Hamburg. Hjalmar Stemmann wagt im Abendblatt einen Ausblick auf die Preissituation und Wartezeiten. Warum er sich ein neues Schulfach wünscht.

Über Handwerker können aktuell viele Hamburgerinnen und Hamburger eine Geschichte erzählen. Vor allem steigende Preise und lange Wartezeiten in einigen Gewerken sorgen für Ärger. Wie ist die wirtschaftliche Situation des Hamburger Handwerks im Allgemeinen?

Welche Probleme gibt es in einzelnen Gewerken – und wie kann man sie womöglich lösen? Das Abendblatt hat beim Präsidenten der Handwerkskammer Hamburg, Hjalmar Stemmann, nachgefragt.

Hamburger Abendblatt: Wie ist die aktuelle Lage im Hamburger Handwerk?

Hjalmar Stemmann: Noch ist die Lage sehr gut. Die Auftragsbücher sind voll, die Beschäftigungssituation ist ordentlich. Aber es ziehen am Horizont dunkle Wolken auf.

Was heißt das konkret?

Stemmann: Eine der großen Herausforderungen für unsere Handwerksbetriebe sind die steigenden Energiepreise. Hinzu kommen die Material- und Lieferengpässe sowie der fehlende Nachwuchs. Das bereitet uns alles in der Kombination große So rgen.

Wie dramatisch ist die Situation mit Blick auf die Energiepreise?

Stemmann:Die Energiekosten sind in vielen Gewerken bereits extrem gestiegen. Nun kommt in vielen Betrieben noch die Angst dazu, dass sie womöglich infolge einer Gasmangelsituation Produktionsprozesse nicht mehr aufrechterhalten können. Das wäre fatal. Noch sehen wir diese Gefahr nicht akut, aber auszuschließen ist es leider nicht.

Welche Gewerke sind von den hohen Energiepreisen besonders stark betroffen?

Stemmann: Die steigenden Stromkosten belasten alle Handwerksbetriebe, denn jeder verbraucht schließlich Strom. Beim Gas ist die Situation differenzierter zu betrachten. Textilreinigungen haben zum Beispiel besonders hohe Gasrechnungen. Sie arbeiten mit Dampferzeugungsanlagen, für die viel Gas benötigt wird und die man nicht mal eben so innerhalb weniger Monate auf Strom umrüsten kann. Auch Lebensmittelhandwerker wie Bäcker benötigen viel Gas.

Was erwarten Sie an Hilfestellungen seitens der Politik? Neue Zuschüsse?

Stemmann: Ich gehe davon aus, dass für weitere Zuschüsse kein Geld mehr in den öffentlichen Kassen sein wird. Wir haben in der Corona-Zeit als Handwerk umfangreiche Hilfen bekommen, die auch sehr wichtig waren. Mit Blick auf die aktuelle Krise befürchte ich, dass sich die Zahl der Kurzarbeiter im Handwerk in den kommenden Monaten deutlich erhöhen wird – vor allem wenn größere Industriebetriebe als Lieferanten für das Handwerk wegen einer Gasmangellage abgeschaltet werden müssen. Das würde unsere Betriebe auch massiv treffen. In diesem Fall hoffe ich, dass die bisher großzügigen Kurzarbeiterregelungen weiter gelten. Das wäre schon eine große Hilfe für das Handwerk.

Blickt man auf die Handwerksbetriebe, so gewinnt man den Eindruck, dass sie die gestiegenen Kosten in vielen Fällen an die Kunden über höhere Preise weitergeben. Schließlich wird alles teurer – ob beim Bäcker, Schlachter oder Maler. Werden sich diese Preiserhöhungen immer weiter fortsetzen?

Stemmann: Wir haben hier einen sehr gespaltenen Markt. Es gibt Gewerke wie die Zahntechnik, die höhere Kosten gar nicht weitergeben können, weil ihre Preise gesetzlich gedeckelt sind. Dann haben wir das Lebensmittelhandwerk, das in direkter und harter Konkurrenz zu industriellen Anbietern steht. So kann ein Handwerksbäcker nicht ständig die Preise anheben, weil die Kunden sonst ihre Brötchen beim Discounter kaufen. Zudem haben wir Gewerke, die Kunden schnell und dauerhaft an die Schattenwirtschaft verlieren. Das Paradebeispiel sind die Friseure. Wird der Haarschnitt im Salon zu teuer, lassen sich immer mehr Menschen die Haare von Freunden oder Bekannten schneiden, die das können. Und die Betriebe im Bau- und Ausbaugewerbe haben häufig langfristige Verträge, vor allem mit Großkunden wie Wohnungsbaugesellschaften, die Preisanpassungen erschweren. Viele Handwerker können folglich ihre Preise nicht über einen längeren Zeitraum den stark steigenden Kosten anpassen, weil sie sonst ihre Kunden verlieren. Machen sie aber Verluste, müssen sie Personal entlassen – eine fatale Situation.

Die hohen Gaspreise führen dazu, dass sich Heizungsinstallateure aktuell vor Aufträgen nicht retten können. Immer mehr Menschen wollen eine moderne Heizungsanlage. Kunden müssen zum Teil bis zu einem Jahr auf eine neue Wärmepumpe warten. Können Sie den Betroffenen Hoffnung machen, dass sich die Lage bald wieder entspannen wird?

Stemmann: Ich befürchte, dass wir auf längere Sicht mit diesen langen Wartezeiten leben müssen. Das liegt aber nur zum kleineren Teil am Handwerk. Das größere Problem ist, dass die Industrie die Anlagen nicht liefern kann. Es ist allerdings auch richtig, dass die Heizungsinstallateure nicht genug Personal haben, das in der Lage ist, diese moderne Technik einzubauen.

Ist die Klimawende mit Blick auf diese Pro­bleme überhaupt realistisch?

Stemmann: Die Ziele der Klimawende sind richtig und wichtig, aber die politisch vorgegebene Zeitschiene ist zu knapp bemessen. Wir haben weder ausreichend Geräte noch Personal, um den Umbau in der von der Politik vorgegebenen Zeit umsetzen zu können.

Wie kann man den Personalmangel aus Ihrer Sicht abstellen?

Stemmann: Wir haben rund 600 freie Ausbildungsplätze in unserer Lehrstellenbörse, ein Großteil in den so genannten Klimaberufen. Aber wir finden nicht genug junge Leute, die sich dafür begeistern. Zwingen können wir niemanden, sondern nur auf die langfristig sicheren Arbeitsplätze in diesen Bereichen hinweisen.

Warum lassen sich viele Mädchen und Jungen für technische Berufe, auch im Handwerk, nicht begeistern?

Stemmann: Das ist eine gute Frage. Technische Berufe sind bei jungen Menschen bundesweit nicht angesagt, dieses Problem gibt es ja schon länger. Es handelt sich also um keine wirklich neue Entwicklung. Zudem drängen immer mehr junge Frauen und Männer nach dem Abitur an die Universitäten, statt eine Ausbildung zu machen. Diese Entwicklung ist vor allem für das Handwerk problematisch. Ich wünsche mir in allen Schulformen ein Fach wie „Technik und Handwerk“ in der 9. und 10. Klasse. Dort könnten Aspekte aus der Physik, Biologie und Chemie einfließen. Zudem könnte man im Rahmen dieses neuen Fachs auch mathematische und naturwissenschaftliche Probleme an praktischen Beispielen erklären, was für viele Schülerinnen und Schülern hilfreich wäre. Natürlich weiß ich, dass man nicht so einfach ein Schulfach einführen kann. Letztlich brauchen wir mehr Praxisbezug bereits in der Schulzeit. Da bin ich für alle Wege offen, auf denen dies erreicht werden kann. Es wäre auch hilfreich, wenn die Kooperationen zwischen Handwerksbetrieben und Gymnasien deutlich weiter ausgebaut würden. Denn nur wenn Handwerksmeister in die Schulen gehen und ihre Berufe vorstellen, kann man die jungen Menschen auch dafür begeistern. In den Stadtteilschulen läuft das besser.