Insolvenzverwalter sucht zusammen mit Geschäftsführung nach Investoren. 115 Beschäftigte an acht Standorten sind betroffen.
- Hamburger Bootsausrüster A. W. Niemeyer muss Insolvenz anmelden
- Traditionsunternehmen mit 280 Jahren Geschichte überschuldet
- Insolvenzverwalter sucht Investoren
Anfang Januar hatte der Hamburger Bootsausrüster A.W. Niemeyer (AWM) auf Facebook die Neuauflage seines Katalogs 2023 angepriesen. In zwei Wochen, heißt es in dem Post mit Videoaufnahmen aus der Druckerei, könnten die Kunden die „Wasersport-Bibel“ in ihren Händen halten: 500 Seiten stark mit 32.000 Artikeln rund ums Segeln, Motorbootfahren und Wasserfunsport – vom Schäkel bis zum Schlauchboot mit PS-starkem Außenbordmotor.
Man hatte sich offenbar einiges vorgenommen für das neue Jahr. Noch in der vergangenen Woche war im Segler-Magazin „Yacht“ Werbung für die hauseigene Messe „Boat Show“ Ende März am Firmenstandort in Hamburg und im Juli im Schulauer Hafen in Wedel erschienen.
Hamburger Bootsausrüster Niemeyer ist insolvent
Was daraus wird, ist ungewiss. Denn am Montag hat Geschäftsführer Christoph Steinkuhl Insolvenz beim Amtsgericht Hamburg angemeldet. Das Traditionsunternehmen mit fast 280 Jahren Geschichte kann seine Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlen. Als vorläufiger Insolvenzverwalter wurde der Hamburger Rechtsanwalt Stefan Denkhaus von der Kanzlei BRL eingesetzt. Auf der Ausstellerliste der weltgrößten Bootsmesse boot Düsseldorf, die seit dem vergangenen Wochenende läuft, ist A.W. Niemeyer nicht vertreten.
Der Maritim-Ausrüster war in den vergangenen Jahren finanziell unter Druck geraten und hatte mit mehreren Kurswechseln reagiert. „Aufgrund von mehreren Corona-Lockdowns und Lieferengpässen waren viele nachgefragte Artikel erst nach Ende der Saison für unsere Kunden verfügbar“, erklärte Geschäftsführer Steinkuhl in einer schriftlichen Mitteilung. Erschwert worden sei die Situation durch Inflation, Kostensteigerungen und die spürbare Kaufzurückhaltung.
Hamburger Bootsausrüster insolvent – 115 Beschäftigte betroffen
Betroffen von dem Insolvenzantrag sind 115 Beschäftigte. Ihre Gehälter werden über eine bereits in die Wege geleitete Insolvenzgeldvorfinanzierung für drei Monate, also bis einschließlich März 2023, gesichert. „Der Geschäftsbetrieb wird zunächst fortgeführt“, erklärte Sanierungsexperte Denkhaus auf Abendblatt-Anfrage. Gemeinsam mit der Geschäftsführung habe jetzt die Suche nach Investoren begonnen. Er sei optimistisch, dass das Verfahren bis Ende März abgeschlossen werden könne. „A.W. Niemeyer ist in der Branche bekannt. Es haben sich bereits Interessenten gemeldet.“
Aktuell hat A.W. Niemeyer acht stationäre Standorte. Der größte ist am Stammsitz in Hamburg-Bahrenfeld. Filialen gibt es in Kiel, Lübeck, Dormagen sowie zwei in Berlin. Außerdem ist AWN in Österreich (Wien) und in der Schweiz (Zürich) vertreten und betreibt einen Onlineshop. Der Standort in Taufkirchen ist seit Mitte Dezember geschlossen. Haupteigner ist die Kroschke Gruppe aus Ahrensburg, die eigenen Angaben zufolge mit verschiedenen Unternehmen 65 Prozent an A.W. Niemeyer hält.
Bootsausrüster Niemeyer: Radikaler Kurswechsel in der Vergangenheit
„Wir hoffen, dass die Folgen für Mitarbeitenden, Kunden und Geschäftspartner möglichst gering gehalten werden können und dass sich ein Weg erschließen lässt, um das Unternehmen in neuer Aufstellung und mit neuen Finanzmitteln fortzuführen“, erklärte eine Firmensprecherin auf Anfrage. Anfang 2022 hatten die Ahrensburger, die bundesweit als Kfz-Dienstleister tätig sind, „wesentliche Anteile“ an die damaligen Beiratsmitglieder, Stephan Swinka und Wolfgang Schlaak sowie an den Geschäftsführer Christoph Steinkuhl abgegeben.
Dem war ein radikaler Kurswechsel bei dem Ausrüster vorangegangen, dessen Wurzeln bis ins Jahr 1745 und zu einer Eisenwarenhandlung im und für den Hamburger Hafen zurückreichen. Anfang 2018 hatte AWN die Ruder voll auf Kurs Online herumgerissen – und war damit in schwieriges Fahrwasser geraten. Als neuer Anteilseigner war die Hamburger Beteiligungsgesellschaft Hanse Ventures mit 30 Prozent eingestiegen. Ein kurzes Intermezzo.
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Bootsausrüster Niemeyer eröffnete 2021 neue Standorte
Schon nach knapp zwei Jahren hatte Kroschke die Anteile zurückgekauft. Begründung damals: Zwar sei der E-Commerce-Anteil am Gesamtumsatz deutlich gestiegen, aber auch die Verluste hätten sich durch die hohen Kosten für den Ausbau des Onlinehandels auf etwa vier Millionen Euro fast verdoppelt.
Geschäftsführer Steinkuhl setzte von 2019 an wieder verstärkt auf den Stationärhandel. Auch weil das dem Bedürfnis vieler Kunden entsprach, die lieber direkt bei dem Vollsortimenter kaufen und vor allem die Beratung bei Spezialfragen suchen. Der erfahrene Handelsmann, der lange bei Tchibo den Einkauf für Non-Food-Artikel verantwortet hatte, eröffnete neue Standorte, war 2021 sogar für einige Monate mit einem Pop-up-Store im Elbe Einkaufszentrum vertreten.
Kunden des Yachtausrüsters waren 2022 Veränderungen aufgefallen
Im Abendblatt-Gespräch hatte er damals von Umsatzsteigerungen im zweistelligen Bereich und einer deutlichen Reduzierung der Verluste berichtet – nicht zuletzt aufgrund des Wassersportbooms in der Corona-Zeit. Der im Bundesanzeiger veröffentlichte Geschäftsbericht weist für das Jahr 2020 allerdings immer noch einen Jahresfehlbetrag von 1,34 Millionen Euro aus. Aktuellere Angaben liegen nicht vor.
Kunden des Yachtausrüsters in Hamburg waren im vergangenen Jahr bereits Veränderungen aufgefallen. „Sortiment und Beratung sind schlechter geworden“, sagt Hans-Jürgen Hohmann, der seit 1985 segelt und so lange AWN-Kunde ist. Statt Schrauben und Lacken lägen in den Regalen immer mehr Bekleidung, maritime Deko-Artikel und Angelbedarf. Für die Yacht-Eigner in der Hansestadt wäre das Aus für einen der letzten ausgewiesenen Bootsausrüster mit stationärem Angebot ein Schlag. Für Einkäufe vor Ort bliebe für vieles dann nur die Nautik-Abteilung der Baumarktkette Bauhaus, die zuletzt aufgerüstet hat.