Hamburg. Jan Loleit, Geschäftsführer der Bäckerinnung Hamburg, spricht im Interview über hohe Kosten, Fachkräftemangel und mehr Lehrlinge.

Brot und Brötchen sind zuletzt immer teurer geworden. Der Grund: Bäckereien gelten als Betriebe, die besonders stark unter den hohen Energiekosten leiden. Und diese geben sie an ihre Kundschaft weiter. Wie werden sich die Preise an den Verkaufstheken 2023 entwickeln? Werden Öffnungszeiten wegen des fehlenden Verkaufspersonals weiter eingeschränkt? Jan Loleit, Geschäftsführer der Bäckerinnung Hamburg und für weitere Bundesländer im Norden zuständig, spricht im Interview mit dem Abendblatt über die Nöte und Chancen der Branche. Dabei wirbt er offen für das Handwerk und versucht mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass man mit einem Studium auf längere Sicht mehr verdienen kann als in einem Handwerksberuf.

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PJan Loleit ist Geschäftsführer der Bäcker­innung Hamburg.

© Bäckerinnung Hamburg | Bäckerinnung Hamburg

Hamburger Abendblatt: Viele Lebensmittel – auch in Bäckereien – werden immer teurer. Befürchten Sie nicht, dass Kunden seltener zum Bäcker gehen, wenn die Inflation weiter so hoch bleibt?

Jan Loleit: Der Kunde wird seine Grundnahrungsmittel weiter benötigen. Das ist bei Brot nicht so wie beim Friseur, wo man vielleicht mal einen Termin ausfallen lassen kann. Die Bäckereien merken aber teilweise schon jetzt, dass die Kundenzahl rückläufig ist oder dass der Kassenbon nicht mehr so hoch ausfällt wie früher. Der Umsatz ergibt sich ja aus Preis multipliziert mit der verkauften Menge – und wir haben hier einen Balanceakt. Denn teurere Produkte, etwa Torten, werden schon heute weniger gekauft. Einer Umfrage zufolge beläuft sich der Rückgang auf rund zehn Prozent.

Und es gibt auch die nicht zu unterschätzende Konkurrenz der Discounter …

Jan Loleit: Ja, es ist deshalb wichtig, dass die Bäcker die Qualität hochhalten, um sich dadurch vom Discounter zu unterscheiden. Die Kunden spüren die Energiekrise bisher noch nicht so sehr, aber das wird sich schon bald ändern und die Menschen noch preissensibler werden lassen.

Hinzu kommt, dass auch Discounter inzwischen handwerklich hergestelltes Brot anbieten, etwa Produkte Ihrer Kollegin Katharina Daube, der Obermeisterin der Bäckerinnung. Neben den gewohnten Produkten finden Kunden etwa bei Aldi in der Hansestadt jetzt auch Brote und Kuchen aus der Handwerksbäckerei Daube.

Jan Loleit: Ja, aber unsere Mitglieder bieten ihre Produkte bei Discountern nicht zu normalen Discounter-Preisen an, sie sind teurer, da die Produktion aufwendiger ist.

Wie entwickeln sich die Rohstoffpreise, etwa für Weizen, der am Anfang des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine erheblich teurer geworden ist?

Jan Loleit: Zunächst einmal: Die Rohstoffmärkte kommen etwas zur Ruhe. Auch im Bäckerhandwerk sprechen wir mittlerweile von einem globalisierten Markt, das zeigt sich jetzt am Konflikt in der Ukraine. Zwar kaufen die Betriebe des deutschen Handwerks nicht in der Ukraine, sondern regionalen oder deutschen Weizen. Aber auch dieser Preis orientiert sich am Weltmarktpreis. Dazu kam die Knappheit bei Speiseöl, weil es einen Exportstopp des wichtigsten Weltproduzenten Indonesien gab. Das sind Themen, die man als Pro­blem im regionalen Bäckerhandwerk gar nicht vermutet. Aber die Rohstoffpreise sind nicht mehr das dringende Problem, sie stabilisieren sich auf höherem Niveau.

Zwischenzeitlich ist aber der Mindestlohn gestiegen, auf 12 Euro. Wie wirkt sich das auf die Bäckereien aus?

Jan Loleit: Der Zuwachs beim Mindestlohn hat zum Anstieg der Gehälter im aktuellen Tarifvertrag um bis zu 20 Prozent geführt. Gehaltssteigerungen, wenn auch nicht in dieser Höhe, ziehen sich durch alle Lohn- und Gehaltsgruppen – eben auch bei Fachverkäuferinnen, Bäckermeistern oder Filialleitungen. In Bäckereien sind die Personalkosten ohnehin der größte Faktor, sie machen jetzt schnell die Hälfte der Gesamtkosten eines Betriebes in unserem Handwerk aus. Dazu kommt, dass die Bäcker in Hamburg häufig übertariflich zahlen. Das Bäckerhandwerk ist sehr personalintensiv.

Wie hoch sind die Gehälter?

Jan Loleit: Ein Bäckergeselle bekommt als Tarif­gehalt für eine 38,5-Stunden-Woche rund 2500 Euro im Monat. Aber etwa für Nachtarbeit von 22 bis 3 Uhr gibt es noch einmal einen Zuschlag von 60 Prozent. Hinzu kommen weitere Zuschläge zum Beispiel für Feiertagsarbeit.

Wie finden Sie Nachwuchs in einer Branche, die durch diese Nachtarbeit nicht zu den beliebtesten gehört?

Jan Loleit: Das ist vielleicht überraschend: Wir haben in Hamburg eine steigende Zahl von Azubis im Beruf des Bäckers, dies ist allerdings ein Hamburger Phänomen und anders als in anderen Bundesländern. Wir hatten 2021 insgesamt 59 Bäckerlehrlinge in der Hansestadt – und 68 im gerade zu Ende gegangenen Jahr 2022.

Es gibt mehr Lehrlinge bei Hamburgs Bäckern, die Zahl der Auszubildenden bei den Fachverkäuferinnen ist aber rückläufig. Wie passt das zusammen?

Jan Loleit: Das ist nicht leicht zu erklären. Eventuell bilden einzelne Betriebe verstärkt im Beruf der Bäcker aus, oder das Interesse an diesem Beruf steigt. Mittlerweile ergreifen auch immer mehr Frauen den Beruf der Bäckerin.

Und die immer größer werdenden Betriebe finden genug Nachwuchs?

Jan Loleit: Wir hatten in den vergangenen Jahren das Imageproblem des Handwerks bedingt durch eine – politisch gewollte – zunehmende Akademisierung. Doch nun gibt es allmählich wieder einen anderen Trend. Die jungen Menschen schauen stärker, was ihnen Spaß macht. In meinem Abiturjahrgang hat noch jeweils ein Drittel angefangen Betriebswirtschaftslehre oder Jura zu studieren. Heute ist der Berufsmarkt doch deutlich individueller. Und schließlich hat man als Bäcker oder Bäckerin sehr viele Möglichkeiten. Bei vielen Bäckereien sehen wir jetzt einen Generationswechsel. Bäcker bilden sich etwa zum Brotsommelier weiter. Und auch das Marketing über die sozialen Medien ist mittlerweile für die Jüngeren normal.

Dennoch klagen viele Bäcker über Fachkräftemangel. Wie reagieren die Bäckereien mit Blick auf diesen Engpass?

Jan Loleit: Der Fachkräftemangel betrifft alle Wirtschaftsbereiche. Bei uns kann man etwa die Arbeitszeit über neue Technologie attraktiver gestalten. Dazu werden zum Beispiel mit modernen Geräten Gärprozesse unterbrochen, sodass die Arbeit stärker in die Tageszeit verlegt werden kann.

Zudem gibt es den Trend, Öffnungszeiten zu reduzieren.

Jan Loleit: Ja, bundesweit. Manche Bäckereien sind leider gezwungenermaßen für komplette Tage geschlossen. Das liegt an der Personalsituation, vor allem daran, dass wir keine Verkaufskräfte finden. Dann sind manche Bäckereien vielleicht sonntags geschlossen oder in der Vorkassenzone in den Supermärkten nicht so lange geöffnet wie der Supermarkt selbst. Dieses Pro­blem wird sich noch ausweiten.

Wie wirkt sich die Energiekrise aus?

Jan Loleit: Wir werden Anfang 2023 in eine schwierige Situation kommen. 2022 war die Energiekrise dadurch gekennzeichnet, dass einige Betriebe aus ihren preiswerteren Energieverträgen herausgefallen sind, weil zum Beispiel Gasversorger in die Insolvenz gingen. Andere Bäcker hatten keine langfristigen Verträge, weil sie auf dem sogenannten Spotmarkt – also tagesaktuell – eingekauft haben. Das war früher eine Alternative. Anfang 2023 werden viele bestehende, günstigere Energieverträge auslaufen, oder in laufenden Verträgen werden die Preise nach oben angepasst.

Wie stark sind die Betriebe dadurch finanziell belastet?

Jan Loleit: Das ist von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Ein Bäckerbetrieb mit der durchschnittlichen Zahl von 40 Mitarbeitern hatte Ende 2021 vielleicht rund 8000 Euro an monatlichen Energiekosten. Ab Anfang 2023 wird er 16.000 Euro im Monat zahlen müssen für Gas und Strom – etwa für Öfen und Kühlräume. Machten die Energiekosten bis jetzt vier Prozent der Gesamtkosten aus, werden es jetzt eventuell sieben Prozent sein. Wenn ich die gestiegenen Energiekosten decken will, müsste ich also bei 8000 Euro monatlichen Mehrkosten rund 16.000 Brötchen mehr verkaufen. Doch das funktioniert nicht. Denn die Preiserhöhungen sind ja nicht unbegrenzt.

Wie werden sich aus Ihrer Sicht die Preise für die Kunden 2023 entwickeln?

Jan Loleit: Fest steht, dass die Betriebe die Preise weiter erhöhen müssen, da Rohstoffe, Personal und Energie mehr kosten. Die Preiserhöhungen werden aber nicht einheitlich sein, das wäre ja auch eine Preisabsprache, sondern unterschiedlich nach Produktgruppen.

Das heißt im Detail?

Jan Loleit: Wir gehen davon aus, dass die Preise in den vergangenen Monaten bereits um 15 Prozent gestiegen sind. Und aus betrieblicher Sicht müssten 2023 weitere Preissteigerungen folgen, vielleicht um zehn Prozent, das ist aber nur eine Schätzung. Vor einem Jahr hat ja ein Weizenbrötchen oft noch 40 Cent gekostet, jetzt häufig 50 Cent, das kommt auf den Standort an. In Blankenese lassen sich die Preise vielleicht besser durchsetzen als in anderen Stadtteilen.

Wie entwickelt sich die Zahl der Filialen in Hamburg?

Jan Loleit: Es gibt im Hamburger Handwerk 63 eingetragene Bäckereien mit einer unterschiedlichen Anzahl von Filialen, die mir im Einzelnen nicht bekannt ist. Da ist der Bäcker mit einer Verkaufsfiliale, aber da sind auch Betriebe mit bis zu 100 Filialen. Bei meinen Innungsbetrieben, das sind nicht alle Handwerksbäckereien, hat in den vergangenen zwei Jahren ein Betrieb geschlossen. Nach der Handwerkszählung hat in Hamburg ein Bäckereibetrieb im Durchschnitt 46 Mitarbeiter, bundesweit sind es 26, wir haben hier also größere Unternehmen. Grundsätzlich gilt: Die Anzahl der Filialen pro Betrieb nimmt zu. Oft werden dabei gut laufende Standorte von Wettbewerbern übernommen. Wir gehen aber insgesamt von einem leichten Rückgang bei den Ladengeschäften aus.

Gibt es mehr Ketten und weniger Einzelkämpfer?

Jan Loleit: Die Branche hat sich verändert: Die Zahl der kleinen althergebrachten Betriebe, die ihre Produktion mit angeschlossenem Verkaufsraum vielleicht seit über hundert Jahren im Wohngebiet haben, sinkt. Heute werden moderne Technologien wie Ofen- und Kühlanlagen oder auch Wärmerückgewinnung immer wichtiger und führen zu größeren Produktionseinheiten. Auch die behördlichen Auflagen werden immer mehr. Die Technik ist auch mit sehr hohen Investitionen verbunden, die sich kleinere Betriebe deutlich schwerer leisten können.

Stirbt der handwerkliche Betrieb?

Jan Loleit: Es gab vor einigen Jahren die Geiz-ist-geil-Mentalität in Deutschland. Vor allem bei jungen Leuten erleben wir jetzt eine Umkehr der Essgewohnheiten, das spielt den Bäckern in die Karten. Es ist die Frage, ob das durchzuhalten ist in breiten Bevölkerungsschichten angesichts der Inflation, aber es gibt eben mehr Wertschätzung für Bio- oder regionale Lebensmittel – und das ist positiv für das Bäckerhandwerk. Die Energiekosten und andere steigende Preise belasten zudem auch die großen industriellen Anbieter stark.

Inwiefern trifft das auf bekannte Namen großer Betriebe wie Harry in Schenefeld nahe Hamburg zu?

Jan Loleit: Ich kenne die tatsächliche Kostensituation natürlich nicht. Sicherlich steht auch die Brotindustrie vor einer großen Herausforderung bei den Energiekosten, weil sie noch stärker mit Maschinen arbeitet. Das Handwerk hat dagegen die größere Herausforderung beim Personal, aber es ist auch flexibel. Ein Beispiel: Wenn Sonnenblumenkerne oder Weizen im Einkauf teurer werden, kann der Bäcker vielleicht auf mehr Kürbiskerne oder auf Dinkel ausweichen. Die Belange der Industrie werden aber vonseiten der Politik stärker berücksichtigt, das zeigt sich jetzt bei der Energie-Thematik.

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Was heißt das in Zahlen?

Jan Loleit: Bei der aktuell geplanten Deckelung der Strompreise gilt für Großabnehmer die Summe von 13 Cent pro Kilowattstunde – aber von 40 Cent für uns Verbraucher und viele Verkaufsfilialen der Bäcker. Es gibt einen Verbrauchsgrenzwert von 30.000 Kilowattstunden, der erreicht werden muss. Die Gefahr: Wenn die Energiekosten für die Filiale zu hoch sind, kann der Bäcker die Verkaufsflächen nicht mehr betreiben. Und es gibt weniger Nahversorgung, gerade auf dem Land.

Und wie sieht es in der aktuellen Situation mit dem Dauerthema „Bürokratie“ aus?

Jan Loleit: Wir brauchen in den Betrieben sogar schon einen „Leiter-Beauftragten“ für die Sicherheit der Leitern. Wir sind auch durch statistische Meldungen sehr belastet, die teilweise keinen Sinn ergeben, oder durch Zahlen, die doppelt abgefragt werden, etwa zu Umsatz oder Mitarbeitern – unter Strafandrohung für die Betriebe bei Nichtmelden.