Hamburg. Ist die Zeit hoher Inflationsraten vorbei? Experten erwarten Preiskämpfe. Doch in einem wichtigen Bereich ist keine Entlastung in Sicht.

Verbraucher haben damit ihre leidvollen Erfahrungen machen müssen: Wenn die Inflationsrate zum Beispiel für Lebensmittel sinkt, dann muss das keineswegs heißen, dass die Produkte in den Regalen der Hamburger Supermärkte und Discounter wieder billiger werden. Sie verteuern sich eben nur nicht mehr so stark wie bisher.

Doch bei einigen wichtigen Nahrungsmitteln sind die Preise zuletzt tatsächlich gesunken. So kostet ein Liter Biovollmilch bei Aldi seit einigen Tagen 1,35 Euro statt 1,45 Euro. Der Milchindustrie-Verband erklärt die Preis-„Höhenflüge“ für beendet, in diesem Jahr sei mit weiteren „Korrekturen“ zu rechnen – und zwar nach unten.

Preise: Experten erwarten „Jahr der Rabattschlachten“

Noch deutlicher sind die Butterpreise gefallen. Hier reduzierten der Discounter Aldi und die Verbrauchermarktkette Kaufland die Preise ihrer jeweiligen Eigenmarken-Produkte Milsani beziehungsweise K-Classic von 1,99 Euro auf 1,59 Euro für 250 Gramm.

Stark abwärts ging es auch beim Kaffee, nachdem er auf dem Weltmarkt schon seit dem Herbst spürbar günstiger gehandelt wird. So kostet bei Edeka die 500-Gramm-Packung Jacobs Krönung nun 4,44 statt 6,99 Euro, bei Kaufland zahlt man für Dallmayr Classic 4,88 Euro anstatt zuvor ebenfalls 6,99 Euro. Aldi-Rivale Lidl will den Preis seiner Kaffee-Eigenmarken nach eigenen Angaben dauerhaft um 10 bis 20 Prozent heruntersetzen.

Zusätzlich dürften zahlreiche zeitlich begrenzte Aktionen die Preise nach unten treiben. „Vieles spricht dafür, dass 2023 ein Jahr der Rabattschlachten wird“, erwarten die Experten der auf Preissetzungsstrategien spezialisierten Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners. „Die Lagerbestände sind bei Händlern und Herstellern hoch, Konsumenten aufgrund der hohen Inflation und stagnierender beziehungsweise sinkender Real-Einkommen aber preissensibel wie nie“, heißt es dort zur Erklärung.

Voraussichtlich würden Einzelhändler vor diesem Hintergrund verstärkt auf Aktionen setzen, „um so Marktanteile zu verteidigen, Preissteigerungen abzumildern und preissensible Kunden zu halten.“

Angespannte finanzielle Lage vieler Haushalte führt zu Sonderangeboten

Nicht nur die Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners, sondern auch das Marktforschungsinstitut GfK weist auf die Tendenz zu immer mehr Preisaktionen hin. „Das Promotion-Hamsterrad dreht sich mit voller Geschwindigkeit“, sagt Robert Kecskes, GfK-Experte für Konsumententrends. Schon im vorigen Jahr habe sich bei Gütern des täglichen Bedarfs der Umsatzanteil der Sonder­angebote deutlich erhöht. Angesichts der weiterhin angespannten finanziellen Lage vieler Haushalte würden gerade die Markenartikler zunächst die „Promotion­intensität weiter hochhalten müssen“, erwartet Kecskes.

Es gibt allerdings auch auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene einige Anzeichen für ein baldiges Ende der historisch hohen Teuerungsraten. Zwar rechneten Volkswirte bereits seit dem Spätherbst damit, dass die Verbraucherpreise in diesem Jahr geringfügig langsamer steigen als 2022, als sie sich in Hamburg um 7,2 Prozent und im Bundesgebiet um 7,9 Prozent gegenüber 2021 erhöhten.

Aber Carsten Mumm, Chefvolkswirt des Hamburger Bankhauses Donner & Reuschel, sagte dem Abendblatt schon im Dezember: „Eine der positiven Überraschungen im Jahr 2023 könnte sein, dass die Inflation geringer ausfällt, als viele erwarten.“ Seitdem haben sich die Signale, die darauf hindeuten, noch verstärkt.

Erdgas kostet an der Börse jetzt weniger als zu Beginn des Ukraine-Kriegs

So ist der Großhandelspreis für Erdgas – nach Angaben der Hamburger Bank Berenberg der europaweit bedeutendste Inflationstreiber des vergangenen Jahres – von seinen Höchstwerten oberhalb der Marke von 300 Euro je Megawattstunde (MWh) im Spätsommer auf inzwischen nur noch rund 54 Euro zurückgefallen (siehe Grafik). Er liegt aktuell klar unter dem Stand zu Beginn des Ukraine-Krieges.

Die Container-Frachtraten, die den Preis der vielen vor allem aus Asien importierten Güter beeinflussen, haben sich in den zurückliegenden neun Monaten ungefähr gedrittelt. Und die sogenannten Erzeugerpreise, die die Entwicklung der Verbraucherpreise um einige Monate vorwegnehmen, sind schon seit dem Sommer 2022 immer weiter zurückgegangen.

Carsten Mumm fühlt sich durch solche Daten in seiner Einschätzung vom Dezember bestätigt. „Wir werden im ersten Halbjahr 2023 deutlich sinkende Inflationsraten sehen“, sagt er jetzt. Dazu trügen nicht allein die niedrigeren Energie- und Transportkosten bei, sondern auch eine weltweite Abschwächung der Konjunktur und damit der Nachfrage. Mumm rechnet nun mit einer Teuerungsrate von 5,0 bis 6,0 Prozent im Jahresschnitt 2023, verglichen mit bundesweit 7,9 Prozent im abgelaufenen Jahr.

Inflationsrate könnte Ende 2023 auf 3,0 Prozent sinken

Ganz ähnlich sieht das Jochen Intelmann, der Chefvolkswirt der Haspa. „Staatliche Maßnahmen zur Entlastung der Bürger bei den Energiekosten haben den Verbraucherpreisanstieg schon im Dezember deutlich gedämpft“, sagt Intelmann. „Im März dürfte die Inflationsrate um rund 2,0 Prozentpunkte abnehmen, was auf den Basiseffekt des starken Energiepreisanstiegs unmittelbar nach Beginn des Ukraine-Krieges Ende Februar 2022 zurückzuführen ist.“

Nach Einschätzung des Haspa-Chefvolkswirts wird bei der Teuerungsrate zum Ende des Jahres 2023 schon nur noch eine Drei oder eine Vier vor dem Komma stehen. Salomon Fiedler, Volkswirt des Bankhauses Berenberg, veranschlagt die Inflation zum Jahresende auf rund drei Prozent.

Einig sind sich die Experten darin, dass von einer Lohn-Preis-Spirale, die manche im vergangenen Jahr für möglich hielten, derzeit nichts zu sehen ist. „In den bisherigen Tarifeinigungen hat man neben einer moderaten dauerhaften Lohnerhöhung eine Einmalzahlung zum Ausgleich des Kaufkraftverlusts vereinbart“, sagt Intelmann. „Damit haben sich die Tarifparteien aus volkswirtschaftlicher Sicht sehr verantwortungsvoll verhalten.“

Mieten in Hamburg werden noch länger Belastungsfaktor bleiben

Auch Fiedler weist auf diesen Faktor hin. Bislang habe der Anstieg der Lohnstückkosten kein Ausmaß erreicht, das eine Normalisierung der Kerninflation – das ist die Teuerungsrate ohne Berücksichtigung der Lebensmittel und des Energiesektors – verhindern könnte.

Aus allen diesen Gründen rechnen die Experten mit einer weiteren Abschwächung des Preisauftriebs im nächsten Jahr. Fiedler schätzt die Inflationsrate 2024 auf 2,4 Prozent, Intelmann erwartet ein Jahresmittel von 2,5 Prozent. Damit wäre das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank, die eine Rate von etwa 2,0 Prozent anstrebt, nahezu erreicht.

Nicht ganz so optimistisch ist Carsten Mumm. Er verweist dazu auf die Demografie: „Wegen der zunehmenden Knappheit von Arbeitskräften werden die Löhne tendenziell etwas stärker steigen als in den vergangenen zehn Jahren“, so Mumm. Daher rechnet er mittelfristig mit Inflationsraten in Deutschland von rund 3,0 Prozent und nicht mit einer Rückkehr in den bis zur Corona-Pandemie gewohnten Korridor zwischen 1,0 und 2,0 Prozent.

Ein gerade für Hamburger bedeutender Ausgabenblock wird wohl ohnehin so bald keine Entlastung bieten: Wegen der stockenden Neubautätigkeit werden die Kaltmieten in der Hansestadt in den nächsten Jahren um 2,5 bis 3,0 Prozent jährlich zunehmen, erwartet Sascha Hanekopf­, Regionalleiter Hamburg des Immobilienberaters Colliers.