann wieder regulär an. Laut Webseite des Flughafens am Morgen sollten alle Abflüge wie geplant stattfinden.

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AHS hält den Warnstreik für völlig überzogen

Der Dienstleister AHS kritisierte den Warnstreik kurz nach der zweitägigen Arbeitsniederlegung am Helmut-Schmidt-Flughafen am vergangenen Donnerstag und Freitag als völlig überzogen – es waren die Streiktage vier und fünf in den vergangenen gut zwei Monaten. Die Luftfahrt in Deutschland verliere an Vertrauen, sagte AHS-Geschäftsführerin Amélie Charisius: „Dass Ver.di jetzt mit einem unangekündigten Streik den gesamten Hamburger Flughafen beeinträchtigt, stellt eine starke Belastung für die Flugreisenden und die Unternehmen am Standort dar – das ist unverantwortlich.“

Auf einem Din-A4-Zettel im Terminal 2 können die Passagiere die Forderungen der Gewerkschaft nachlesen. Für Arbeit am Sonnabend soll es 25 Prozent mehr Geld geben; im Sommerflugplan soll es eine Antrittsprämie von zwei Euro pro Stunde geben; wer aus der Freizeit in den Dienst geholt wird, soll 50 Euro Antrittsgeld erhalten. Kernforderung ist jedoch die Anhebung der Tabelle um satte 700 Euro im Monat.

Ver.di fordert 700 Euro mehr – ein „politisches Signal“

„Das ist ein politisches Signal“, sagt Stubbe. Man wisse, dass es nicht realisierbar sei. Aber man brauche ein ordentliches Plus, um in der zerklüfteten Tarifstruktur des Flughafens zum öffentlichen Dienst und zum Branchentarifvertrag aufzuschließen, der angestrebt werde. Derzeit liege das Einstiegsniveau bei 12,02 Euro pro Stunde. AHS hat laut beiden Seiten 14 Euro angeboten. Aber das sei nicht ausreichend, sagt Stubbe. Zumal andere Bodenverkehrsdienstleister für die Flugzeugreinigung 15 Euro Stundenlohn zahlen würden.

Laut Gewerkschaft arbeiten 80 Prozent der AHS-Beschäftigten in Teilzeit, zum Großteil nur 100 bis 120 Stunden im Monat. Davon könne man keine Familie ernähren, sagt Stubbe: „Mir erzählen Kolleginnen und Kollegen, dass sie sich schon überlegen, was sie sich zu Essen kaufen.“

Rauer Ton: Ver.di wirft AHS „Erpressung“ vor

„Wir wissen, dass unsere Beschäftigten unter den Nachwirkungen der coronabedingten Kurzarbeit und nun zusätzlich unter der Inflationsentwicklung zu leiden haben“, sagt Charisius. Deshalb habe man deutliche Lohnsteigerungen von bis zu 20 Prozent in drei Schritten mit einer Laufzeit bis 31. März 2024 angeboten. Der Forderungskatalog von Ver.di bedeute eine mehr als 60-prozentige Kostensteigerung für AHS. „Das ist völlig unrealistisch“, so Charisius.

Die Fronten zwischen den Parteien sind verhärtet. AHS habe das vorgelegte Angebot am Montag um 12 Uhr zurückziehen wollen, sagt Stubbe auf einer Kundgebung auf dem Parkdeck: „Das ist reine Erpressung, das lassen wir mit uns nicht machen.“ Einige Dutzend Beschäftigte, die die Arbeit niedergelegt haben, reagieren mit lautstarker Zustimmung.

Ver.di erwägt weitere Streiks – auch an Feiertagen

AHS streitet das Vorgehen nicht ab. Man könne nach den wirtschaftlichen Belastungen der Corona-Zeit ein solches Angebot nicht aus eigenen Mitteln finanzieren, sondern müsse dafür die Preise bei den Airline-Kunden erhöhen, sagt ein AHS-Sprecher: „Für solche Erhöhungen gibt es Vorankündigungsfristen, die wir einhalten müssen. Diese verschieben sich mit jeder erfolglosen Verhandlungsrunde, deshalb müssen wir unser Angebot neu berechnen.“

Stubbe hält das Argument für „Quatsch“. Schließlich spreche das Unternehmen ständig mit Airlines über die Weitergabe von Inflationskosten. Er appelliert an die AHS-Beschäftigten, weitere Kollegen zu mobilisieren. Um die Forderungen durchzusetzen, müsse man vielleicht ein, zwei oder drei Tage streiken. Auch am 1. Mai, Himmelfahrt oder Pfingsten kann es ungemütlich für die Passagiere werden. „Es stehen wieder Feiertage vor der Tür. Und wir können aktuell nicht ausschließen, dass wir auch zu diesen Feiertagen streiken müssen“, sagt Stubbe: „Das machen wir natürlich nur, wenn es kein Angebot gibt.“

Flughafen Hamburg: Passagier hält Warnstreik für „bösartig“

Thorsten Kohn aus Reinbek steht derweil mit seinem Handy in der Hand im Terminal 2. Position 23 in der Warteschlage des Lufthansa-Callcenters. Der Geschäftsmann wollte dienstlich über Frankfurt nach Hongkong. Weitere Anschlussflüge und -züge sowie Hotels waren gebucht. Am Sonntagabend habe er normal eingecheckt.

Für den kurzfristig angesetzten Arbeitskampf hat er kein Verständnis. Das sei „unglaublich“, der „falsche Weg“ und „bösartig“. Die Passagiere hätten mit der Sache nichts zu tun und seien maximal frustriert, sagt Kohn und sieht deutschlandweit eine Entwicklung, die an den Bedürfnissen der Kunden vorbeigeht: „Die ganzen Schwellenländer geben Gas und gehen voran – und wir kümmern uns um uns selbst.“