Hamburger Verbraucherzentrale meldet Rekord bei versteckten Preiserhöhungen. Klage gegen den Hersteller von Rama.

  • Beschwerden wegen Mogelpackungen nehmen deutlich zu
  • 2022 war Rekordjahr bei Hamburger Verbraucherzentrale
  • Besonders dreister Fall bei Rama-Magarine

Schreibtisch, Computer, Telefon, Aktenordner – das sind Dinge, die normalerweise in einem Büro zu finden sind. Bei Armin Valet stehen außerdem Dutzende Lebensmittelpackungen in den Regalen und in Kisten. Auf einem Tisch hat er bunt bedruckte Chipstüten ausgebreitet. Nicht zum Essen. Das sind Beweismittel. „Es gibt praktisch keinen namhaften Hersteller, der im vergangenen Jahr nicht das Füllgewicht reduziert hat“, sagt der Hamburger Verbraucherschützer.

Bei gleicher Verpackungsgröße und gleichem Preis. Bei 63 Snacksorten, vor allem Kartoffelchips, haben er und sein Team in den vergangenen Monaten solche versteckten Preiserhöhungen festgestellt. Er nennt das Mogelpackungen. Auch viele andere Lebensmittel sind betroffen.

Seit 2005 deckt Verbraucherschützer Valet Mogelpackungen auf

„Die Beschwerden haben im vergangenen Jahr deutlich zugenommen“, sagt Valet. Schon seit 2005 deckt der Verbraucherschützer versteckte Preiserhöhungen bei Lebensmitteln auf. Mehr als 1000 Einträge hat er inzwischen auf der Liste. Mit 70 neuen Produkten ist 2022 ein Rekordjahr. „Und das ist nur ein Bruchteil der tatsächlichen versteckten Preiserhöhungen“, sagt Armin Valet. „Aber die Zahlen bestätigen die Wucht mit etwa 60 Prozent mehr Fällen im Vergleich zum Vorjahr.“

In diesem Jahr beschäftigt die Verbraucherschützer vor allem eine Taktik der Konzerne: Skrinkflation. Das Kunstwort ist eine Kombination aus dem englischen Verb „to shrink“ (schrumpfen) und „Inflation“. Die Methode ist nichts Neues, aber gerade schrumpfen immer mehr Produkte – wie zum Beispiel die Chipsmenge in der Tüte oder in der Dose. Dahinter steckt angesichts der Preissteigerungen bei vielen Waren und der reduzierten Kaufkraft bei vielen Konsumenten die Idee, dass diese beim Einkaufen nicht merken, wenn sie weniger für ihr Geld bekommen. Für Armin Valet ist es das schlicht „Verbrauchertäuschung“. Und da wird der gebürtige Schwabe schnell grundsätzlich.

Auch wenn man es auf den ersten Blick nicht vermuten würde, legt sich der 56-Jährige regelmäßig mit großen Lebensmittelherstellern an. Er ein gefragter Gesprächspartner, wenn es ums Aufdecken der Tricks der Konzerne geht. Schon als Kind habe er ein besonderes Verhältnis zu Nahrungsmitteln gehabt, sagt der Sohn eines Müllers aus der Nähe von Stuttgart.

Er studierte Lebensmittelchemie in Karlsruhe und Bonn. Im Jahr 2000 fing er bei der Verbraucherzentrale Hamburg an zu arbeiten, inzwischen leitet er die Abteilung Lebensmittel und Ernährung, die bundesweit als Kompetenzzentrum für versteckte Preiserhöhungen gilt.

Mogelpackungen: Valet bekommt Insider-Tipps

Das Thema treibe die Menschen um. „95 Prozent der Mogelpackungen entdecken Verbraucher“, sagt Valet. Manchmal bekommt er auch Insider-Tipps aus der Branche. Er und seine beiden Mitarbeiterinnen recherchieren dann, was an den Beschwerden dran ist. Dazu gehört auch, dass er in Geschäften nach den neuen Produkten und ihren Vorläufern sucht. Das sind die Beweise, mit denen er die Hersteller konfrontieren kann. „Es ist immer auch Detektivarbeit“, sagt Armin Valet. „Und der Aufwand ist manchmal schon sehr groß.“ Aber es gibt auch viel Aufmerksamkeit: Regelmäßig veröffentlicht die Hamburger Verbraucherzentrale die „Mogelpackung des Monats“. Außerdem sind Verbraucher jedes Jahr im Januar aufgerufen, die Mogelpackung des (Vor-)Jahres zu küren.

Im Sommer hatte Valet es mit einem besonders dreisten Fall zu tun. Im Visier des Mogelpackungsdetektivs: die Margarine-Klassiker Rama und Sanella. „Statt bislang 500 Gramm Streichfett sind es jetzt nur noch 400 Gramm in der Verpackung“, sagt Valet und stellt die Behälter als Vorher-nachher-Vergleich auf den Tisch. Tatsächlich sieht die neue Verpackung praktisch genau so aus wie vor der Schrumpfkur, auch die Preisempfehlung ist unverändert. „Für einen Kunden ist der Unterschied nicht ersichtlich.“

Insgesamt mehr als 200 Beschwerden von Verbrauchern waren allein in diesem Fall eingegangen. Unter anderem habe eine Frau geschrieben, dass sie seit Jahrzehnten mit einer Packung Sanella zwei Kuchen backt und erst zu Hause beim Teiganrühren gemerkt hat, dass die Margarinemenge mit der neuen Schrumpfpackung nicht mehr ausreicht.

Verbraucherschutz wirft Rama Irreführung vor

Die Verbraucherzentrale mahnte Hersteller Upfield daraufhin ab, der die Preiserhöhung mit „dramatischen Kostensteigerungen in unserer gesamten Lieferkette, einschließlich unserer Rohstoffe“ begründet hatte. Oftmals sei das erfolgreich, und es gebe eine Einigung, sagt Valet. Nicht so dieses Mal. Inzwischen haben die Hamburger Verbraucherschützer Klage beim Landgericht eingereicht. Konkret geht es um die Marke Sanella, die seit 1904 auf dem Markt ist. „Wir meinen, wenn ein Produkt seit Jahrzehnten mit 500 Gramm angeboten und dann ohne jegliche Kenntlichmachung mit deutlich weniger Inhalt verkauft wird, ist das Irreführung“, sagt Armin Valet. Mit der Klage gehen die Verbraucherschützer ein hohes finanzielles Risiko ein. „Es ist ein bisschen so wie bei David gegen Goliath. Wenn wir verlieren, können die Prozesskosten schnell in fünfstellige Höhe steigen.“

In den vergangenen Jahren hat die Politik die Rechte der Verbraucher deutlich gestärkt, die Bedeutung der Verbraucherzentralen als Anwälte der Konsumenten ist gewachsen. Auch für Armin Valet ist es mehr als ein Job. Dabei findet er immer wieder sehr deutliche Worte. Zum Beispiel, wenn es um die stark steigenden Lebensmittelpreise in diesem Jahr geht. „Da gibt es Gewinnmitnahmen“, sagt er und verweist auf eine Untersuchung des Ifo-Instituts Dresden.

Es gebe zahlreiche Beispiele, bei denen die Preissteigerungen nicht gerechtfertigt seien, sagt der Hamburger Verbraucherschützer. Ein Beispiel: Ein bekannter Hersteller von Konfitüre habe bereits in der ersten Jahreshälfte 2022 die Preise um satte 20 Prozent erhöht, obwohl damals noch die Ernte des Vorjahres in Gläsern ebenfalls aus dem Vorjahr verkauft worden sei. „Ein großes Problem ist die fehlende Transparenz. Die Kunden können die Kostensteigerungen in der Regel nicht nachvollziehen“, kritisiert Armin Valet.

Für 2023 sagt er ein weiteres schwieriges Jahr für die Verbraucher voraus. „Bei den Preiserhöhungen im Lebensmittelbereich ist das Ende noch nicht erreicht.“ Die Macht der Konsumenten sieht er auch darin, genauer hinzuschauen, Preisvergleiche zu machen und sich im Zweifelsfall zu beschweren. Trotzdem rechnet er damit, dass gerade das Thema „Ernährungsarmut“ immer mehr Menschen in Deutschland betrifft. Gemeint ist damit, wenn die finanziellen Mittel oder die Fähigkeiten fehlen, täglich ausreichend gesunde und ausgewogene Lebensmittel auf den Tisch zu bringen. „Da haben wir als Verbraucherzentralen eine besondere Verantwortung.“ Auch Valet bietet regelmäßig Online-Vorträge an, bei denen er Tipps gibt, wie man sich trotz steigender Preise gut ernährt. „Das Interesse steigt spürbar“, sagt er.

Verbraucherschutz nimmt die Politik bei Mogelpackungen in die Pflicht

Zugleich fordert der Verbraucherschützer auch mehr Hilfen für die Betroffenen von der Politik. „Die Menschen müssen zielgerichtet mit mehr Geld unterstützt werden, wenn wie jetzt das gesamte Leben mit Mieten, Energie und Nahrungsmittel teurer wird.“ Sinnvoll wäre auch eine Mehrwertsteuersenkung für Obst und Gemüse, um die Preise von frischen Produkten attraktiv zu halten. Und natürlich hat Armin Valet auch einen Vorschlag, wie der Gesetzgeber die Flut der Mogelpackungen eindämmen könnte. „Wir fordern einen Paradigmenwechsel.“ Aktuell seien 30 Prozent Luft in Verpackungen erlaubt. „Aus unserer Sicht müssen Packungen voll befüllt sein und die Größen entsprechend angepasst werden.“

Im Fall einer nur halb vollen Müslidose der Lidl-Marke Crownfield hatte die Verbraucherzentrale gegen den Discounterriesen geklagt. Das Unternehmen hatte eingelenkt und eine Unterlassungserklärung abgegeben. „Lidl darf Müsli nicht mehr als Luftpackung verkaufen“, sagt Valet und verweist andere Staaten wie Brasilien, wo Firmen über gesetzliche Regelungen gezwungen sind, Gewichtsänderungen auf der Verpackung kenntlich zu machen. Bislang passiere hierzulande auf politischer Ebene kaum etwas. „Sowohl auf Bundesebene als auch vom Senat in Hamburg wird immer wieder Unterstützung zugesagt. Aber es ist frustrierend, wie wenig passiert“, kritisiert der Verbraucherschützer. Immerhin hat die Hamburgische Bürgerschaft kurz vor Weihnachten beschlossen, die Verbraucherzentrale in den kommenden beiden Jahren zusätzlich mit 685.000 Euro zu fördern.

Und wie schützt der Verbraucherschützer sich selbst als Verbraucher? Armin Valet lacht. „Ich kaufe wenig Fertigprodukte, koche gern mit frischem Gemüse“, sagt er. Aber, gibt der Vater von drei Teenagerkindern im Alter zwischen neun und 15 Jahren zu, es landeten auch bei ihm schon mal Schokomüsli mit viel Zucker und andere ungesunde Produkte im Einkaufskorb. „Ich muss auch mal Kompromisse machen“, sagt er augenzwinkernd. „Das ist bei uns auch nicht anders als in anderen Familien.“