Hamburg. Ilga Tick hat ihrem Berufsweg einen neue Richtung gegeben – und bereut den Schritt der Umorientierung nicht.

Edles Parkett, Pfirsichblüten in einer Vase, Designermöbel und sphärische Musik. Wer das Studio „Tickland“ betritt, fühlt sich wie in einer anderen Welt. Gründerin Ilga Tick legt Wert auf Details und will einen „kleinen magischen Platz im Alltag bieten“. In einem Haus aus der Gründerzeit im Herzen der Uhlenhorst hat die 53-Jährige eine Zuflucht geschaffen für gestresste Großstadtmenschen. Und sich selbst mit „Tickland“ ein neues Leben aufgebaut, als Wellnesstherapeutin, die Massagen, aber auch Fastenbegleitung und Detox-Anwendungen anbietet.

Dabei war dieser Berufsweg für die gebürtige Bielefelderin keineswegs vorgezeichnet: Vor drei Jahren hat die heutige Unternehmerin ihren Job aufgegeben, einen gut bezahlten Posten als Kreativdirektorin der Lifestyle-Zeitschrift „Gala“.

Nach Gruner + Jahr: Von der Kreativdirektorin zur Wellnesstherapeutin

Denn bereits vor der aktuellen Personalabbauwelle bei Gruner + Jahr, der Muttergesellschaft des Magazins, haben die Beschäftigten des Hamburger Verlagshauses so manche Umstrukturierung miterleben müssen. „Ich war gerade beim Wandern in Südkorea, als mich die Nachricht erreichte“, erzählt die Naturliebhaberin über den Wendepunkt in ihrem Leben. Ihre Abteilung sollte in die „Brigitte“ eingegliedert werden. Etliche Arbeitsplätze fielen der Umstrukturierung zum Opfer. Das bedeutete für Ilga Tick: Sie nahm eine Abfindung an – und verließ das Unternehmen.

Doch die Mutter von zwei Kindern, verheiratet mit einem Fotografen, sah auch die Chancen für einen Neuanfang und erkannte den Weg zu einem neuen Ich. „Ich habe mich damals viel mit Freundinnen ausgetauscht“, erinnert sich die zartgliedrige Frau an diese Zeit. Auch mithilfe des Feedbacks aus diesen Gesprächen gelang es ihr, sich auf die eigenen Stärken und Leidenschaften zu besinnen. Und die nötige Energie zu sammeln, um alles auf Anfang zu setzen und ins kalte Wasser zu springen. „Talente sind oft vergraben, man muss sie nur freischaufeln“, sagt Ilga Tick. Sie will auch den früheren Gruner + Jahr- Kollegen Mut machen, die heute teils in einer ähnlichen Lage sind wie sie damals.

Gruner + Jahr: Abbau von rund 1000 Stellen geplant

Schließlich steht bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber derzeit eine der größten Personalabbauwellen in der Geschichte der Medienbranche an. Der Mutterkonzern RTL plant in Köln und bei den Zeitschriften von Gruner + Jahr den Abbau von rund 1000 Stellen. In Hamburg sind 700 der 1900 Jobs bedroht. Der Hintergrund: RTL Deutschland hatte 2022 die Magazinsparte des Verlagshauses mit Titeln wie „Brigitte“, „Stern“ oder „Geo“ übernommen. Nun wird ein Teil der Gruner + Jahr-Magazine eingestellt, ein weiterer verkauft. Die Unruhe ist groß, viele der Beschäftigten sind seit etlichen Jahren an Bord und lieben ihren Job in den Medien.

„Ich fühle mit den ehemaligen Kolleginnen und Kollegen – und grundsätzlich hoffe ich, dass guter Journalismus immer einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft haben wird, und die Kunden vor allem auch bereit sind, dafür zu zahlen“, wünscht sich Ilga Tick für die Branche und vergleicht: „Wenn ich für eine gut gemachte Yoga-App 50 Euro im Jahr zahle, warum dann nicht für Journalismus?“

Rückblick auf Gruner + Jahr in Dankbarkeit

Für die passionierte Reiterin bedeutet der Rückblick auf ihre Zeit bei dem Verlagshaus auch eine Erinnerung in Dankbarkeit: „Ich war meines vorigen Berufs keinesfalls überdrüssig. Konzeptarbeit, Design und Gestaltung habe ich geliebt“, betont die Gründerin, die sich nicht nur bei der „Gala“, sondern auch bei der Tochter für Firmenkunden, Territory, engagiert hat. „Ich durfte für Territory spannende Kunden wie Lufthansa, Deutsche Bahn oder Miele betreuen, gewann Pitches und Preise, durfte am Schluss sogar die komplette „Gala“-Marken-Familie umgestalten. Ich führte ein großes Team von Grafikern und Bildredakteuren, kam mit Persönlichkeiten wie Wotan Wilke Möhring zusammen und saß bei Madame Trussardi in Milano auf dem Sofa“, erzählt die studierte Modedesignerin über ihre damalige Zeit und eine „wahnsinnig schöne und attraktive Komfortzone, die man ungern verlässt“.

Andererseits: Auch die Wellness-Welt habe sie schon immer magisch angezogen. Die Ästhetik, die Düfte, Taktiles. Es habe für sie nahegelegen, sich fortan stärker mit diesen Neigungen zu beschäftigen. Und: „Meine Neugierde aufs Leben siegte schon immer“, sagt Ilga Tick über die Entscheidung, sich auf einen neuen Beruf zu konzentrieren, eine „erstrebenswert heilsame und sinnliche Aufgabe“ zu haben.

Im Gegenzug habe sie die vielen Konferenzen, das Sich-durchsetzen-Müssen, das laute Büro hinter sich gelassen. Und Zweifeln in ihrem Umfeld möglichst wenig Raum gegeben: „Doch der größte Feind ist immer der im eigenen Kopf. Der, der dich fragt, was wohl die anderen über dich denken.“

Nach Gruner + Jahr: Ilga Tick investierte Jahresgehalt in Ausbildung

Ein gesamtes Jahresgehalt investierte Ilga Tick zunächst in die Ausbildung, dann in die Einrichtung des Studios in Alsternähe. Eineinhalb Jahre dauerte der Weg zur „Gesundheits- und Wellnesspraktikerin“. Eine schöne, erhebende Zeit, die sie zwischen „Biochemie pauken“ und „neue Synapsen im Gehirn bilden“ als spannende Reise erlebte, auch zu sich selbst. Erste berufliche Erfahrungen sammelte Ilga Tick dann im Vabali Spa in Glinde und beim Hotel Gut Immenhof bei Malente.

Im Oktober vergangenen Jahres startete sie mit dem eigenen Studio. Seither hat sie Dutzende Stammkunden gewonnen, die bei ihr Ayurveda-Behandlungen oder Massagen mit Edelsteinen genießen. Und ganz nebenbei hat sie ihre Lieben überzeugt: „Mein Mann, der sich anfangs noch am Kopf kratzte und mich für verrückt hielt, als ich die Liebe zur Körperarbeit entdeckte, ist längst mein größter Fan“, erzählt die Gründerin lachend.

Finanziell auf die früheren Verdienste zu kommen ist hingegen noch schwierig, zumal in Corona- und Kriegszeiten. Zwar bewegt sich das Tickland mit Preisen von knapp 90 Euro für eine 60-minütige Behandlung oder 120 Euro für eineinhalb Stunden nicht gerade im preisgünstigsten Segment. Doch sich bekannt zu machen und im Wettbewerb mit den stark expandierenden Thai-Salons zu bestehen, das sei schon recht schwierig, bekennt Ilga Tick.

Tickland: Wohlfühlmomente für Urlauber und Hotelgäste

Doch auch diese Herausforderung nimmt die Gründerin gerne an, die jeden kleinen Schritt – wie bei ihrem Hobby Bergsteigen – als Erfolg wertet. Fortan will sie nicht nur in ihrem Studio, sondern auch in der Natur Menschen beim Gesundbleiben unterstützen. Fastenbegleitung mit Wanderungen in und um Hamburg plant sie ab dem Herbst, will ihr Wissen etwa in Sachen Detox in einwöchigen Kursen weitergeben. „Der Dreiklang aus Massagetherapeut, Fastenleiter und Entspannungstrainer macht für mich Sinn“, sagt Ilga Tick.

Sie hofft, es werde bald diesen Mix als Berufsbild geben – und auch Hotels oder Fitnesstempel, die ihren Gästen derartige Erlebnisse bieten wollten. Denn nicht nur im Tickland, sondern etwa auch im Vier Jahreszeiten oder in einer Wellness-Ranch in der Lüneburger Heide würde die Gründerin ihre Wohlfühlmomente gerne an Urlauber weitergeben. Mit solchen Partnern will Ilga Tick aus ihrem neuen Berufsweg, aus der „persönlichen Herzensgeschichte“, auch einen Job machen, der den Lebensunterhalt sichert.

Im aktuellen Geschäftsjahr erreicht das Start-up einen Umsatz von knapp 60.000 Euro. Hohe Mieten und die deutsche Bürokratie sind und bleiben Hürden auf dem Weg in die finanziell lohnende Selbstständigkeit. Doch Ilga Tick bleibt positiv: „Was ist das Schlimmste, was passieren kann?“, fragt die Unternehmerin und gibt die Antwort selbst: „Ich schließe mein Studio, verkaufe Inventar und Mobiliar und habe meine Abfindung in den Sand gesetzt. Davon gehe ich aber nicht aus“, sagt die in Hohenfelde lebende Hamburgerin, „denn ich hatte schon immer ein gutes Gespür für die Dinge.“