Hamburg. Elke Pahl-Weber ist seit Juni Innenstadtkoordinatorin. Das sagt die Expertin über die großen Probleme – und Lösungen.
Der Innenstadt, Hamburgs guter Stube, Hamburgs Stolz, ging es schon besser. Der Aufstieg des Internets, der Ausbruch der Pandemie, die Auseinandersetzung in der Ukraine, die ausufernde Inflation – es ist eine Gemengelage, die Stadtentwicklern wie Vermietern, Händlern wie Bürgern Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Und nun die Politik zum Handeln zwingt. Im Juni hat Bürgermeister Peter Tschentscher die gebürtige Hamburgerin Elke Pahl-Weber zur neuen Innenstadtkoordinatorin ernannt. Sie hat in Teilzeit eine Herkulesaufgabe übernommen.
Und eine, die nicht unumstritten ist. Denn Arbeitskreise, die sich mit der Zukunft der City befassen, gibt es reichlich. Pahl-Weber, die von 2009 bis 2011 das Bundesinstitut für Bau, Stadt und Raumforschung leitete, sieht diese Fülle positiv. „Hamburg hat unzählige Arbeitskreise und Runden zur Innenstadt, vor allem aber zahlreiche Projekte. Das zeigt, wie groß das Engagement der Hamburger ist.“
Stadtentwicklung: „Ich bin für die Kommunikation da"
Manches sei nur nicht ausreichend abgestimmt. Aus diesen Initiativen könne ein großer Veränderungsimpuls für die Innenstadt ausgehen. „Wir müssen die Kreise und ihre Ideen vernetzen und so Menschen und Dinge in Bewegung bringen.“ Pahl-Weber versteht sich als Moderatorin: „Ich bin für die Kommunikation da, es geht darum, miteinander zu sprechen, sich zu verstehen. Dafür muss man selbst etwas von der Sache verstehen.“
Die langjährige Professorin für Stadt und Regionalplanung der TU Berlin will die Probleme nicht dramatisieren: „Aus meiner Sicht geht es der Innenstadt auf keinen Fall schlecht. Sie hat ein paar Herausforderungen, die viele andere Innenstädte auch haben.“ So ist der Einzelhandel durch die Digitalisierung unter Druck geraten. Beschleunigt durch die Pandemie, ist der Anteil des Online-Handels sprunghaft gestiegen: 2021 verbuchte er ein Plus von 19 Prozent auf knapp 87 Milliarden Euro. 2019 lag die Summe erst bei knapp 60 Milliarden Euro, 2005 gar bei 6,4 Milliarden Euro. In einzelnen Branchen wie Mode oder Elektro nähert sich der Anteil der 50-Prozent-Marke.
Trendwende bei der Nutzung des Onlinehandels
„Das merken wir am Wechsel in den Geschäftsstraßen. Lange waren es Bücher, die online bestellt wurden. Da hat jetzt ein Wandel eingesetzt. Die Menschen gehen gerne in gut geführte Buchhandlungen“, sagt Pahl-Weber. Hingegen ist der Onlinehandel bei Textilien zuletzt stark angewachsen. „Darauf müssen sich die privaten Entwickler einstellen. Die öffentliche Hand kann nicht bestimmen, welche Läden es geben soll, sondern nur unterstützen.“
Ihre Aufgabe sieht die 70-Jährige anderswo: Sie will helfen, öffentlichen Räume so zu gestalten, dass Menschen sich hier gerne aufhalten. „Hamburg hat eine Reihe hervorragender öffentlicher Räume.“ Pahl-Weber nennt den Gertrudenkirchhof als Beispiel: Bis zur Beendigung der Baustelle am Umspannwerk hat sich der Platz in einen „Grünen Garten“ verwandelt. „Das wird sehr gut angenommen.“
„Im Jahr 2020/21 wurden 108 Wohneinheiten fertiggestellt“
Ein Ziel, das die Stadt seit Jahren verfolgt, kommt nur langsam voran: die Belebung der Innenstadt über den Bau von Wohnungen. Lebten 1880 noch rund 171.000 Menschen im Stadtkern, waren es bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs noch 66.000 Bewohner. Diese Zahl rutschte bis Ende der 70er-Jahre auf 12.000 Bewohner. Inzwischen steigt die Bevölkerung wieder. „Im Jahr 2020/21 wurden 108 Wohneinheiten fertiggestellt“, betont Pahl-Weber. Zudem seien gut 900 Wohnungen in Planung. Sie würde gern ein Wohnungsbauprojekt eines privaten Investors begleiten, um zu zeigen, was möglich ist.
Überbordende Erwartungen dämpft sie: „Ich fürchte, bei 1000 bis 1200 Wohnungen ist das Limit erreicht. Wahrscheinlich werden wir nicht viel mehr in der Innenstadt schaffen können.“ Sie verweist darauf, dass dort seit dem Krieg, anders als etwa in Lübeck, kaum noch jemand wohnt. „Eine Situation wie in Lübeck lässt sich hier kaum herstellen. Man soll zwar niemals nie sagen. Aber ich fürchte, in den nächsten zehn, 15 Jahren wird das eher nichts. Man kann nicht zwischen Kaufhäusern wohnen, ohne eine Wohninfrastruktur zu haben.“
Kopenhagen könnte das Vorbild sein
Auch die viel beschworenen Umnutzungen von Kaufhäusern oder Büros hält sie noch für wenig praxisnah: „Weder in der Innenstadt noch in den Stadtteilzentren haben wir bislang ein gutes Beispiel gefunden. Viele reden darüber, aber gemacht worden ist es noch nicht.“ Immerhin gehöre Hamburg zu den wenigen Städten, die in Deutschland planungsrechtlich die Voraussetzung geschaffen haben, um bis zu 35 Prozent Wohnen zu erlauben. Nun gehe es darum, weitere Hindernisse in der Bauordnung – etwa beim Brandschutz oder der Erschließung – zu beseitigen. „Da ist in Hamburg schon etwas in Arbeit“, sagt sie.
Die Stadtentwicklungsexpertin sieht modellhafte Entwicklungen in der dänischen Hauptstadt. „Ich liebe Kopenhagen. Ich bin fast jedes Jahr da und habe den Prozess der Umwandlung der Innenstadt in eine Fahrradstadt erlebt. Unter diesen Bedingungen ist der Einzelhandel aufgeblüht, die Aufenthaltsqualität hat sich verbessert.“ Macht der Verzicht auf Autos die Stadt also attraktiver? Pahl-Weber zögert kurz: „Ja, das kann sein. Der Veränderungsprozess mit vielen Baustellen war nicht einfach, gelang aber, weil das Ziel sichtbar war. Die Strøget in Kopenhagen ist heute hochattraktiv – da kann sich Hamburg etwas abschauen.“
"Die Mönckebergstraße hat große Potenziale"
Auf der Mönckebergstraße läuft es derzeit eher unrund, gerade die geschlossenen Kaufhäuser haben die Straße beschädigt. Wäre sie ein Gebiss, ihr fehlten zwei Schneidezähne. „Die Mönckebergstraße ist, wenn man nach oben schaut, eine tolle Straße, ein Gesamtkunstwerk. Wenn ich aber nach unten gucke und die Baustellen und die geschlossenen Läden sehe, finde ich sie nicht mehr so attraktiv.“ An Regentagen verliere die Einkaufsmeile ihr Flair. „Da bin ich schon von auswärtigen Besuchern gefragt worden: ‚Sagen Sie mal, kennen Sie sich aus? Ist das die berühmte Mönckebergstraße? Das kann doch nicht sein!‘“ Ihr Resümee: „Die Mö hat große Potenziale, benötigt ein bisschen Pflege und Entwicklung.“
Wie kann die aussehen? Busse, so sagt die Expertin, sollen weiter durchfahren, damit die City gut erreichbar bleibt – allerdings in Form leiser Elektrobusse. Die Aufenthaltsqualität müsse sich deutlich verbessern, es müsse mehr Cafés, aber auch Sitzmöglichkeiten geben. „Für mich ist die Mönckebergstraße nach wie vor eine Haupteinkaufsstraße, das ist die Leitfunktion. Wenn ein Hotel dazukommt, wenn dort Kunst ausgestellt wird, ist das gut. Die Banksy-Ausstellung im Kaufhof hat offenbar große Anziehungskraft. Kultur und Einkaufen ergänzen sich.“
„Die privaten Besitzer entwickeln ihre Flächen weiter"
Derzeit blicken die Händler vorsichtig in die Zukunft. Nach dem guten Sommer drohen Einbußen. Das Verbrauchervertrauen ist so niedrig wie seit der Finanzkrise nicht mehr, die Furcht vor höheren Energiekosten zwingt viele Haushalte zu sparen. Allerdings warnt Pahl-Weber vor Schwarzmalerei: „Die privaten Besitzer entwickeln ihre Flächen weiter. Die Mieten sind nach wie vor relativ hoch, und sie werden noch gezahlt, in einigen Fällen scheint es auch schon Abschläge zu geben.“
Pahl-Weber wünscht sich, dass in der Innenstadt Kultur erlebbar wird. Zudem sollten die Städte in den Erdgeschossen stärker auf Manufakturen setzen, die zeigen, wie man die Produkte, die wir täglich nutzen, herstellt. Die Idee, den Kaufhof in eine Markthalle zu verwandeln, wie es die Grünen vorgeschlagen haben, begrüßt sie grundsätzlich. „Ich kenne das aus anderen Städten, etwa vom Fischmarkt in Venedig. Man flaniert, man hält sich dort auf und isst frischen Fisch. Das ist eine andere Art, die Innenstadt zu nutzen.“
Stadteingang muss wiederbelebt werden
Wichtig sei, dass sich der Stadteingang wiederbelebe, dort, wo Karstadt Sport und Kaufhof leere Warenhäuser hinterlassen haben. „Ich würde mir an dieser Stelle eine Attraktion wünschen, in der Menschen die Zukunft kennenlernen können“, sagt sie. Damit käme das geplante Naturkundemuseum oder das Evolutioneum ins Spiel. Zugleich will Pahl-Weber die Kunstmeile beleben – dieses Band aus Kunsthalle, Museum für Kunst und Gewerbe und Deichtorhallen.
„Leider funktioniert sie nicht richtig, weil der Hauptbahnhof mit seinen Gleisen dazwischen liegt. Eine neue Attraktion könnte die Kunstmeile verdeutlichen und die Grenze von der Innenstadt nach St. Georg und auch Richtung HafenCity überwinden.“ Die vorgeschlagene Überdachung der Gleise Richtung Hühnerposten hält sie für „gut überlegt“, weil sie neue Wegeverbindungen von der Kunsthalle zu den Deichtorhallen schafft.
Fleete bieten viele Möglichkeiten
Auch die Idee einer Bühne auf der Alster sei eine attraktive Möglichkeit, die Stadt zu beleben. „Die Alster ist ein Pfund. Das Thema Wasser in der Innenstadt ist noch nicht richtig entdeckt, die Fleete liegen geradezu versteckt. Da könnte man viel mehr draus machen.“ Leider verschwänden viele Ideen wieder aus der Debatte, weil sie nicht bis zum Ende durchdacht wurden. Am Domplatz, so sagt die 70-Jährige, würde sie gern mehr von der alten Geschichte Hamburgs sichtbar machen. „Das ist mir zu wenig, um zu lernen, wie Hamburg entstanden ist. Das Gleiche gilt für den Nikolaifleet, wo früher der Hafen war.“
Von einer Aufwertung profitiere am Ende die ganze Innenstadt. Für den Jungfernstieg erhofft sie sich eine Lösung, „die diesem ganz besonderen Ort gerecht“ wird. Die Gespräche über die Neugestaltung liefen weiter. „Benötigen wir eine vierte Baumreihe, um den Bereich an der Alster attraktiver zu machen? Oder muss die Straße ein Stück Richtung Wasser geschoben werden? Da gibt es unterschiedliche Ideen“, sagt sie. „Eigentlich war die Planung abgeschlossen, aber die Bereitschaft ist da, sich noch einmal auseinanderzusetzen.“
HafenCity und Innenstadt verknüpfen
Und noch ein Punkt treibt sie um – die Vernetzung von Innenstadt und HafenCity. „Die Anbindung ist unbedingt erforderlich. Das sagen alle Akteure. Schon das Innenstadtkonzept von 2014 sah drei wichtige Achsen zur Verknüpfung.“ Diese Verbindungen querten die Mönckebergstraße und werteten sie auf. Für die Überquerung der alten Ost-West-Straße zur Speicherstadt und HafenCity wünscht sie sich innovative Lösungen, weder eine neue Brücke noch eine Untertunnelung.
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„Es geht darum, den Verkehr einmal komplett anzuhalten, die Menschen über die Straße gehen zu lassen, und ihn dann wieder zu starten.“ Ein Bild, das die Shibuya Crossing in Tokio zur wohl berühmtesten Kreuzung der Welt gemacht hat. „London hat es ebenfalls gewagt. Wir könnten das ausprobieren. Wenn es nicht funktioniert, wird es eben wieder verändert.“
Stadtentwicklung: Hamburger sollen mitreden können
Ausdrücklich will Pahl-Weber die Bedarfe, Ideen und Gedanken der Hamburger bei der Veränderung der City hören und berücksichtigen: „Ich hätte Lust auf Kaufhaus-Gespräche in einem leer stehenden Kaufhaus. Dort könnte man die Bürger fragen, was sie an diesem Ort brauchen. Das ist etwas anderes, als Wünsche abzufragen.“ Ihre Rolle als Innenstadtkoordinatorin definiert sie so: „Ich will nicht diktieren. Ich möchte ermöglichen.“