Hamburg. Immobilienpreise, Inflation, Zinsen: Der Ökonom Michael Berlemann wagt einen Blick in die Zukunft. Was bringt das neue Jahr?
Seit März leitet Professor Michael Berlemann das Hamburger Wirtschaftsforschungsinstitut HWWI. Im Abendblatt-Interview wagt der 54-Jährige einen Blick ins kommende Jahr. Wie werden sich Preise und Arbeitslosigkeit entwickeln? Und was sollte die neue Wirtschaftssenatorin als Erstes angehen?
Hamburger Abendblatt: Die Inflation in Deutschland liegt bei zehn Prozent – haben Sie persönlich Ihr Einkaufsverhalten schon geändert?
Michael Berlemann: Ja, sicher. Auch ich kaufe bewusster ein. Die Zeiten, in denen ich einfach mal so in den Laden gegangen bin und eingepackt habe, was mir gefällt, die sind vorbei. Ich gucke schon sehr viel genauer auf die Preise und Angebote.
Die Energiepreise kennen keine Grenze nach oben – wie spart der HWWI-Direktor?
Berlemann: Ich wohne in einer Altbauwohnung direkt unter dem Dach – und die Decke ist leider nicht besonders gut isoliert. Da habe ich mit Blick auf die hohen Energiepreise mein Heizverhalten schon deutlich verändert. Zum Glück habe ich ein relativ kleines Arbeitszimmer in der Wohnung, das ich schnell warm bekomme. Dass ich die ganze Wohnung einfach so komplett heize, das gehört der Vergangenheit an.
Wie werden sich die Inflationsraten im kommenden Jahr aus Ihrer Sicht entwickeln?
Berlemann: Ich denke, dass wir den Höchststand der Inflation erreicht, vielleicht sogar überschritten haben. Die Erzeugerpreise, die den Verbraucherpreisen stets vorausgehen, deuten zumindest auf eine leichte Entspannung hin. Für das laufende Jahr gehen wir beim HWWI von einer Inflation in Höhe von acht Prozent aus, im kommenden Jahr erwarten wir 6,5 Prozent. Der Trend zeigt in die richtige Richtung, aber wir wären auch dann noch weit entfernt von der Zielmarke der Europäischen Zentralbank, die bei rund zwei Prozent liegt. Unsere Voraussagen stehen allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Lage in der Ukraine nicht weiter eskaliert.
Sind weitere Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank notwendig?
Berlemann: Ich denke, die EZB sollte ihre Zinsen noch etwas erhöhen. Schließlich muss sie den kompletten Euroraum im Blick haben. Und in anderen Ländern, zum Beispiel im Baltikum, liegen die Inflationsraten deutlich höher als in Deutschland.
Ein positiver Nebeneffekt der EZB-Politik sind steigende Festgeldzinsen. Sollten Sparer aus Ihrer Sicht jetzt schon für zwei oder drei Jahre ihr Geld fest anlegen oder besser noch warten?
Berlemann: Ich würde noch bis Mitte 2023 abwarten. Ohnehin halte ich es mit Blick auf das sehr unsichere Umfeld mit dem Ukraine-Krieg für äußerst mutig, sein Geld aktuell für drei Jahre zu binden. Da würde ich einen kürzeren Zeitraum wählen.
Die einzigen Preise, die derzeit stark fallen, sind die für Immobilien. Wie wird sich der Immobilienmarkt weiter entwickeln?
Berlemann: Die Preise – gerade in einer attraktiven Metropole wie Hamburg – sind in den vergangenen Jahren extrem gestiegen. Nun sehen wir eine Gegenreaktion, die sicherlich nicht ungesund ist. Ich erwarte aber nicht, dass die Immobilienpreise in einer Stadt wie Hamburg nachhaltig einbrechen werden.
Würden Sie jetzt eine Immobilie in Hamburg kaufen?
Berlemann: Ich finde es sind generell nicht die Zeiten, um große Vermögen umzuschichten. Wenn jemand konkret eine Immobilie in Hamburg oder dem Umland sucht, sollte er noch eine Zeit lang warten. Denn die Preise werden 2023 wohl weiter sinken.
Der Arbeitsmarkt zeigt sich trotz der allgemeinen Krise robust. Nun gibt es aber die ersten Meldungen einer deutlichen Zunahme von Firmeninsolvenzen. Werden die Arbeitslosenzahlen im kommenden Jahr stark steigen?
Berlemann: Davon gehe ich nicht aus. Dafür ist der Fachkräftemangel zu gegenwärtig. Sollten Beschäftigte durch eine Insolvenz ihren Job verlieren, haben sie gute Chancen, schnell wieder in einem anderen Unternehmen eine Anstellung zu finden.
Sie haben das Fachkräfteproblem angesprochen. Nun will die Bundesregierung mehr qualifizierte Zuwanderung ermöglichen. Was halten Sie von den Vorschlägen aus Berlin?
Berlemann: Ich bin kein Freund davon, Zuwanderung zu stark zu steuern. Wenn wir heute genau die Branchen bestimmen, in denen Zuwanderung künftig schnell und unkompliziert möglich sein soll, führt das zu zwei Problemen: Zum einen legen wir komplette Branchen – zum Beispiel die Pflege – in den Ländern lahm, aus denen die Fachkräfte zu uns kommen. Zum anderen müssten wir heute exakt voraussagen können, welche Fachkräfte wir in fünf, zehn oder 15 Jahren benötigen. Doch solche Prognosen sind sehr unsicher und nicht selten falsch. Deshalb bin ich für generelle Zuwanderungsregeln.
Was heißt das?
Berlemann: Wir sollten uns sehr genau anschauen, wer zu uns kommen will und diejenigen nicht in unser Land lassen, die zuvor schon polizeilich aufgefallen sind, also einen kriminellen Hintergrund haben. Zudem kann man über Zuwanderungs-Obergrenzen nachdenken. Aber ich halte nichts davon, nur auf die vermeintlich passende Qualifizierung der Zuwanderer zu schauen. Unser Ausbildungssystem ist so gut, dass wir uns zutrauen sollten, Menschen aus anderen Ländern in Deutschland für genau die Jobs zu qualifizieren, die wir dringend besetzen müssen.
Wie gut ist Hamburg ökonomisch in der aktuellen Krise aufgestellt?
Berlemann: Die Stadt ist bisher ordentlich durch die Krise gekommen und sie ist gut aufgestellt. Allerdings leben wir in Hamburg nicht auf einer Insel der Glücksseeligen. Das heißt: Von den großen Herausforderungen wie Fachkräftemangel und Energiewende ist auch Hamburg betroffen. Hier müssen Lösungen gefunden werden – am besten in Kooperation mit anderen Bundesländern und dem Bund.
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Die Stadt hat mit Melanie Leonhard eine neue Wirtschaftssenatorin. Was sollte sie als Erstes angehen?
Berlemann: Sie sollte auf jeden Fall die Energiewende weiter vorantreiben. Ich halte die Wasserstoffinitiative, die von ihrem Vorgänger Michael Westhagemann auf den Weg gebracht worden ist, für den richtigen Weg. Ihn sollte die neue Wirtschaftssenatorin weiter beschreiten. Wir müssen raus aus der fossilen Energie und dabei ist Wasserstoff ein Baustein. Zudem sollte der gesamte Norden noch mehr Anstrengungen unternehmen, um die Windenergie voranzubringen. Da schlummert viel Potenzial – vor allem bei Offshore-Anlagen auf See. Es müssten unter anderem Windräder entwickelt werden, die noch länger als bisher im Meer halten. Hamburg und der Norden sollten sich an die Spitze der grünen Energiewende in Europa stellen – da liegen ökonomisch und ökologisch riesige Chancen.