Hamburg . Hat der Bertelsmann-Chef die Zahlen des Verlags schlechtgerechnet? Auf die Zerschlagung folgen nun zudem emotionale Abschiede.

Das Geld war einer der Hauptgründe, warum Bertelsmann-Chef Thomas Rabe vor knapp zwei Wochen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Gruner + Jahr verkündete, dass man insgesamt 700 Stellen abbauen und 23 Magazine einstellen müsse. Ohne diese Maßnahmen würde das sogenannte Ebita, also das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, in 2023 „zweistellig negativ“ ausfallen.

Nun kann „zweistellig negativ“ vieles bedeuten, von zehn Millionen bis 99 Millionen Euro, aber es klingt besser, als wenn man eine sehr niedrige zweistellige Millionenzahl sagt, die, da ist man sich unter den leitenden Angestellten bei Gruner + Jahr einig, Rabe sich aus seiner Sicht schön-, also nach unten gerechnet hat. Es ist der gleiche Rabe übrigens, der sich darüber freut, dass Bertelsmann im vergangenen Jahr erstmals einen Umsatz von mehr als 20 Milliarden Euro erzielt hat, und der in den nächsten Jahren einen operativen Gewinn von vier Milliarden Euro anstrebt. Dafür will man bei Bertelsmann fünf bis sieben Milliarden Euro investieren.

Gruner + Jahr: Wie der Bertelsmann-Chef Thomas Rabe mit Zahlen jongliert

Aber zurück zu Gruner + Jahr. Wir erinnern uns: 2021 hatte der Verlag einen Gewinn von 134 Millionen Euro erzielt, die Rendite war zweistellig, sie lag bei etwas über zwölf Prozent. Dass diese Summe innerhalb von zwei Jahren um mindestens 144 Millionen Euro schmelzen konnte (laut Rabe hätte Gruner + Jahr ja wenigstens zehn Millionen Euro minus) gemacht, hat mehrere Gründe. Für einen kann Rabe nichts: Titel wie „Stern“, „Geo“ und „Brigitte“ leiden wie alle anderen Zeitschriften unter deutlich gestiegenen Energie-, Papier- und anderen Kosten, dazu kommt der konjunkturelle Einbruch. Doch alles darüber hinaus hat Thomas Rabe mit den Unternehmensberatern von McKinsey aus Sicht von Gruner schlechtgerechnet.

Das beginnt damit, dass die renditestarke Beteiligung Gruners am „Spiegel“ genauso wie die Gewinne der Applike-Gruppe, vom Dienstleister Territory und Beteiligungen wie etwa der an der „Sächsischen Zeitung“ in dem Ergebnis von Gruner + Jahr nicht mehr auftauchen – sie werden jetzt direkt bei Bertelsmann verbucht. Die hohen Kosten, die Gruner + Jahr durch die Miete in der inzwischen viel zu groß gewordenen Zentrale am Baumwall entstehen, sind stattdessen in der Ergebnisrechnung geblieben, dabei kann man mit ihnen so nicht planen.

Gruner + Jahr will mit einem Umzug Kosten sparen

Denn Gruner plant, aus dem Gebäude auszuziehen und sich deutlich zu verkleinern, was allein mindestens zehn Millionen Euro pro Jahr an Kosten sparen soll. Für den Umzug und die neuen Büros ist in den Investitionen, die Rabe Gruner + Jahr versprochen hat, eine zweistellige Millionensumme eingeplant. Das klingt gut, doch auch hier ist die Wahrheit, dass Gruner selbst bereits zehn Millionen Euro dafür vorgesehen hat. „Negativ ist Gruner am Ende unter anderem nur, weil die Büros viel teurer gerechnet wurden, obwohl klar war, dass die Kosten runtergehen werden“, heißt es aus dem Verlag, in dem leitende Angestellte sich wunderten, dass sie an den Planungen überhaupt nicht beteiligt waren.

Mindestens ebenso groß ist die Verwunderung darüber, dass Thomas Rabe es sich nicht noch einfacher gemacht und die Magazine, die er jetzt einstellt oder in einer neuen Einheit zusammenführt, verkauft hat. Was aus heutiger Sicht für viele Hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die bessere Lösung gewesen wäre und die Schlagzeilen für den Bertelsmann-Chef vielleicht nicht ganz so negativ gemacht hätten, wie sie es waren. Nach Informationen des Hamburger Abendblatts hätte es für alle Titel mindestens einen Kaufinteressenten gegeben.

Im Gegensatz zu Bertelsmann glauben Kaufinteressenten an die Magazine

Außerhalb Bertelsmann gibt es diverse Verlage, die an die Zukunft der Zeitschriften glauben, und sie sind nicht allein. Frank Nolte, der Vorsitzende des Presse-Grosso, sagt, dass viele der von den Streichungen bedrohten Magazine zu den Top-Marken innerhalb ihrer Objektgruppe gehörten und nach wie vor bei den Kundinnen und Kunden sehr beliebt seien. Wenn man sich denn liebevoll um sie kümmert…

Horst von Buttlar, seit 2013 Chefredakteur des Gruner-Wirtschaftsmagazines „Capital“, schrieb zu seinem Abschied (er geht zur „Wirtschaftswoche“) auf der Plattform Linkedin über seine zehn Jahre bei Gruner: „Es gibt so viele Lehren, deshalb an dieser Stelle nur eine: Kümmere dich um deine Marken. Liebe sie, liebe sie.“ Unter denen, die darauf reagierten, war auch Julia Jäkel. Die ehemalige Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr gilt auf Linkedin als sogenannte Top-Voice, ihr folgen mehr als 100.000 Menschen. Sie schreibt an von Buttlar: „Danke, Horst. Deiner Lehre ist nichts hinzuzufügen.“

Mitarbeiter bemängeln das Fehlen von „vor allem Empathie und Wertschätzung“

Jäkel gehört auch zu denen, die emotional auf die Nachricht von Annette von Ekesparre antworteten. Die Rechtsabteilung bei Gruner, deren Leiterin von Ekesparre sie ist, wird voraussichtlich schon Ende Juni aufgelöst, von Ekesparre schrieb: „Bei Gruner werden Hunderte Menschen das Haus am Baumwall verlassen müssen. Es trifft nicht nur die Redaktionen, sondern auch die Stabs-, Verlags-, Corporate- und Verwaltungsbereiche oder wie man sie sonst dieser Tage in der Presse bezeichnet. Darunter mein kleines und feines Team der Rechtsabteilung – wir werden uns wohl Mitte des Jahres auflösen. Wir werden bis zur letzten Minute alles tun, und dann hocherhobenen Hauptes durch die Tür gehen. Wir waren und sind sehr stolz, für dieses besondere Unternehmen zu arbeiten.“

Jäkel postete zurück: „Liebe Annette, danke für alles. Du und dein Team stehen für herausragende Kompetenz, Einsatz, und, so wichtig in der Praxis, Lösungslust. Kein Wunder, dass ihr ein so beliebtes Team wart. Jede und jeder, der mit Euch in Zukunft zusammenarbeitet, wird dies von Tag eins an spüren und glücklich sein.“ Bei Gruner hat man diese Äußerungen der ehemaligen Chefin sehr wohl registriert, weil sie all das enthalten, was gerade im Unternehmen fehlt, „vor allem Empathie und Wertschätzung“, wie es heißt.