Hamburg. Verband sieht Konsumstimmung der Hamburger auf historischem Tief. Warum dennoch Fachkräfte gesucht werden.

Als sich die Schuhhandelskette Görtz im September zum Sanierungsfall erklärte, wurde das weit über die Grenzen Hamburgs hinaus als Alarmzeichen verstanden. Ein traditionsreiches Unternehmen mit fast 150-jähriger Geschichte, 160 Filialen und 1800 Mitarbeitern konnte die drohende Insolvenz nur noch mithilfe eines Schutzschirmverfahrens abwenden. Inflation und Energiepreiserhöhungen hätten die Umsätze einbrechen lassen, erklärte die Geschäftsführung.

Dazu die Wirkungen der Corona-Pandemie mit monatelangen Geschäftsschließungen. Inzwischen ist das Insolvenzverfahren in Eigenregie eröffnet – inklusive Filialschließungen und Entlassungen. Auch Hamburg ist betroffen. Das Aus der Görtz-Standorte in Rahlstedt und in der Wandelhalle des Hauptbahnhofs steht fest. Es werden nicht die Einzigen sein.

Arbeitsmarkt Hamburg 2023: Einzelhandel steht vor schwerem Jahr

1100 Geschäfte in Hamburg haben Corona nicht überstanden. Das hat Brigitte Nolte, Geschäftsführerin des Handelsverbands Nord, kurz vor Weihnachten im Abendblatt gesagt. Und es werde weitere Händler treffen, befürchtet die Branchenexpertin. Durch steigende Preise fielen die Margen – bei sehr vielen Unternehmen könnten am Ende des nächsten Jahres keine schwarzen Zahlen mehr stehen. Der Handelsverband sieht die Konsumstimmung in Deutschland auf einem historischen Tief und rechnet im auslaufenden Jahr mit einem preisbereinigten Umsatzminus von 0,1 Prozent für den Einzelhandel. Für das kommende Jahr sieht die Prognose noch düsterer aus.

Betroffen sind jetzt auch die Branchen, die in der Pandemie profitiert haben. Im Onlinehandel, wo in den vergangenen Jahren zweistellige Umsatzzusätze erzielt wurden, werden sinkende Zahlen gemeldet. Nach Angaben des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland schrumpft erstmals seit 2014 der Versandhandel zu Weihnachten gegenüber dem Vorjahr. Bis Ende November betrug das Minus demnach (nicht preisbereinigt) knapp 17 Prozent. Trotzdem liegen die Umsätze noch über denen der Vor-Corona-Zeit (plus 13 Prozent).

Einzelhandel Hamburg: Die goldenen Zeiten sind vorbei

Aber die goldenen Zeiten sind vorbei. Das gilt auch im Lebensmittelhandel, der als Krisengewinner während der Pandemie gute Geschäfte verzeichnet hatte. Angesichts stark steigender Lebenshaltungskosten gucken die Kunden jetzt bei Edeka, Rewe, Aldi, Lidl & Co. wieder auf den Preis – und sparen beim Einkauf. Auch der Onlinehandel mit Nahrungsmitteln, der zuletzt auf einen Marktanteil von zwei Prozent gewachsen war und mit Lieferdiensten für viel Aufmerksamkeit sorgte, muss Federn lassen. Gerade ist das Berliner Start-up Gorillas an den türkischen Konkurrenten Getir verkauft worden.

Noch spiegeln sich die Auswirkungen der aktuellen Wirtschaftslage im Handel nur in Teilen auf dem Arbeitsmarkt wider. So ist die Otto Group, zu der große Onlinehändler wie Otto und Bonprix gehören, in der aktuellen Abendblatt-Arbeitgeber-Umfrage erneut Spitzenreiter im Bereich Handel. Allerdings ist die Vergleichszahl der Beschäftigten in Hamburg den Angaben zufolge 2022 auf 8026 (minus 174) gesunken. Die Schaffung weiterer Arbeitsplätze ist demnach anders als in früheren Jahren nicht geplant.

Edeka-Verbund hat Personal aufgestockt

Im Lebensmittelhandel sind die Beschäftigtenzahlen dagegen erneut gestiegen. Der Edeka-Verbund mit Sitz in Hamburg etwa hat sein Personal um 50 Mitarbeiter auf 6650 aufgestockt und sucht in der Hansestadt weiter Fachkräfte in allen Bereichen. Auch die Bäckereikette Junge stellt weiter ein und beschäftigt jetzt 1630 Mitarbeiter (plus 45) in Hamburg , ebenso Dat Backhus (plus 40). Dagegen sind beim stationär ausgerichteten Modehändler H&M oder dem schwedischen Möbelkonzern Ikea weniger Männer und Frauen in der Stadt beschäftigt. Andere Händler wie Görtz oder der ebenfalls angeschlagene Warenhauskonzern Galeria beteiligten sich nicht an der Umfrage.

Insgesamt liegt die Zahl der sozialversicherten Beschäftigten im Hamburger Einzelhandel nach aktuellen Zahlen der Arbeitsagentur bei 69.800 – das sind 480 (0,7 Prozent) weniger als im Vorjahr. 1045 freie Stellen sind aktuell gemeldet. Gesucht werden vor allem Fachkräfte. Angesichts sinkender Auszubildendenzahlen (minus knapp elf Prozent seit 2020) wird sich das Problem in den nächsten Jahren aus Sicht der Arbeitsvermittler verstärken. 18 Prozent der Beschäftigten sind 55 Jahre alt und älter und werden in den nächsten zwölf Jahren in den Ruhestand gehen.