Hamburg. Sönke Fock, Chef der Arbeitsagentur, über die Lage und die Perspektiven am Hamburger Arbeitsmarkt.

Sönke Fock, Chef der Agentur für Arbeit in Hamburg, blickt entspannt auf 2022 zurück. Die Arbeitslosigkeit ist nicht gestiegen und die Zahl der Beschäftigten hat in der Stadt einen neuen Rekordwert erreicht. Was hat ihn im vergangenen Jahr am meisten überrascht? Wie geht es 2023 weiter? Finden Ukrainerinnen hier bereits Beschäftigung? Verbessert sich die Lage bei den Lehrstellen?

Hamburger Abendblatt: Was hat Sie in diesem Jahr am meisten überrascht?

Sönke Fock: Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hatte ich nicht gerechnet. Daraus hätten schwere Verwerfungen für den Hamburger Arbeitsmarkt werden können, was aber erfreulicherweise nicht so gekommen ist. Die Arbeitslosigkeit ist kaum höher als im Januar, als uns die neuen Krisen noch nicht erreicht hatten und die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt mit über einer Million Arbeitnehmern auf einem neuen Rekordwert. In den ersten elf Monaten des Jahres hatten wir im Schnitt 73.700 Arbeitslose. Das sind rund 7500 oder 9,3 Prozent weniger als vor einem Jahr. Bedenkt man jedoch, dass seit Sommer durchschnittlich etwa 5000 Ukrainerinnen den monatlichen Bestand an Arbeitslosen erhöht haben, dann hat der Hamburger Arbeitsmarkt das Krisenjahr gut verkraftet.

Wie sicher ist Ihr Arbeitsplatz in Hamburg?
In welcher Gruppe der Arbeitslosen gab es die größten Fortschritte?

Sönke Fock: Ich möchte zwei nennen. Es ist uns gelungen, die Zahl der Langzeitarbeitslosen wieder zu reduzieren, die im Sommer 2021 fast die Marke von 30.000 erreicht hatte. Sie haben oft keine abgeschlossene Berufsausbildung. Jetzt haben wir mit 23.445 rund 13 Prozent weniger als vor einem Jahr. Das zeigt, auch die Jobchancen für Helfertätigkeiten sind gestiegen. Die Unternehmen stellen auch An- und Ungelernte wieder ein.

... und die zweite Gruppe?

Sönke Fock: Da geht es um die Kurzarbeiter. Es ist zwar das Ziel von Kurzarbeit, Entlassungen zu vermeiden. Aber erst jetzt wissen wir, dass diese Strategie während der Corona-Pandemie aufgegangen ist. Die Kurzarbeit hat in Hamburg rund 100.000 Arbeitsplätze gerettet und die aktuelle Krise hat bisher nicht zu einem erneuten Anstieg der Kurzarbeit geführt. Nutzten im Januar noch rund 3800 Betriebe mit 24.000 Beschäftigten das Kurzarbeitergeld, so sind es jetzt weniger als 100 Firmen. Knapp 400 Beschäftigte sind davon noch betroffen.

Wie geht es im nächsten Jahr weiter?

Sönke Fock: Ich erwarte keinen großen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Bundesweit wird ein Plus von 20.000 Jobsuchenden prognostiziert, das hat für Hamburg mit seinem Branchenmix keine gravierenden Auswirkungen. Zwar wird es zu Beginn des Jahres einen Anstieg geben, wie das saisonal üblich ist. Mehr als 76.500 Arbeitslose im Schnitt wird Hamburg nicht haben, vorausgesetzt die Wirtschaft entwickelt sich wie in den Prognosen vorhergesagt.

Was sind die Herausforderungen 2023?

Sönke Fock: Der Fachkräftemangel bleibt die größte Herausforderung für die Unternehmen. Mit Blick auf die Transformation in Richtung Klimaneutralität und Digitalisierung müssen die Unternehmen aber auch mehr Wert auf die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter legen, damit sie für künftige Herausforderungen gerüstet sind. Wir wissen aber auch, wenn es in den Firmen gut läuft, fehlen dafür Zeit und Kraft. Das Thema treibt mich deshalb so um, weil es darum geht, künftige Arbeitslosigkeit zu vermeiden, wenn immer mehr Tätigkeiten automatisiert werden. Beschäftigungsverluste sind bis 2040 nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vor allem im Großhandel, Einzelhandel, dem verarbeitenden Gewerbe aber auch in der öffentlichen Verwaltung zu erwarten.

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat einen neuen Höchstwert erreicht. Wird sich dieser Trend fortsetzen?

Sönke Fock: Wir haben jetzt 1.055.200 Beschäftigte in der Stadt. Im Vergleich zum Vorjahr ist das noch einmal ein Anstieg um 30.400 Stellen. Allerdings wird dieses Plus zum Großteil von Teilzeitbeschäftigung getragen. Der Anstieg in diesem Bereich ist doppelt so hoch wie bei der Vollzeitbeschäftigung. Wenn es gelingt, Hamburg als Arbeitsstandort attraktiv zu halten, sehe ich keinen Grund, warum sich der Trend nicht fortsetzen sollte. Allerdings limitiert das Wohnraumangebot die Möglichkeit, dass Arbeits- und Wohnort in der Stadt liegen.

Wie können noch mehr Arbeitslose von der Entwicklung profitieren?

Sönke Fock: Wir dürfen nicht nachlassen in Qualifizierung zu investieren. Auch die neuen Regelungen beim Bürgergeld tragen dazu bei. Der Vermittlungsvorrang wurde abgeschafft. Betroffene können also gleich qualifiziert werden, ohne den Ausgang von unzähligen Vermittlungsversuchen abzuwarten. Fast 44.000 Arbeitslose in Hamburg, das sind fast 60 Prozent, haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das ist eine große Hürde, um sie in eine qualifizierte und dauerhafte Beschäftigung zu bringen.

Von den Ukrainerinnen, die seit Jahresanfang gekommen sind, haben wie viele schon einen Job gefunden?

Sönke Fock: Wenn man die Zahlen seit März 2022
bis Dezember 2022 heranzieht, so sind das 3000. Insgesamt haben wir rund 5000 Ukrainerinnen und Ukrainer als sozialversicherungspflichtige Beschäftigte in Hamburg – 60 Prozent mehr als im Vorjahr. Ein Drittel davon arbeitet als Helfer, die übrigen als Fachkräfte und Spezialisten. Rund 6200 Ukrainerinnen sind noch in einem Sprachkurs. Und es müssen auch vorhandene Qualifizierungen anerkannt werden. Die Ukrainerinnen zeigen eine hohe Arbeitsbereitschaft, weil sie Geld in die Heimat schicken wollen. Auf Sicht eines Jahres sehe ich sehr gute Perspektiven für einen Großteil der Ukrainerinnen.

Wie ist die Ausbildungssituation für 2023?

Sönke Fock: Wir haben jetzt schon über 6500 freie Ausbildungsplätze. Das ist etwa auf dem Niveau des Vorjahres und zeigt, dass der Rückgang gestoppt ist. Nicht bei den Angeboten, sondern bei der Nachfrage nach einer betrieblichen Ausbildung sehe ich das Problem. Mit rund 9800 gemeldeten Ausbildungsplätzen hatten wir in diesem Jahr drei Prozent mehr als 2021. Die Zahl der gemeldeten Bewerber lag aber mit 6700 rund 14 Prozent unter dem Vorjahr.

Bei den Reedereien sind die Jobs sicher


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  • Was sind die Gründe und wie lässt sich das ändern?

    Sönke Fock: Viele Schulabgänger interessieren sich nicht für eine betriebliche Ausbildung. Es gibt einen großen Hang zum Studium. Das Renommee einer akademischen Ausbildung wird höher eingeschätzt als das eines Meisters im Handwerk. Diese Vorstellung herrscht auch in den Köpfen der Eltern vor, die die Berufswahl maßgeblich mit beeinflussen. Jedem motivierten Hamburger Schulabgänger im Jahr 2023 verspreche ich: Wer zum Herbst eine Berufsausbildung beginnen möchte und bis Ende Februar mit seinem Halbjahreszeugnis 2023 bei der Berufsberatung erscheint, erhält einen passenden Ausbildungsplatz. Ein solch qualifizierter Berufsabschluss sichert den künftigen Arbeitsplatz, denn fertig ausgebildete junge Leute werden mit Kusshand eingestellt. Dann fließt das erste gute Gehalt und weitere Karriereschritte können geplant werden. Wer dagegen ein Studium beginnt, für den ist zunächst offen, welche Jobs in drei bis fünf Jahren zur Verfügung stehen. Außerdem schafft längst nicht jeder den Studienabschluss.