Hamburg. Milliardenauftrag: Clean Logistics wird zum großen Mitspieler im Nutzfahrzeugbau. So viele Stellen sind zusätzlich in Planung.

Am Anfang trieb sie Idealismus: Die beiden Hamburger Unternehmer, Dirk Lehmannn, Geschäftsführer des Schiffsausrüsters Becker Marine Systems, und der Spediteur Dirk Graszt gründeten vor nicht ganz drei Jahren ein Unternehmen zur Umrüstung von Lkw auf Wasserstoffantrieb, um Deutschlands Schwerlastverkehr CO2-frei umzubauen. Jetzt machen die beiden ernst, denn was als Werkstattidee und Tüftelei begann, nimmt massenfertigungsreife Dimensionen an.

Die Clean Logistics, so der Name des Unternehmens mit Hauptsitz in Hamburg, hat einen Großauftrag zur Lieferung von 5000 wasserstoffelektrischen Lkw unterzeichnet. Vertragspartner ist die GP Joule Gruppe, ein Energieversorger und Dienstleister aus Schleswig-Holstein. Die Lieferung der Fahrzeuge ist für den Zeitraum von 2023 bis 2027 vorgesehen. Das Volumen des Geschäfts ist gigantisch. Für Clean Logistics bedeutet es einen geplanten Umsatz im unteren einstelligen Milliarden-Euro-Bereich.

5000 Wasserstoff-Lkw: Milliardenauftrag für Hamburger Firma

Mit der Auslieferung der ersten Fahrzeuge einer Vorserie wird am Ende des dritten Quartals 2023 gerechnet. Das genaue Timing hängt davon ab, wann der Bund erwartete Fördermittel bewilligt, die für die Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs bereit gestellt werden. Dann sind jährliche Liefervolumina vereinbart worden. „Es handelt sich auch nur um eine Anschubfinanzierung einer jungen Industrie. Irgendwann muss sich die Produktion selbst tragen“, sagt Dirk Graszt, Vorstandschef von Clean Logistics. „Für uns ist das ein Riesen-Geschäft. Es ist der größte Auftrag, der in der Branche zur Herstellung wasserstoffbetriebener Lkw bisher vergeben wurde.“ Verwaltungsratschef und Mehrheitseigentümer Dirk Lehmann spricht von einem „Leuchtturm-Auftrag“. Er habe schon mehrere Unternehmen zum Laufen gebracht, sagt Lehmann, der auch Gesellschafter des Hamburger Schiffbauzulieferers Becker Marine Systems ist. „Aber keines hat sich so stark entwickelt und ist so stark gewachsen wie Clean Logistics.“

Der Auftrag ist für das Unternehmen auch ein neues Geschäftsmodell. Denn bisher hatte sich Clean Logistics auf die Umrüstung bestehender Diesel-Lkw auf Wasserstoffantrieb konzentriert. In einer mittelgroßen Halle in Winsen, im Landkreis Harburg, bauten ein knappes Dutzend von Ingenieuren und Kfz-Mechatronikern einzelne Zugmaschinen und Busse auf Wasserstofftechnologie um. Einige Teile waren auf dem Markt gar nicht zu haben, wie eine funktionsfähige Achse mit Radnabenmotor und Steuerungssystem. Doch die Eigenentwicklungen machen sich jetzt bezahlt. Zukünftig baut die Firma zusätzlich Neufahrzeuge, die mit Brennstoffzellen-, Batterie- und Wasserstofftanksystemen ausgerüstet sind.

Mitarbeiterzahl innerhalb eines Jahres von elf auf 180 gestiegen

Clean Logistics hat dazu Ende Juli den mittelständischen niederländischen Lkw-Hersteller Ginaf übernommen. Das Unternehmen aus Veenendaal ist im Umbau und in der Fertigung von Lkw für verschiedene Branchen tätig: Bau, Straßenreinigung, Abfallentsorgung, Landwirtschaft und Bergbau. Der Betrieb mit einer Maximalkapazität von 200 Lastwagen pro Jahr übernimmt dazu Komponenten vom bekannten Nutzfahrzeughersteller Daf. Bezahlt hat Clean Logistics den Ginaf-Kauf zum Teil in Aktien, zum Teil in bar. Das notwendige Geld hat Clean Logistics beim Börsengang vor einem Jahr mit der Ausgabe neuer Aktien und eine Anleihe hereingeholt.

Das Wachstum von Clean Logistics bedeutet vor allem neue Arbeitsplätze: Vor einem Jahr hatte das Unternehmen noch elf Mitarbeiter. Heute sind es 180. „Und wir werden in den kommenden Jahren wohl weitere 500 Mitarbeiter benötigen, um den Auftrag auszuführen“, sagt Graszt. Zusätzlich investiert Clean Logistics in weitere Bauplätze, denn die Halle in Winsen ist jetzt schon viel zu klein. Auf einem benachbarten Grundstück entsteht eine weitere 10.000 Quadratmeter große Halle. „Wir suchen aber nach weiteren Standorten.“ Man sei mit drei verschiedenen Gemeinden im Umland im Gespräch, ergänzt Lehmann. „Insgesamt suchen wir etwa zehn Hektar zusätzliche Produktionsflächen.“

Wasserstoff-Lkw: Clean Logistics sucht weitere Produktionsflächen

Der Markt für die modernen Lkw ist riesig. Für den Güterverkehr benötigt Deutschland angesichts des Klimawandels alternative Antriebsarten. Zwei Millionen 40-Tonner transportieren täglich Waren durch Europa, ihre Dieselmotoren sorgen für viel Dreck und sind schlecht fürs Klima. Der Güterverkehr wird nach Ansichten des Bundesverkehrsministeriums bis zum Jahr 2030 um 39 Prozent wachsen. Reine Batteriefahrzeuge sind aber beim Schwerlastverkehr keine Lösung. Wenn ein 40-Tonner damit auf die Straße soll, dann transportiert er viel zu schwere Batterie und viel zu wenig eigentliche Ladung. Also bedurfte es einer Lösung. Als Graszt und Lehmann vor drei Jahren bei den großen Herstellern der Branche wie VW und MAN mit ihrer Idee zur Umrüstung von Lkw auf Wasserstoff vorstellig wurden, war niemand bereit, mit ihnen zu kooperieren. „Heute rennen uns alle die Türen ein“, sagt Graszt.

Auch der Lkw-Umbau wird vorangetrieben. Clean Logistics hat dazu ebenfalls mit GP Joule einen Vertrag zur Reservierung von 40 Umbauplätzen geschlossen. Was mit einigen Prototypen begann, hat Clean Logistics inzwischen zur Serienreife entwickelt.

„Es gibt rund 220.000 Sattelzugmaschinen der Typen, die wir derzeit umrüsten, in Deutschland. In Europa sind es gar 2,5 Millionen. Ihre Dieselmotoren stoßen Feinstaub, Stickoxide und CO2 aus. Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, müssen bis 2030 etwa 200.000 davon emissionsfrei zugelassen sein“, rechnet Graszt vor. „Wir befinden uns in fortgeschrittenen Gesprächen mit Unternehmen in ganz Deutschland zum Umbau von Diesel-Schleppern auf Wasserstoffantrieb.“ Die Zahl der Aufträge übersteige bereits die Marke von hundert, so Lehmann. Die beiden haben offensichtlich einen Nerv der Zeit getroffen.