Hamburg. Im Vergleich zu den europäischen Wettbewerbshäfen steht Hamburg im ersten Halbjahr gut da. Aber die Prognose ist düster.

Ulfert Cornelius ist seit zwei Jahren Geschäftsführer des Evos-Umschlagterminals im Hamburger Hafen für Flüssiggüter wie Mineralölprodukte und Biosprit. Aber eine Situation wie aktuell habe er noch nicht erlebt, sagt er kopfschüttelnd. Normalerweise rollen von seinem Terminal etwa 50 Züge mit Tankstellenprodukten im Monat. „Jetzt haben wir die Hälfte des Monats August und diese Zahl schon erreicht. Wir gehen also von einer Verdoppelung der Mengen aus“, sagt er.

Hafen Hamburg präsentiert positive Halbjahreszahlen

Das führe das Terminal in Wilhelmsburg an seine Belastungsgrenzen. Grund für diese Entwicklung sei der außergewöhnlich niedrige Wasserstand im Rhein, über den die Versorgung von Deutschlands Süden mit Kraftstoffen normalerweise abgewickelt wird. Die Mineralölprodukte werden üblicherweise in Rotterdam aufs Binnenschiff verladen. Doch derzeit sind die Transportkapazitäten auf dem Rhein stark eingeschränkt.

Da kommt Evos ins Spiel. Die Marketingorganisation des Hafens nutzte das Terminal am Mittwoch als Veranstaltungsort, um die jüngsten Zahlen zur Hafenentwicklung zu präsentieren. Ein gut gewählter Ort, denn so wie bei Evos hat sich im Hafen insgesamt einiges zum Positiven gedreht – wenn auch die Grundtendenz wegen des Ukraine-Krieges und der Russland-Sanktionen weiterhin negativ ist.

Mehr Containerumschlag im Hafen – gegen den Europatrend

Aber der Containerumschlag im Hamburger Hafen hat sich im ersten Halbjahr 2022 positiver entwickelt als erwartet. 4,4 Millionen TEU (20-Fuß-Standardcontainer) wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres über die Kaikanten gehoben, dies entspricht einem kleinen Plus von 0,9 Prozent. Besonders interessant: Hamburgs Hafen verzeichnet gegenüber den nordeuropäischen Wettbewerbern Antwerpen-Brügge, Rotterdam und Bremen/Bremerhaven, die alle Rückgänge im Containerumschlag meldeten, als einziger ein Plus.

Im Durchschnitt betrug der Gesamtrückgang beim Containerumschlag bei den großen vier Nordseehäfen in den ersten sechs Monaten 4,6 Prozent. Gegen diesen Trend gewann Hamburg Marktanteile von 1,1 Prozentpunkten hinzu, wie die Marketingorganisation des Hafens am Mittwoch mitteilte. Es ist das erste Mal seit Monaten, dass der Hamburger Hafen seinen harten Wettbewerbern Marktanteile abnimmt, statt selbst zu verlieren.

Stückgut-Aufkommen wächst drastisch – wegen des Containerstaus?

Insbesondere im Bereich der innereuropäischen, sogenannten Verteilverkehre der Seegüter aus Übersee, in dem Hamburg seit Jahren Rückgänge verzeichnet, macht die Hansestadt offenbar wieder Boden gut. Anders gesagt: Güter, die nicht am ersten Zielort verbleiben, sondern dort auf kleinere Schiffe umgeladen werden, haben in Hamburg wieder zugenommen.

Das Aufkommen des Stückguts (Lokomotiven, Baumaschinen usw.) ist in den ersten sechs Monaten 2022 sogar zweistellig um 34,3 Prozent auf 798.000 Tonnen gewachsen. Hafen Hamburg Marketing führt dieses auf die massiven Verzögerungen im Containerverkehr zurück, in deren Folge sich Kunden wieder auf herkömmliche Transportarten besinnen.

Trotz guter Container- und Stückgutzahlen: Hafen Hamburg schrumpft

Das Plus im Container- und Stückguttransport kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Hamburger Hafen insgesamt schrumpft: Der Gesamtumschlag in Deutschlands größtem Universalhafen fiel im ersten Halbjahr 2022 mit insgesamt 61,8 Millionen Tonnen um 2,7 Prozent geringer aus als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum.

Den Rückgang erklärt Hafen Hamburg Marketing mit einem schwächeren Ergebnis beim Massengutumschlag (Getreide, Erz usw.). Zu diesem Rückgang hat stark der Ukraine-Krieg beigetragen. Insgesamt wurden in den ersten sechs Monaten in Hamburg 17,6 Millionen Tonnen Massengüter umgeschlagen. Das bedeutet ein Minus von 8,9 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum 2021.

"Positiv ist, dass aus Asien wahnsinnig hohe Mengen verladen werden"

„Das erste Halbjahr stellte die Hamburger Hafenunternehmen vor ganz besondere Herausforderungen. So führte der Krieg in der Ukraine zu weitreichenden Sanktionen im Außenhandel, die sich auch in beträchtlichem Umfang auf den Seegüterumschlag im Hamburger Hafen auswirkten und weiter auswirken“, sagte sagt Axel Mattern, Vorstand der Marketingorganisation.

Im Zusammenhang mit dem nahezu komplett eingestellten Containerverkehr mit russischen Häfen habe es als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine neben Rückgängen im Stück­gutumschlag auch deutliche Rückgänge beim Massengutumschlag gegeben. Auch die Auswirkungen der globalen CoronaPandemie würden weiter Transport- und Versorgungsengpässe für Handel und Industrie verursachen. „Positiv ist, dass aus Asien wahnsinnig hohe Mengen verladen werden. Das dürfte die Auswirkungen des jüngsten Lockdowns mindern.“

Hafen Hamburg: Ohne Elbvertiefung wären negative Ausschläge noch größer

Ohne die Elbvertiefung wären die negativen Ausschläge noch deutlicher, ist man bei Hafen Hamburg Marketing überzeugt. „Konkret: Im ersten Halbjahr 2022 haben 117 Großcontainerschiffe die Möglichkeiten der Fahrrinnenanpassung sofort in Anspruch genommen. Der durchschnittliche Tiefgang dieser Großcontainerschiffe ist gegenüber 2021 um etwa 0,5 Meter gewachsen. Dabei wurden je Anlauf acht Prozent mehr Container umgeschlagen“, sagte Friedrich Stuhrmann, Geschäftsführer der Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA). „Dies unterstreicht die unverzügliche Annahme der Fahrrinnenanpassung durch unsere Kunden.“

Matterns Prognose fürs Gesamtjahr ist dennoch ungünstig: „Vor dem Hintergrund einer Eintrübung der gesamtwirtschaftlichen Lage, die durch einen zu erwartenden Anstieg der Energiepreise und eine Abschwächung beim Konsum geprägt sein dürfte, ist für die weitere Entwicklung beim Seegüterumschlag bis zum Jahresende eher eine Abschwächung zu erwarten.“ Ein Umschlagergebnis von rund 130 Millionen Tonnen und 8,7 Millionen Standardcontainern sei bei einer Stabilisierung der Transportketten und weltwirtschaftlichen Lage optimistisch, aber nicht ausgeschlossen. Damit dürfte Hamburgs Hafen insgesamt schlechter abschneiden als 2021.