Hamburg. Wie wird sich der DAX im Jahr 2023 entwickeln? Welche Papiere versprechen hohe Renditen? Und was ist mit der Inflation? Die Antworten.
Nach drei Jahren in Folge mit Kursgewinnen kamen 2022 für den Aktienmarkt dann doch zu viele Belastungsfaktoren zusammen: Der schreckliche Krieg in der Ukraine, die extremen Energiepreissteigerungen und die kräftige Zunahme der allgemeinen Inflationsraten – und nicht zuletzt die geradezu dramatische Zinswende.
So geht das Jahr mit einem Minus im Deutschen Aktienindex (DAX) von rund zwölf Prozent zu Ende. Hamburger Titel konnten sich diesmal nicht besser halten als der Gesamtmarkt, der Haspax gab sogar um fast 24 Prozent nach. Dabei schnitten die Anteilsscheine des Wohnungsinvestors TAG Immobilien und des Online-Modehändlers About You mit Verlusten von rund 75 beziehungsweise etwa 74 Prozent besonders schlecht ab.
„Wir haben das Ende einer 40-jährigen Zinssenkungsphase gesehen“
In diesem Jahr erübrigt es sich, die vor gut zwölf Monaten von den Banken veröffentlichten Prognosen für 2023 mit dem tatsächlichen DAX-Endstand zu vergleichen. Zu vieles ist geschehen, was damals schlicht nicht erwartet werden konnte. „Dass die Zinswende eine derartige Wucht entfalten würde, hat kein Marktteilnehmer vorausgesehen“, sagt Dennis Hummelmeier, Leiter Wealth Management Nord beim Hamburger Privatbankhaus Berenberg.
Und in den Augen von Carsten Mumm, Chefvolkswirt von Donner & Reuschel, hat es auch am Finanzmarkt so etwas wie eine Zeitenwende gegeben: „Nach meiner Auffassung haben wir das Ende einer 40-jährigen Zinssenkungsphase gesehen.“
Auf der anderen Seite haben sich die Aktien nach Einschätzung von Bernd Schimmer, Chef-Investment-Stratege der Haspa, angesichts des Ukraine-Krieges und des historisch ziemlich einmalig rasanten Zinsanstiegs gar nicht so schlecht gehalten: „Gemessen daran sind die Kursverluste relativ moderat. Man hätte sehr viel Schlimmeres erwarten können.“
Allgemein gehen die Hamburger Wertpapierexperten für 2023 von wieder steigenden Kursen aus – und das, obwohl nach den Worten von Daniel Hupfer, Leiter des Portfolio Managements von M.M. Warburg & CO, „eine zumindest leichte globale Rezession wahrscheinlich“ ist. Vor allem der Verlust an Kaufkraft der Konsumenten durch die deutlich gestiegenen Preise sowie eine Belastung der Unternehmensinvestitionen durch sehr viel höhere Zinskosten werden sich laut Hupfer 2023 negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken.
Im ersten Quartal 2023 könnten die Aktienkurse noch sinken
„Das erste Halbjahr könnte am Aktienmarkt noch relativ ruppig verlaufen“, sagt Hummelmeier. „Die Zinsen müssen erst einen Höchststand erreichen, bis es ruhiger wird – und das erwarten wir für das Ende des ersten Quartals.“ Schimmer geht für das erste Quartal noch von tendenziell sinkenden Aktienkursen aus, schon allein deshalb weil manche Investoren befürchteten, die Europäische Zentralbank könne die Zinsen gemessen am konjunkturellen Umfeld zu stark hochsetzen.
Doch für das zweite Halbjahr rechnen alle Hamburger Börsenexperten mit Kursgewinnen. „Unter der Voraussetzung, dass sich der Ukraine-Krieg nicht weiter verschärft, sehe ich nicht, warum der Aktienmarkt 2023 nach unten gehen sollte“, sagt Torsten Johannsen, Leiter des Privatkundengeschäfts beim Hamburger Bankhaus Otto M. Schröder.
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„Die Bewertungen sind günstig, die Rezessionsbefürchtungen sind in den Kursen schon verarbeitet.“ Im Jahr 2022 habe man sehr starke Mittelabflüsse aus Aktienfonds gesehen, sagt Hummelmeier: „Damit sind viele Anleger jetzt sehr risikoarm positioniert. Aber das Geld muss irgendwo hin und Aktien sind im Hinblick auf die Bewertung deutlich günstiger geworden, was vor allem für europäische Titel gilt.“
Die Inflationsrate birgt das Potenzial für eine positive Überraschung
Zumindest für den US-Aktienmarkt, der aber dem DAX häufig die Richtung weist, gibt es darüber hinaus laut des Wertpapierexpertenteams von M.M. Warburg noch einen rein statistischen Grund für einen Aufschwung: Seit 1945 notierten US-Aktien in dem Jahr nach den dortigen Zwischenwahlen ausnahmslos höher – und die sogenannten „Midterms“ haben gerade stattgefunden.
Womöglich trägt auch die Teuerungsrate, die den Verbrauchern in Deutschland im zurückliegenden Jahr große Sorgen bereitet hat, bald schon zu stärkerem Rückenwind für die Aktien bei. „Eine der positiven Überraschungen im Jahr 2023 könnte sein, dass die Inflation geringer ausfällt, als viele erwarten“, sagt Mumm. Er rechnet im Jahresschnitt mit einer Teuerungsrate in Deutschland von rund sechs Prozent, nach voraussichtlich 8,4 Prozent im Jahr 2022. Während die USA bei der Inflation den Höhepunkt schon hinter sich hätten, würden allerdings in Europa die Teuerungsraten in den ersten beiden Monaten des Jahres 2023 noch einmal höher sein als die bisher verzeichneten, glaubt Schimmer.
Eines hat sich am Finanzmarkt jedenfalls schon jetzt geändert: „Festverzinsliche Papiere sind wieder eine relevante Anlageklasse, auch wenn sie noch keine positive Realverzinsung bieten“, so Hummelmeier. Mit einer Rendite von vier bis fünf Prozent seien Unternehmensanleihen zwar viel attraktiver geworden, für den Kapitalerhalt nach Abzug der Inflation reiche es aber noch nicht, merkt Johannsen dazu an. Immerhin könnten Unternehmens- und Bankenanleihen aber nun schon die meisten Dividendenrenditen schlagen, sagt Haspa-Wertpapierstratege Schimmer.
Mittelgroße Titel sollten sich besser entwickeln als die Standardwerte
Auch wenn alle Hamburger Aktienexperten für 2023 eine Kurserholung erwarten, dürfte sie je nach Marktsegment unterschiedlich kräftig erfolgen. „Der MDAX ist 2022 deutlich schlechter gelaufen als der DAX“, sagt Mumm. „Ich kann mir gut vorstellen, dass die mittelgroßen Börsenwerte den Rückstand aufholen.“ Das sehen die Experten von M.M. Warburg genauso. Gerade Unternehmen aus der „zweiten Reihe“ seien im Vorfeld einer Rezession einer deutlichen Kurskorrektur ausgesetzt, so wie es auch wieder im Jahr 2022 der Fall gewesen sei.
Hummelmeier hält die Sektoren Rohstoffe und Energie für aussichtsreich. „Für Industriemetalle sehen wir einen Superzyklus, weil sie für die Energiewende benötigt werden“, erklärt er. Vor dem Hintergrund der Inflation setze man „am besten auf die Aktien von Marktführern oder Unternehmen, die in einer Nische stark sind, weil solche Anbieter über starke Preissetzungsmacht verfügen.“
Sollte es China gelingen, nach der aktuellen Corona-Welle dort die Wirtschaft zu stabilisieren, dann bestehen für Aktien des Luxussektors nach Ansicht von Schimmer gute Perspektiven, „denn die Kunden solcher Unternehmen haben finanzielle Reserven.“ Er setzt zudem auf Unternehmen, die von den Themen Automatisierung und Industrie 4.0 profitieren: „Es gibt den starken Trend, Produktion nach Europa zurückzuholen. Um hier effizient fertigen zu können, muss man aber viel stärker automatisieren als bisher.“
Technologie-Aktien dürften vom Ende des Zinsanstiegs profitieren
Wie schon in den Vorjahren wird Torsten Johannsen von der Schröder-Bank konkreter als die anderen Hamburger Wertpapierspezialisten, wenn es um Aktientipps für das nächste Jahr geht. „Versicherungstitel wie Allianz und Münchener Rück profitieren vom Zinsanstieg“, sagt er. Dem Chemiekonzern BASF wiederum kämen die zuletzt wieder etwas gesunkenen Rohstoffpreise zugute.
Genau wie Schimmer erwartet auch Johannsen, dass der Technologiesektor nach den überproportionalen Einbußen der jüngsten zwölf Monate, in denen etwa die US-Technologiebörse Nasdaq Verluste von knapp 34 Prozent verzeichnete, zu den künftigen Gewinnern gehören kann. „Wenn die Zinsen im Jahr 2023 ein Plateau erreichen, dürften die Aktien der großen US-Technologiewerte Alphabet – die Dachgesellschaft von Google –, Apple und Amazon wieder besser laufen“, sagt Johannsen. „Wir setzen auf eine Mischung von Technologietiteln und dividendenstarken Aktien.“ Zu letzteren zählten Siemens, die Schweizer Pharmakonzerne Roche und Novartis sowie die Lebensmittelhersteller Unilever und Kraft Heinz. Stabilisierend im Portfolio wirkten auch die Deutsche Telekom und Freenet.
Nicht investieren würde Johannsen hingegen in Automobilwerte. Der Grund: „Bei der Transformation in Richtung Elektromobilität sind noch einige Hürden zu überwinden.“