Hamburg. Autoversicherer locken mit Rabatten von bis zu 45 Prozent. Doch Verbraucherschützer schauen skeptisch auf die Angebote.

In den Jahren 2015 und 2016 waren sie ein heißes Thema in der Assekuranz-Branche: Die sogenannten Telematik-Tarife in der Autoversicherung. Im Grundsatz geht es darum, dem Versicherer über eine spezielle Technik die Fahrdaten der Kunden zugänglich zu machen. Im Gegenzug winkt bei umsichtiger Fahrweise ein deutlicher Rabatt auf den zu zahlenden Beitrag.

Etliche Anbieter von Kfz-Privatkunden-Policen haben von 2015 an in Deutschland solche Tarife in das Produktprogramm aufgenommen. Zu den Pionieren gehörte Signal-Iduna mit Hauptsitz in Dortmund und Hamburg.

Kfz-Versicherung: Lohnen sich Telemativ-Tarife?

Doch offenbar hat das anfänglich große Interesse bei Anbietern wie auch bei potenziellen Kunden bald nachgelassen. Denn nach Schätzung von Branchenkennern haben derartige Verträge trotz der in Aussicht gestellten hohen Einsparungen heute einen Marktanteil von weniger als fünf Prozent.

Und längst nicht jeder Autoversicherer offeriert einen Telematik-Tarif, ihre Zahl ist seit 2017 nach Erkenntnissen des Verbraucherportals finanztip.de sogar zurückgegangen. So haben etwa die HanseMerkur und der Kfz-Spezialversicherer Kravag, beide mit Sitz in Hamburg, nach eigenen Angaben keinen im Angebot. Bei Signal-Iduna sind keine Neuabschlüsse mehr möglich.

Prämien für Kfz-Versicherung dürften steigen

Allerdings könnte das Interesse auf der Kundenseite nun wieder zunehmen, denn angesichts der zuletzt kräftig gestiegenen Autopreise ziehen nach Einschätzung der Vergleichsportale Check24 und Verivox auch die Prämien von Kfz-Versicherungen in diesem Jahr für Bestandskunden deutlich an.

Wer von seinem Versicherer über eine Beitragserhöhung informiert wird, hat aber in den vier Wochen ab der Benachrichtigung ein Sonderkündigungsrecht, kann sich also einen neuen Anbieter suchen – auch noch nach dem 30. November, bis zu dem eine Kfz-Police regulär gekündigt werden kann.

Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Telematik-Tarifen:

Wie funktioniert die Technik?

Bei einigen Anbietern genügt eine App auf dem Smartphone, andere nutzen zusätzlich einen speziellen Sensor. Der kann im Handschuhfach oder unter dem Sitz fest installiert oder an der Windschutzscheibe angeklebt sein. In jedem Fall spielen Beschleunigungsdaten, wie sie auch schon ein Smartphone messen kann, eine wichtige Rolle.

Alle Daten, die mit dieser Technik erhoben werden, gehen per Mobilfunk an den Versicherer. Sie werden gesammelt und ergeben einen individuellen Fahr- „Score“. Häufiges kräftiges Beschleunigen etwa gibt einen Punktabzug und wirkt negativ auf die Einstufung. „Wer oft hart bremst, wird als unachtsam bewertet“, erklärt die Finanzaufsichtsbehörde BaFin zu solchen Versicherungsverträgen.

Hohe Querbeschleunigungen in Kurven, unruhige Lenkbewegungen sowie Geschwindigkeitsüberschreitungen – ermittelt durch GPS-Daten in Kombination mit Navigationskarteninformationen – werden ebenfalls negativ angerechnet. Daneben spielt aber auch der Fahrzeitpunkt eine Rolle: Häufige Nachtfahrten und Fahrten im Berufsverkehr sind mit einem höheren Unfallrisiko verbunden. Wer sich primär auf Bundesstraßen und Autobahnen bewegt, kommt dagegen besser weg.

Wie viel Geld kann man sparen?

Wie die Stiftung Warentest ermittelte, sind bis zu 45 Prozent Rabatt drin – dieses spezielle Angebot ist allerdings nicht in Hamburg erhältlich. „Die meisten Versicherer bieten unter optimalen Bedingungen Rabatte zwischen 30 und 40 Prozent, teils inklusive zusätzlicher Startboni bei Abschluss der Versicherung“, heißt es von den Testern. Nach deren Erkenntnissen kann man „im besten Fall mehrere Hundert Euro im Jahr sparen“.

Meist ist vertraglich festgelegt, dass man auch bei unfallträchtigerer Fahrweise nicht mehr zahlt als ohne die Rabattvariante, Beitragsaufschläge aufgrund der Fahrdaten sind die absolute Ausnahme. Allerdings seien die Telematik-Verträge „nicht in jedem Fall günstiger als Normaltarife“, sagt Julia Alice Böhne vom Verbraucherschutzverein Bund der Versicherten (BdV) in Hamburg.

Sie kritisiert die Intransparenz der Bedingungen: „Bei den Anbietern ist meist nicht eindeutig nachvollziehbar, wie und in welchem Umfang sich ein konkretes Fahrverhalten auf die Prämie auswirkt.“

Wer kann besonders stark profitieren?

„Gerade Fahrer, die einen hohen Beitragssatz haben oder mit einem hohen Beitragssatz einsteigen (Fahranfänger), können durch den zu erreichenden Bonus die Kosten reduzieren“, heißt es dazu von der BaFin.

Nach Angaben des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft (GDV) ist das Unfallrisiko von Fahranfängern zwischen 18 und 20 Jahren fünfmal höher als das von Fahrern zwischen 45 und 67 Jahren. Daher würden junge Menschen in die teuersten Schadenfreiheitsklassen eingestuft. Dieser Personenkreis hat durch Telematik-Tarife also potenziell besonders viel zu gewinnen.

Für wen sind Telematik-Tarife nicht empfehlenswert?

Für Autofahrer, die bereits einen niedrigen Beitragssatz haben oder oft unter ungünstigen Rahmenbedingungen unterwegs sind – zum Beispiel in der Nacht oder während des Berufsverkehrs –, kann sich laut BaFin ein Telematik-Tarif nachteilig auswirken. Ältere Menschen zahlen zwar nach Angaben von finanztip.de mehr für ihre Kfz-Versicherung, der GDV empfehle seinen Mitgliedsunternehmen Aufschläge für Fahrer ab 68 Jahren.

So müssten 75-Jährige im Schnitt fast 50 Prozent mehr zahlen als 55-Jährige. Doch wer schon lange unfallfrei fahre, profitiere von einem hohen Schadenfreiheitsrabatt, sodass die „Zuschläge fürs Alter“ dadurch in der Regel „deutlich reduziert“ würden, argumentiert der GDV. Für dieser Gruppe der älteren Fahrerinnen und Fahrer „kann ein Telematik-Tarif sogar teurer sein“, sagt Böhne.

Was haben Versicherer von den Tarifen?

Für Autoversicherer seien die durch Telematik-Verträge gewonnenen Daten von großer Bedeutung, um Schadensursachen und mögliche Vermeidungsstrategien besser zu verstehen – auch mit Blick auf die Kalkulation konventioneller Tarife, heißt es in der Branche.

Zudem deuteten frühe Untersuchungen darauf hin, dass Personen, die dem Versicherer den Zugang zu ihren Fahrdaten gewähren, daraufhin ihr Verhalten ändern und umsichtiger mit dem Auto umgehen. Ob dieser Faktor aber tatsächlich die hohen Rabatte rechtfertigt, ist umstritten.

Dies bezweifelt etwa Marco Morawetz, Leiter Consulting beim Rückversicherer Gen Re. Schon wenn man den Versicherten einen Nachlass von nur 20 Prozent gewähre, müssten die Schadenaufwendungen um bis zu 42 Prozent abnehmen, damit sich der Vertrag für den Anbieter noch lohne, argumentiert er.

Was spricht gegen diese Form der Kfz-Versicherung?

„Aus unserer Sicht sind Telematikt-Tarife mit Vorsicht zu genießen“, sagt Sandra Klug, Abteilungsleiterin Geldanlage/Altersvorsorge/Versicherungen bei der Verbraucherzentrale Hamburg. „Ordentliche Rabatte winken nur bei fast optimalem Fahrverhalten“. Teilweise spielten Faktoren eine Rolle, die die Versicherten nur bedingt beeinflussen könnten, wie etwa Tageszeit und Straßentyp.

„Durch die Wahl eines guten und günstigen Versicherers spart man in aller Regel mehr als durch einen Telematik-Tarif“, so Klug. Julia Alice Böhne vom BdV weist auf die „Datenschutzproblematik“ hin. Wer sich für solche Tarife interessiere, solle sie auch im Hinblick darauf kritisch prüfen: Wer erhält welche Daten? Wie und wofür werden diese verarbeitet? Und was ist zu beachten, wenn verschiedene Personen das Auto fahren?