Hamburg. Die Spezialbuchhandlung an der Binnenalster ist durch schwere Zeiten gegangen. Doch nun kehrt nach Corona-Krise die Reiselust zurück.

Diese unscheinbare Eingangstür ist ein Tor zur Welt. „Übersee“ steht gleich vorne auf einem Schild über einem Regal, daneben Fernost und Asien, Afrika, Amerika, Australien. Schon nach wenigen Schritten in der Hamburger Reisebuchhandlung Dr. Götze Land&Karte ist das Fernweh geweckt. Wer gerne mit dem Finger um den Globus reist und Orientierung zwischen den Polen sucht, ist hier am richtigen Ort.

In dem Spezialgeschäft am Alstertor gibt es Bücher und Karten selbst von den entlegensten Winkeln der Erde. Zum Beispiel von Adelaide Island. Das ist die siebtgrößte Insel in der Antarktis. Nicht gerade eine der Top-Urlaubsdestinationen. „Aber es gibt Kunden, die genau das suchen“, sagt Ladenchef Knud Harms, selbst studierter Geograf mit antarktischer Reiseerfahrung. Bei der Erinnerung an die Überraschung eines Kunden, nachdem er ihm die gewünschte Spezialkarte in die Hand gedrückt hatte, lächelt er zufrieden.

Dr. Götze: Informationsmaterial von A bis Z füllt eine Regalwand

Man spürt, da ist Leidenschaft im Spiel. Und eine Menge Fachexpertise. Natürlich gibt es bei Dr. Götze auch Literatur, Karten und Beratung zu gewöhnlicheren Urlaubszielen. Bayern, zum Beispiel. Das Informationsmaterial von A wie Augsburg bis Z wie Zugspitze füllt eine ganze Regalwand. Auch aus allen anderen Ecken Deutschlands und Europas stehen in dem 700 Quadratmeter großen Geschäft aktuelle Bücher für (fast) jeden Reisenden: Wanderer und Pilger, Camper und Wohnmobilisten, Paddler und Skiwanderer, Kulturbewegte, Wellnessfans und Sternengucker.

Eine Karte von der Ukraine mit Ortsnamen in kyrillischer Schrift? Ein Griff, da ist sie schon. Ein Blatt von einer Region in den französischen Alpen im Maßstab 1:25.000. Voilà. Ein brandaktueller Portugal-Führer aus diesem Jahr? Kommt im März – Benachrichtigung lieber per Telefon oder E-Mail? An prominenter Stelle ist drapiert, was über Hamburg auf dem Markt ist. Eine weitere wichtige Zielgruppe: Kinder.

Die größte geografische Fachbuchhandlung Deutschlands

„Wir wollen den Menschen die Welt näherbringen und ihnen helfen, ihren Urlaub optimal zu gestalten“, sagt Pedro M. Arez. Er führt für den Hamburger Unternehmer Farhad Vladi die Geschäfte der Traditionsfirma, seitdem dieser sie vor mehr als 20 Jahren vor der Insolvenz gerettet hatte. „Man sieht nur, was man weiß“, ist die Devise des 78-Jährigen, der vorher drei Jahrzehnte für Vladi Private Island Inseln verkauft hat.

Heute ist Dr. Götze mit 20.000 unterschiedlichen Artikeln nach eigenen Angaben die größte geografische Fachbuchhandlung Deutschlands. Zum Geschäft gehören eine riesige Globensammlung, das Old Map Center mit einer großen Auswahl an historischen Originalkarten und das Reisebüro Dr. Götze Flug&Reise.

Die Umsätze steigen seit vergangenem Jahr

Eine solide Sache, könnte man meinen – wenn Corona dem Spezialhändler nicht in die Quere gekommen wäre. Reiseliteratur zu verkaufen, wenn niemand reisen kann, ist alles andere als ein Selbstgänger. „Wir waren besonders hart betroffen“, sagt Geschäftsführer Arez. Das Ladengeschäft war teilweise geschlossen. Der Onlineshop wurde zum wichtigsten Standbein, konnte aber die Verluste nicht wettmachen. Noch schlimmer: Das Reisebüro, spezialisiert auf komplexe individuelle Abenteuerreisen, musste zahlreiche Buchungen stornieren. „Wir haben viel gearbeitet und unter dem Strich Negativumsatz gemacht.“

Mithilfe von staatlichen Fördermitteln und einem KfW-Kredit hat Pedro M. Arez Dr. Götze und sein 14-köpfiges Team durch die Krise gesteuert. Auch Eigen­tümer Vladi steckte zusätzliches Geld ins Unternehmen. „Sonst hätten wir es wohl nicht geschafft“, sagt der Geschäftsführer. Inzwischen sieht es wieder besser aus. Die Umsätze steigen seit vergangenem Jahr, haben aber den Angaben zufolge noch nicht Vorkrisenniveau erreicht. Über konkrete Zahlen schweigt man.

Urlaub in Deutschland ist viel wichtiger geworden

Der Reisebuchladen als Seismograf für die Reiselust der Republik. „Nach drei Pandemiejahren wollen viele ihre Traumreise verwirklichen“, beobachtet Ladenchef Knud Harms. Ganz oben auf der Liste der Urlaubsziele stehen Länder wie Vietnam­, Costa Rica, Neuseeland, auch Uganda, Georgien oder Albanien sind stark gefragt. „Gerade weil reisen in den vergangenen Jahren nicht unbegrenzt möglich war, ist der Wert gestiegen“, sagt der 46-Jährige, der schon als Student bei Dr. Götze gejobbt hat.

Auch Urlaub in Deutschland sei deutlich wichtiger geworden. Und alles rund ums Campen. Parallel ist auch das Angebot an Reiseliteratur, Kartenmaterial und Führern mit speziellen Schwerpunkten in vergangenen Jahren gewachsen – und sehr viel davon steht bei ihm im Geschäft.

Eröffnet wurde Dr. Götze 1946 am Ballindamm

Immer wieder geht an diesem Wintervormittag die Ladentür auf. „Wo ist Skandinavien?“, fragt eine junge Frau. Ein Ehepaar steht schon einige Zeit vor dem Italien-Regal. Die beiden kommen aus dem niedersächsischen Duderstadt und haben das Fachgeschäft bei ihrer Hamburg-Visite ganz gezielt angesteuert. „Wir wollen im Sommer eine Cabrio-Tour von Südtirol bis Sizilien machen und suchen Landkarten von einzelnen Regionen“, sagt Majda Roloff.

„Hier gibt es die größte Auswahl.“ Ein paar Schritte weiter blättert Holger Schmitt mit seinem Sohn Jakob durch den Ständer mit großen Posterkarten. Die beiden sind extra aus Lütjensee nach Hamburg gekommen, damit sich der Neunjährige eine Deutschlandkarte für sein Zimmer aussuchen kann.

Eröffnet wurde Dr. Götze 1946 am Ballindamm. Von 1972 an war der Familienbetrieb mit inzwischen 77-jähriger Geschichte, der lange vom Sohn des Gründers, Andreas Götze, geführt wurde, in Räumen an der Hermannstraße, später zog er in den Bleichenhof. Als Farhad Vladi von den finanziellen Problemen hörte, entschied er sich, die Spezialbuchhandlung zu übernehmen.

Bei Dr. Götze finden fast jeden Monat Lesungen statt

„Ich habe schon als Kind oft vor dem Schaufenstern gestanden und die Globen bestaunt. Das war immer ein Erlebnis“, erinnert er sich bis heute mit leuchtenden Augen. Aus dem Jungen wurde ein – guter – Kunde. Nach dem Start seines Inselgeschäfts habe er dort viele Karten von den Inseln gekauft, die er verkaufen wollte.

Nach der Übernahme verlegte Vladi das Ladengeschäft wieder in die Nähe des Gründungsorts ans Alstertor. Außerdem baute er den Handel mit antiken Karten aus. „Das ist eine lukrative Sparte“, sagt Vladi. Und er eröffnete das Reisebüro, das heute mit sechs Beschäftigten und umfangreichem Service zu den größten privaten Anbietern in Hamburg zählt.

Auch Vladi ist nach wie vor regelmäßig im Geschäft – auf jeden Fall bei den Lesungen, die nach der Corona-Pause jetzt wieder fast jeden Monat bei Dr. Götze stattfinden sollen. Zu Gast sind häufig bekannte Namen, darunter auch der heutige Bundeskanzler Olf Scholz (SPD). An diesem Donnerstag moderiert Publizist Stefan Aust einen Abend mit dem Autor Adrian Geiges und seinem Buch „Öfter mal die Welt wechseln“.

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Dr. Götze: Treuer Kunde war Altbundeskanzler Helmut Schmidt

Zeit seines Lebens ein treuer Kunde war auch Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Von ihm gibt es die Geschichte, dass er in jungen Jahren oft stundenlang bei Dr. Götze in Atlanten und Büchern blätterte, aber nie etwas kaufte. Weil ihm damals schlicht das Geld fehlte, wie er Inhaber Dr. Götze irgendwann gestand. Später änderte sich das. Juwelier Hellmut Wempe kam bis zu seinem Tod vor einigen Wochen ebenfalls regelmäßig in die Reisebuchhandlung und ging meist mit einem ganzen Stapel Bücher unter dem Arm wieder hinaus. Auch TV-Moderator Jörg Pilawa, der Gründer des Alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll, und Ohnsorg-Schauspielerin Beate Kiupel gehören zu den Stammkunden.

Bis heute ist das Geschäft auf eine liebenswerte Weise altmodisch. Wer modernes Ladendesign, Computermonitore mit schnellen Videos oder digitale Gadgets zur Weltaneignung sucht, ist hier falsch. Bei Dr. Götze folgt alles der geografischen Ordnung der Erde – und zwar auf Regalen, die Jahrzehnte alt sind. Jeder Winkel ist vollgestellt. Trotzdem kommen auch Jüngere in die Spezialbuchhandlung. Menschen, die sich normalerweise mit Google Maps durch die Welt bewegen. „Natürlich gibt es fast alles heute auch im Internet“, sagt Knud Harms. Aber da fehle das Emotionale. „Viele Kunden wollen Bücher und Karten anfassen, darin blättern und schon mal auf Kopfreise gehen, bevor es losgeht.“ Auch in Zukunft werden Karten und Reisebücher nicht aussterben, ist er sich sicher. „Wir bieten eine Erlebniswelt, und die müssen wir erhalten.“