Hamburg. Besonders die Gastronomie steht unter Druck. Die sinkenden Ladenmieten könnten eine Chance für größere Vielfalt in der Innenstadt sein.

Erst war es der rasant wachsende Onlinehandel, dann kam auch noch die Corona-Pandemie hinzu: Der Einzelhandel in der Hamburger Innenstadt steht kräftig unter Druck. Weil niemand erwartete, dass die Attraktivität des Einkaufens im Internet wieder abnimmt, erschien den Vermietern die Gastronomie als die ideale Lösung – immer mehr Cafés und „Food Courts“, also Schlemmer-Hallen mit unterschiedlichen Imbiss- und Marktflächen, sind in der City entstanden.

Doch jüngst ist auch dieses Modell in die Krise geraten. „Solche Food Courts sind durch die Corona-Pandemie extrem hart getroffen worden, nun hat die hohe Inflationsrate und die dadurch ausgelöste Konsumzurückhaltung die Hoffnung auf eine schnelle Erholung zunichtegemacht“, sagt Peter Axmann, Leiter des Bereichs Immobilienkunden bei der Hamburg Commercial Bank.

Im ersten Halbjahr 2022 ist nach Angaben des Branchenverbands Dehoga der Umsatz im Gaststättengewerbe um mehr als 20 Prozent gegenüber dem Niveau im Vergleichszeitraum des Vor-Corona-Jahres 2019 gesunken.

Hamburger Innenstadt: Gastronomie unter Druck

Nach Einschätzung von Axmann leidet die Gastronomie nicht nur unter den wegen der hohen Teuerungsrate schrumpfenden verfügbaren Einkommen der Verbraucher. „Ein Teil der Umsatzrückgänge resultiert auch aus dem Personalmangel in diesem Wirtschaftssektor – und der gerade auf 12 Euro erhöhte Mindestlohn belastet viele Gastronomen zusätzlich“, sagt der Gewerbeimmobilien-Experte.

Im Einzelhandel seien die Bereiche Textilien und Unterhaltungselektronik besonders stark durch den Vormarsch des Onlinegeschäfts geprägt. Vor diesem Hintergrund geben die Zahlen zu den Neuvermietungen in der Hamburger Innenstadt wenig Anlass, auf ein baldiges Ende der Innenstadt-Krise zu setzen: Nach Daten des Maklerunternehmens Grossmann & Berger gingen insgesamt 45 Prozent der im vorigen Jahr neu vermieteten Flächen auf Bekleidungs- und Elektronikhändler, weitere neun Prozent entfielen auf die Gastronomie.

Einige Händler halten sich gut

Zwar gibt es durchaus Teile des Einzelhandels, die sich derzeit vergleichsweise gut halten können. Das betrifft nicht zuletzt die Lebensmittelhändler. „Aber da steigen wegen der hohen Teuerungsraten die Marktanteile der Discounter – und die findet man eher nicht gerade in der City“, sagt Axmann. Stabil zeigten sich außerdem sogenannte „Flagship-Stores“ wie der von Apple, die aus den Marketing-Budgets großer Konzerne finanziert werden. Allerdings gibt es solche Markentempel in praktisch jeder Metropole der Welt.

„Genau das beklagen viele Menschen: dass die Innenstädte überall gleich aussehen“, sagt dazu der Hamburger Ökonom Henning Vöpel, bis Oktober 2021 Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) und jetzt Leiter des Centrums für Europäische Politik (cep). Für ihn steht fest, dass die Kommunen selbst mehr Einfluss auf die Nutzung von Flächen nehmen müssen. „Wenn jedes Grundstück nach dem Gesichtspunkt der Renditemaximierung vergeben wird, kommt dabei eine Stadt heraus, die wir nicht unbedingt als lebenswert empfinden“, sagt Vöpel.

„Vielfalt ist etwas, das man schätzt“

Einheitlichkeit wirke nicht attraktiv, findet der Wissenschaftler: „Vielfalt ist etwas, das man schätzt.“ In dieser Hinsicht könnten die gesunkenen Einzelhandelsmieten – die in der Hamburger City nach Angaben von Grossmann & Berger im Vergleich zu 2019 um einen deutlich zweistelligen Prozentsatz zurückgegangen sind – eine Chance dafür bieten, dass künftig auch in der Innenstadt mehr individuelle, regionale Produkte präsentiert werden.

Schließlich ist einer Umfrage im Auftrag des Instituts für Handelsforschung (IFH Köln) zufolge das Einkaufen noch immer das Hauptmotiv für einen Innenstadtbesuch, auch wenn heute vor allem gezielt eingekauft werde und der Einkaufsbummel an Bedeutung verliere. Innovative Konzepte wie etwa Secondhand-Läden seien allerdings gerade bei jüngeren Menschen sehr gefragt, heißt es vom IFH.

Umwandlung in Wohnungen schwer umsetzbar

Doch der Einzelhandel kann nur eine Komponente in einem vielfältigen Erlebnisangebot in der City sein, so Vöpel: „Es macht heute weniger Sinn als je zuvor, auf fünf Etagen Dinge zu stapeln.“ Ein naheliegender Weg, die Innenstadt zu beleben, wäre die Schaffung von mehr Wohnraum dort. „Eine Umwandlung von früheren Einzelhandelsimmobilien in Wohnungen ist aber baurechtlich im Hinblick auf Brandschutz und Dämmung viel schwieriger umzusetzen als eine Umwandlung in Büros“, sagt Axmann.

Elke Pahl-Weber, die im Juni von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zur neuen Innenstadtkoordinatorin ernannt wurde, sieht das Potenzial ebenfalls als sehr begrenzt an. Sie fürchtet, dass bei etwa 1000 bis 1200 weiteren Wohnungen in der City „das Limit erreicht“ ist.

Neue Anreize für die Menschen schaffen

Man müsse also für die Menschen aus den Wohnvierteln neue Anreize schaffen, in die Innenstadt zu kommen, sagt die langjährige Professorin für Stadt- und Regionalplanung. Das vom Senat vorgeschlagene „Haus der digitalen Welt“ hält sie für eine hervorragende Idee.

Nach den Vorstellungen des Senats soll ein „in Deutschland einmaliger Innovations- und Bildungsraum“ entstehen, ein Ort mit in­spirierenden Ausstellungen, der „Begeisterung auslöst, zum Ausprobieren anregt“ und so mehrere Millionen Besucherinnen und Besucher im Jahr anziehen kann. Ein gut geeigneter Standort dafür wäre laut Pahl-Weber das östliche Ende der Mönckebergstraße, wo Karstadt Sport und Galeria Kaufhof leere Warenhäuser hinterlassen haben.

Hamburger Innenstadt: Bühne auf der Alster im Gespräch

Auch nach Auffassung von Vöpel sollten kulturelle Angebote eine wichtigere Rolle in der City spielen. Er denkt dabei weniger an etablierte Theater und Konzerthäuser – „das hat hier bereits internationales Niveau“ –, sondern eher an „avantgardistische Konzepte.“ Der Wissenschaftler ist überzeugt: „Da entsteht von selbst etwas, wenn man es nur zulässt.“ Pahl-Weber sähe gern eine Bühne auf der Alster. Sie hält es zudem für sinnvoll, die Hamburger selbst zu fragen, wie sie sich ihre Innenstadt der Zukunft vorstellen: „Es sagen keineswegs alle Menschen: Das ist nicht meine Aufgabe“, so Pahl-Weber.

„Es gibt viele, die die Gestaltung der Stadt als Gemeinschaftsprojekt verstehen und sich daran beteiligen würden.“ Das ist ganz im Sinne von Vöpel. Die Verantwortlichen in einer Stadt wie Hamburg sollten, findet er, nicht der Versuchung unterliegen, auf die steigende Komplexität durch gleichzeitige neue Herausforderungen mit noch mehr Kontrolle und Planung zu reagieren. „Wir wissen ja nicht, was in Zukunft funktioniert“, sagt Vöpel. Somit komme es darauf an, mehr Freiräume für die Gestaltung der City zuzulassen. „Wenn uns das nicht gelingt, werden uns die Krisen immer härter treffen.“