Hamburg. Hamburgische Bürgerschaft debattiert die Zerschlagung des Verlags durch die Bertelsmann-Gruppe. Nun sollen Taten folgen.

Entsetzen, Traurigkeit und Wut herrschen bei Gruner + Jahr, seit Bertelsmann-Chef Thomas Rabe das Aus für 23 Magazine und 700 Stellen verkündete. Die Beschäftigten ringen immer noch um Fassung – zeigen sich nun aber kämpferisch: „Wir wehren uns!“, sagte wie berichtet der Betriebsratsvorsitzende Jens Maier.

Die Zerschlagung des Verlags, der nach den Worten von Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) für den hiesigen Medienstandort „eine ähnliche Bedeutung hat wie Hapag-Lloyd für den Hafen“, bewegt auch die Bürgerschaft. Nach einer Schweigeminute für die Opfer des Erdbebens in der Türkei und in Syrien kritisierten am Mittwoch fast alle Fraktionen die geplanten Einstellungen am Baumwall.

Brosda: Journalismus dürfe nicht allein an Ertragserwartung gemessen werden

Es sei zwar für Außenstehende schwer einschätzbar, wer bei Bertelsmann für welche Versäumnisse am Baumwall verantwortlich sei, sagte Carsten Brosda in der Aktuellen Stunde. Klar sei allerdings, dass Gruner + Jahr in seinem Geschäftsbericht für 2021, also vor der Fusion mit RTL, noch eine Gewinnmarge von 12,7 Prozent ausgewiesen habe. „Wir reden also nicht zwingend von einem Unternehmen, das dringend der kompletten Restrukturierung bedarf.“ Erst später sei es zu einer „Isolierung des Journalismus als eigenständiger Kostenstelle“ gekommen.

Der Kultursenator warnte davor, Journalismus auf eine Ertragserwartung zu reduzieren. „Wenn diese Konzernbetrachtungsweise auf Journalismus sich durchsetzt, dann werden uns bald bis auf ganz wenige Titel in Deutschland von den Controllern in den Unternehmen alle journalistischen Angebote zugemacht – und dann haben wir ein Demokratie­problem“, sagte Brosda unter dem Beifall der meisten Abgeordneten.

Vorschlag: Mitarbeitende könnten Magazine in Eigenregie weiterführen

Seit Montag sei der Senat „in einem engen Austausch“ mit Gruner + Jahr darüber, wo und wie das Unternehmen in Hamburg eine Zukunft haben könne. „Unser Job in der Wirtschaftsförderung ist, dafür die besten Rahmenbedingungen zu schaffen“, sagte Brosda. Die Stadt baue über die von ihr mitgetragene Nextmedia-Initiative Beratungsangebote auf und wolle Verlagsmitarbeitenden helfen, die über ein Management-Buy-out nachdenken, also über den Kauf von Magazinen und deren Weiterführung in Eigenregie. Zu überlegen sei, mit welchen Förderinstrumenten dies gelingen könnte, sagte der Kultursenator, ohne ins Detail zu gehen.

Die Konzernleitungen von RTL und Gruner + Jahr gingen nicht anständig mit ihren Mitarbeitenden um, erklärte der SPD-Abgeordnete Hansjörg Schmidt und forderte „mehr Anstand“. Medienunternehmen seien nicht vergleichbar mit anderen Unternehmen. „Journalismus lässt sich nicht in Excel-Tabellen pressen.“ Bertelsmann werde seiner Verantwortung für den demokratischen Diskurs nicht gerecht. „Es gilt nun umso mehr, dass man ehrlich und redlich agiert.“ Den verbliebenen Titeln müsse eine „ernsthafte Chance“ gegeben, die zum Verkauf stehenden Magazine müssten in „verantwortungsvolle Hände übergeben“ werden.

Farid Müller: „Thomas Rabe treiben nicht Inhalte, sondern Zahlen.“

Farid Müller von den Grünen kritisierte den Bertelsmann-Chef. „Thomas Rabe ist Geschäftsmann, kein Verleger. Was ihn treibt, sind nicht Inhalte, sondern Zahlen.“ Rabe fehlten „Visionen und der Mut zum kreativen Wandel“. Der Übergang ins digitale Zeitalter sei eine Herkulesaufgabe. „Ohne den Glauben ans eigene Produkt kann er nicht gelingen“, sagte Müller. Er erinnerte daran, dass der bei Gruner + Jahr geplante Kahlschlag in Summe wohl weit mehr als 700 fest angestellte Menschen betreffen wird, nämlich auch viele freie Journalistinnen und Journalisten.

Etliche andere Verlage bewiesen, dass die Presse trotz des Internets, sozialer Medien und Streamingdiensten eine Zukunft habe, sagte der CDU-Abgeordnete Götz Wiese. Bertelsmann und RTL seien mit ihrem Plan, einen „Cross-Media-Champion“ zu entwickeln, nicht vorangekommen. Versäumnisse müsse sich aber auch Gruner + Jahr zuschreiben lassen. „Es gab Missmanagement im Verlag.“ Die Stadt wiederum müsse ihre Wirtschaftspolitik insofern erweitern, als neben der Kultur- auch die Wirtschaftsbehörde als Ansprechpartner für Medien fungieren sollte. „Ein Brosda alleine macht noch keinen Sommer.“

Linke: Warum unterstützt Hamburgs Senat den Hafen, Medien aber kaum?

Die Linken-Fraktion beantragte eine Selbstbefassung im Kultur- und Medienausschuss. Zu klären sei etwa, ob die Stadt ausreichende Unterstützung bei der Entwicklung digitaler Angebote gegeben habe, sagte der Linken-Abgeordnete Norbert Hackbusch. „Und wieso ist es eigentlich selbstverständlich, dass der Senat den Hafen mit öffentlichen Mitteln unterstützt, aber die Entwicklung der Medien kaum?“

Nur Krzysztof Walczak von der AfD sprach von einer teilweise nachvollziehbaren Reaktion seitens Bertelsmann. Ein „Großteil der Bevölkerung“ habe Magazine wie „Brigitte Woman“ und „Brigitte Be Green“ wohl nie gelesen. Walczak sei „sehr empathielos“, hielt ihm die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein entgegen. „Die Mitarbeiter haben tagtäglich ihr Bestes für den Verlag getan.“ Für sie sei Rabes Entscheidung ein „Desaster“.