Hamburg. In der Coronazeit haben inhabergeführte Betriebe gute Geschäfte gemacht. Aber die Branche ist im Umbruch. Über die Aussichten.

Im Schaufenster fährt eine Lego-Lok mit Güterwaggons. Eine Runde, nach der anderen dreht sie zwischen Brillengestellen, Sonnenbrillen, Ferngläsern und glitzernden Weihnachtssternen. Draußen drückt ein Knirps sich die Nase platt, drinnen steht Holger Weiss und lächelt. „Vor mehr als 20 Jahren haben wir die Eisenbahn zum ersten Mal in der Weihnachtszeit fahren lassen“, sagt der Optikermeister.

Inzwischen ist es eine In­stitution in Volksdorf. So wie Augenoptik Bernstiel. Immer wieder geht an diesem Dezembervormittag die Tür auf. Stammkunden, die das kleine Fachgeschäft betreten, werden mit Namen begrüßt. „Wir bieten persönlichen Service und individuelle Beratung. Das schätzen die Kunden und kommen wieder“, sagt Holger Weiss.

Optiker in Hamburg: Handwerk steht im Mittelpunkt

1996 hat er den alteingesessenen Betrieb gemeinsam mit Karina Rudolf und Andrea Fricke übernommen. Seitdem haben sie unzähligen Volksdorfern zum besseren Durchblick verholfen und trotzen im Konkurrenzkampf gleich vier anderen Augenoptikern im direkten Umfeld, die entweder größer, moderner, billiger oder einfach nur neuer sind. Direkt am Eingang steht ein Drehständer mit Sonnenbrillen, in einem Wandregal sind Brillengestelle nach Herstellern sortiert. Es gibt Thermometer – analog und digital –, Ferngläser und sogar Kuckucksuhren. Wer stylisches Ladendesign, flimmernde Monitore oder neueste Technologien sucht, ist bei Augenoptik Bernstiel falsch.

In dem 1888 gegründeten Fachbetrieb steht das Handwerk im Mittelpunkt. Sehtest, Brillenzentrierung, Glasauswahl, Montage – alles, was beim Kauf der passenden Brille wichtig ist. Optikerin An­drea Fricke öffnet eine Schublade und sucht verschiedene Brillengestelle für eine Kundin heraus. „Wir haben viele Modelle im Geschäft und können fast alles bestellen“, sagt sie. Maximal drei Kunden werden an den Beratungsplätzen gleichzeitig bedient.

„Wir haben in der Corona-Zeit neue Kunden gewonnen"

Die Plexiglaswände aus der Hochphase der Pandemie hat das Optikertrio gar nicht erst abgebaut. Sicherheit ist ein wichtiger Faktor für den Einkauf bei Bernstiel. Im Laden tragen alle Maske. „Wir haben in der Corona-Zeit neue Kunden gewonnen. Da wollten viele nicht in eine große Filiale gehen, um nach einer neuen Brille zu suchen“, sagt Mitinhaberin Karina Rudolf.

Große Optikerketten wie Fielmann, Apollo & Co., Online-Brillenhändler wie Mister Spex oder Edel Optics und neue Trendkonzepte wie Ace & Tate aus den Niederlanden haben die traditionelle Optiker-Branche in Deutschland massiv verändert. Eine Folge: Die Zahl der Betriebe sinkt. So haben im vergangenen Jahr nach Angaben des Zentralverbandes der Augenoptiker und Optometristen (ZVA) bundesweit 90 Optiker aufgegeben. Im Gegensatz dazu ist die Anzahl der Geschäfte der zehn größten Unternehmen in der Augenoptik auf 2.442 gestiegen. Bezogen auf die 11.280 Betriebsstätten zwischen Flensburg und Füssen bedeutet das ein Anteil von 21,6 Prozent. Dabei verteilt sich der Umsatz in etwa hälftig zwischen den Top Ten und allen übrigen Optikern.

Fachkräftemangel trifft auch diese Branche

Auch in Hamburg setzt sich der Konzentrationsprozess fort. Bei der Hamburger Handwerkskammer sind aktuell 137 augenoptische Betriebe eingetragen – vom Optikkonzern Fielmann mit 21 Niederlassungen in Hamburg bis zum Ein-Personen-Betrieb. 2010 waren es mit 167 noch 30 mehr. „Wenn ein Betrieb verschwindet, hängt das oft mit einer fehlenden Nachfolge-Lösung zusammen“, sagt Bernstiel-Mitinhaber Holger Weiss, der als stellvertretender Obermeister der Augenoptiker-Innung Hamburg die Branche seit Jahren im Blick hat.

„Ein Riesenpro­blem ist inzwischen auch der Mangel an Fachpersonal“, sagt er. Zudem seien in den vergangenen Jahren immer wieder auch kleinere Betriebe von den großen Unternehmen aufgekauft worden.

„Wir kennen unsere Kunden"

Da mag es auf den ersten Blick überraschen, aber die mittelständischen Augenoptiker haben sich zuletzt besser in dem hart umkämpften Brillenmarkt behauptet als die großen Filialisten. Nicht nur beim Traditionsbetrieb Bernstiel in Volksdorf sind die Geschäfte in den beiden vergangenen Jahren gut gelaufen. Das zeigt eine Erhebung des Branchenverbands ZVA, die für die 300 teilnehmenden mittelständischen Betriebe ein Umsatzplus von zwölf Prozent im Vergleich zu 2020 ausweist – und damit oberhalb des Wachstums der Branche insgesamt von neun Prozent im Jahr 2021.

Jan Schoneweg ist Hamburger Augenoptiker in dritter Generation. Er betreibt zwei Fachgeschäfte in Othmarschen und in Ottensen. „In der Corona-Zeit haben viele Kunden wieder mehr im Stadtteil eingekauft“, sagt der 50-Jährige. Auch jetzt merkt er in beiden Läden, dass viele Beschäftigte weiterhin aus dem Homeoffice arbeiten und die neue Brille eher bei ihm als in Hamburger Innenstadt in Auftrag geben. „Wir kennen unsere Kunden und haben die passende Auswahl“, sagt er.

Immer mehr Menschen tragen eine Brille

Dabei profitiert der Augenoptiker auch von seiner Geschäftslage mit qualitätsbewusster Kundschaft. Da spielt es für ihn nicht so eine große Rolle, wenn die großen Ketten sich mit günstigen Angeboten etwa beim Kauf von Gleitsichtgläsern teilweise unterbieten. „Es kommt darauf an, was Kunden und Kundinnen wollen und brauchen“, sagt Schoneweg, der neben vielen Marken auch eine eigene Brillenlinie im Angebot hat. „Bei vielen Produkten ist Fielmann auch nicht günstiger als ein gut geführter Familienbetrieb.“

Was Großen wie Kleinen hilft: Immer mehr Menschen in Deutschland tragen eine Brille. Allerdings spiegelt sich die schwierige Wirtschaftslage 2022 auch bei der Augenoptikern wider. Branchenprimus Fielmann, seit der Gründung vor 50 Jahren ein Garant für stetig steigende Umsatz- und Gewinnzahlen, hat die Prognose für 2022 gerade erneut gesenkt.

ZVA bleibt bei Prognosen vorsichtig

Das Unternehmen führt die wenig erfreulichen Zahlen zum einen auf die schlechte Konsumstimmung zurück, verweist aber explizit auch darauf, dass man sich bei Preisanpassungen zurückgehalten habe: „Während viele Mitbewerber die Preise erhöht haben, können Fielmann-Kunden sich weiterhin auf garantiert günstige Preise verlassen“, hieß es Anfang November.

Auch der Branchenverband ZVA ist vorsichtig, wenn es um eine Prognose für das laufende Geschäftsjahr geht. „Für den Umsatz und den Absatz könnte sich als Bandbreite für den Gesamtmarkt ein Ergebnis von minus einem bis plus einem Prozent ergeben“, sagte eine Sprecherin auf Abendblatt-Anfrage. Dabei bleibe trotz Zuwächsen der Online-Anteil am deutschen Gesamtmarkt für Korrektionsbrillen marginal. 2021 lag dieser für komplett digital abgewickelte Brillenkäufe bei gerade mal zwei Prozent.

Mister Spex eröffnet Filiale in der Innenstadt

Das erklärt auch, warum Unternehmen, die als reine Online-Brillenhändler gestartet waren, im stationären Handel expandieren. Mister Spex etwa ist inzwischen mit 67 Ladengeschäften deutschlandweit vertreten. In Hamburg eröffnet das Unternehmen, das neben dem lokalen Angebot in den Filialen auch Zugriff auf das Online-Angebot mit 10.000 Modellen bietet, in der nächsten Woche in der Spitalerstraße den vierten Standort. Auch Fielmann setzt mit Millioneninvestitionen auf die Entwicklung von neuen digitalen Technologien.

Bislang zahlt das allerdings nur begrenzt auf die Umsatzentwicklung ein. Denn das Versandgeschäft ist nach wie vor von margenschwächeren Sonnenbrillen und Kontaktlinsen geprägt. Wer eine komplexere Korrektionsbrille braucht, muss in die Niederlassung kommen.

"Die kleinen Optiker haben eine große Chance"

„Alle reden vom Online-Brillenhandel, aber davor habe ich keine Angst“, sagt der Hamburger Augenoptiker Michael Renken, der in der Innenstadt und in Eppendorf zwei Filialen betreibt. „Die Menschen wollen eine Brille sehen, anfassen und fühlen.“ Zudem bräuchten die Kunden Beratung und Service, und die gebe es eben nur beim Optiker, am besten um die Ecke. Nachdem sein Laden am Großen Burstah während der Pandemie Umsatzrückgänge verzeichnet hatte, laufen die Geschäfte jetzt wieder auf Vor-Corona-Niveau. „In Eppendorf haben wir sogar ein Plus von 20 Prozent“, sagt der 55-Jährige, der aus einer Optikerfamilie stammt und seit 20 Jahren selbstständig ist.

Der Branchenverband geht davon aus, dass sich die positive Entwicklung der familiengeführten Betriebe 2022 nicht fortgesetzt hat. In Corona-Zeiten hätten sie davon profitiert, dass zentrale Lagen und Einkaufscenter geschlossen waren oder gemieden wurden. „Dieser Trend hat sich 2022 wieder umgekehrt – und Betriebe in höheren Umsatzklassen und Filialisten konnten sich besser am Markt behaupten“, so eine Sprecherin. Deutlich optimistischer sind Hamburger Optiker wie Michael Renken. „Mit einem klaren und passenden Konzept, das auf Qualität, Service und Premium setzt, haben die kleinen Optiker eine große Chance“, sagt er.

Optiker in Hamburg: Kleine Betriebe setzen auf Kundenbindung

Auch die drei Inhaber von Bernstiel Augenoptik in Volksdorf denken nicht ans Aufhören. Inhabergeführte Optiker werde es weiter geben, sagen sie und tun viel für die Kundenbindung. Da wird schon mal eine Sonnenbrille nach Spanien transferiert, weil sie dort gerade gebraucht wird. Und zum Geburtstag werden Glückwunschkarten verschickt – per Post.