Hamburg. Das Fachgeschäft profitiert vom Rückzug in die eigenen vier Wände. Es ist das einzige seiner Art in der Hamburger Innenstadt.

Das Material ist kaum mehr als ein Hauch. In verschiedenen Farben und Musterungen sind die filigranen Trink­gefäße in einem Glasregal arrangiert. Von innen leuchten sie – ganz golden. Wirklich hübsch, aber was genau macht man damit? „Das sind Champagnerbecher aus Porzellan, gerade sehr angesagt“, sagt Jürgen­ Weitz und nimmt einen in die Hand. Der Name „Sip of Gold“, übersetzt so viel wie „von Gold nippen“, ist dabei wörtlich zu nehmen.

Hersteller Fürstenberg setzt für die Produktion der Serie 24-karätiges Edelmetall ein. „Das Getränk erzeugt darin Hunderte von Reflexionen, einfach fantastisch“, sagt der Porzellanhändler in der ersten Etage seines Geschäfts W. Weitz in der Hamburger Innenstadt. „Die Goldoberfläche ist besonders glatt, und das führt dazu, dass die Kohlensäure besonders fein perlt.“ Deshalb schmecke auch Mineralwasser aus den edlen Becherchen deutlich besser. Klar, dass sie ihren Preis haben – ab 149 Euro geht es los.

Dass feines Porzellan Jürgen Weitz entzücken kann, ist nicht verwunderlich. Der 63-Jährige führt die Traditionsfirma für Tischkultur in fünfter Generation. Seit 1904 ist das Geschäft in einem Jugendstilbau am Neuen Wall eine feste Institution bei der hanseatischen Kundschaft. Neben Geschirr von Meissen, Royal Copenhagen oder der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin gibt es auf drei Stockwerken auch alltagstauglichere Marken.

In den Wandregalen stehen Teller, Tassen und Schüsseln von Dibbern, Rosenthal & Co. sowie Bestecke von Robbe & Berking, dazwischen mit Kerzen und Kissen dekoriert. Die Treppe runter geht es ins Untergeschoss zum Küchen- und Haushaltsbedarf mit Klassikern wie Fondue-Sets und hochwertigen Messern, auch praktische Thermoskannen, Brotdosen, Kochlöffel und Geschirrtücher sind im Angebot.

„Wir profitieren von dem neuen Hang zur Häuslichkeit“

Wenn in den früheren Jahren Geld verdienen in der Branche alles andere als einfach war, sagt Jürgen Weitz jetzt: „Wir profitieren von dem neuen Hang zur Häuslichkeit.“ „Cocooning“, wie die Rückbesinnung auf die eigenen vier Wände auch genannt wird, hatte sich zu Beginn der Pandemie zu einem wichtigen Trend entwickelt, der dem Handel mit Küchen, Möbeln und allem, was damit zusammenhängt, steigende Umsätze bescherte.

Auch Weitz ist gut durch die Krise gekommen – trotz des Lockdowns mit monatelangen Geschäftsschließungen, Kurzarbeit und Maskenpflicht. Mit privaten Ersparnissen und staatlichen Fördermitteln hat der Kaufmann das Familienunternehmen durch die Krise gesteuert. Entscheidend sei auch gewesen, dass die Vermieterin der Hamburger Innenstadt-Filiale sehr faire Bedingungen angeboten habe.

„Es waren anstrengende Jahre“

„Es waren anstrengende Jahre“, sagt er. „Aber im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit 2019 verzeichnen wir aktuell ein Umsatzplus von 20 Prozent – bei einem Jahresumsatz von acht Millionen Euro.“ Das Wachstum kommt vor allem über den stationären Handel. Weitz ist mit insgesamt vier Standorten – in Hamburg gibt es neben der City-Filiale eine weitere im Als­tertal-Einkaufszentrum – sowie am Firmensitz in Hannover und in Bielefeld vertreten.

An diesem Oktobernachmittag kommen zahlreiche Kunden und Kundinnen, darunter auch viele jüngere, in das 750 Quadratmeter große Geschäft in Alsternähe, fragen nach besondern Gläsern und hochwertiger Tischwäsche – und kaufen. Der Durchschnittsbon liegt nach Angaben von Weitz bei 120 Euro. An guten Tagen hat sich die Zahl der Kundinnen und Kunden bei 200 pro Verkaufstag eingependelt.

Viele kommen wegen der persönlichen Beratung

„Wir unterscheiden uns durch den umfangreichen Service, den wir anbieten“, sagt der Händler, der mit seinem Angebot eines der letzten Fachgeschäfte seiner Art mit einem markenunabhängigen Sortiment rund um Tisch und Küche in Hamburg führt. Selbst im Alsterhaus gibt es die Produktgruppen nicht mehr, inhabergeführte Einzelhändler wie Lenffer (Porzellan, Küchenbedarf) und Möhring (Wäsche, Tischdecken) sind geschlossen.

Gerade für Konsumenten, die vor einem geplanten Kauf noch unsicher seien, sei die persönliche Beratung einer der Hauptgründe, in seine Läden zu kommen, sagt Jürgen Weitz. Insgesamt 60 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gehören zur Belegschaft, davon 17 im Porzellanhaus am Neuen Wall. „Wir konnten auch in der Pandemiezeit fast alle halten“, sagt der Geschäftsmann. Mit seinem Fachkräfte-Pool stehe er besser da als viele andere Einzelhändler. Und dafür will er auch in Zukunft etwas tun. So liefen aktuell Gespräche über einen Inflationsausgleich.

Porzellanhändler Weitz hat auch einen Online-Shop

Dabei hat der Spross der Porzellandynastie auch die Digitalisierung im Auge und hat bereits vor Jahren mit hohen sechsstelligen Investitionen seine E-Commerce-Präsens aufgebaut. Neben dem Weitz-Online-Shop, inzwischen sind die beliebten Hochzeitslisten auch darüber verfügbar, betreibt er mehrere Marken-Plattformen. „Wir machen etwa 20 Prozent unseres Umsatzes über das Internet“, sagt Weitz. In der Corona-Hochphase war es sogar das Doppelte.

Nach einer Studie des Marktforschungsinstituts IFH Köln hat die Branche rund um Glas, Porzellan und Keramik im vergangenen Jahr bundesweit zugelegt. Die Handelsexperten ermitteln ein Marktwachstum von 3,3 Prozent zum Vorjahr auf einen Gesamtbruttoumsatz von 6,4 Milliarden Euro – das beste Ergebnis seit 2015. Am meisten zugelegt hat der Bereich Küchenausstattung mit einem Plus von sechs Prozent.

Auch der Porzellanhändler merkt die Veränderungen

Allerdings sehen die bundesweit mehr als 4000 Fachhändler, die im Handelsverband Koch- und Tischkultur organisiert sind, mit Sorgen auf die Zukunft. Die aktuelle Konsumflaute durch steigende Preise und die wirtschaftlich instabile Lage könnte sich bald auch beim Verkauf von Tisch- und Kochutensilien bemerkbar machen – zumal das Angebot in Möbelgeschäften, Dekoläden und sogar beim Discounter riesig und vor allem günstiger ist.

Auch Porzellanhändler Jürgen Weitz merkt erste Veränderungen. Insbesondere die hohen Gaskosten machen den Herstellern in der energieintensiven Branche zu schaffen. Mehrere Lieferanten hätten in diesem Jahr schon die Preise erhöht, einige sogar schon zweimal – und das um bis zu zehn Prozent. Dabei sei teilweise nicht mal sicher, ob in den Wintermonaten überhaupt weiterproduziert werden könne, sagt Weitz und berichtet von einem konkreten Fall in den vergangenen Tagen.

Chef bleibt weiterhin optimistisch

Ein Kunde habe bei ihm einen sehr großen Auftrag bei der Traditionsfirma Meissen veranlasst. „Aber das Unternehmen konnte weder einen festen Preis noch einen festen Liefertermin in der aktuellen Lage garantieren“, sagt der Einzelhändler. Ob der Kauf trotzdem zustande kommt, ist offen.

Dennoch ist der Chef des 1848 in Bad Pyrmont gegründeten Unternehmens weiterhin optimistisch, dass W. Weitz auch die aktuelle Krise meistert. Dem Vater von vier erwachsenen Kindern geht es darum, das Geschäft in die nächste Generation zu führen. Interesse an der Nachfolge hätten die beiden jüngeren Kinder aus seiner zweiten Ehe, sagt der Betriebswirt, der 1998 in den Familienbetrieb eingestiegen war. Dabei hat er aktuelle Entwicklungen immer im Blick.

Porzellanhändler Weitz: „Der fantasievolle Mix macht’s“

„Im Moment sehe ich, dass der Küchentrend nachlässt“, sagt er. Die Küche bleibe zwar ein wichtiger Ort der Begegnung, aber die Ausstattung sei in den meisten Haushalten komplett. „Jetzt bekommt der schön gedeckte Tisch wieder mehr Bedeutung“, beobachtet Jürgen Weitz. Dabei gehe es nicht darum, dass nur hochwertiges Geschirr, teure Gläser oder feinste Decken auf den Tisch kämen. „Der fantasievolle Mix macht’s“, sagt er.

Schon vorher hatte er inmitten seiner Auslagen neben den feinen Champagnerbechern mit goldenem Innenleben einen rustikalen Becher aus unregelmäßigem, bunt glasiertem Steingut gehalten. „Wenn mir jemand vor einigen Jahren gesagt hätte, dass ich krumme und schiefe Teller und Tassen verkaufen würde, hätte ich es nicht geglaubt“, sagt er und lacht. Gerade ist er mit einem Team nach Portugal geflogen, um neue und interessante Keramikmanufakturen aufzuspüren. „Zu jedem Trend gibt es immer auch einen Gegentrend.“

Keramikladen schließt

Das Markenzeichen sind die Punkte. Bunzlauer Keramik wird seit Jahrhunderten in Handarbeit gefertigt und verziert. Bislang können Liebhaber in Hamburg die besonderen Tassen, Teller und Schüsseln aus Polen im Fachgeschäft von Andrzej Kolask­a kaufen. Damit ist bald Schluss. Der Händler, der auch Leinenprodukte und handgefertigte Möbel anbietet, schließt sein Ladenlokal an der Osterstraße. „Heiligabend ist der letzte Verkaufstag“, sagte er auf Abendblatt-Anfrage. Seit mehr als 20 Jahren vertreibt Kolaska die Keramikerzeugnisse aus Bunzlau an der Elbe, den Laden hatte er vor acht Jahren eröffnet.

Als Grund für die Geschäftsaufgabe nennt er die steigenden Preise bei den Herstellern. „Die Energiekosten sind drastisch gestiegen. Das wird jetzt aufgeschlagen“, sagt der 59-Jährige. Gab es einen handbemalten Bunzlauer-Frühstücksteller bei ihm vor zwei Jahren noch ab 13 Euro, sind es heute 19 Euro. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Produkte für den Preis weiterhin gekauft werden“, so Andrzej Kolaska. Online soll der Verkauf weiterlaufen.