Hamburg. Montag wird wieder verhandelt, zugleich naht das Ende der Friedenspflicht. Zwei Hafenbetriebe erwägen nun drastische Schritte.
Am kommenden Montag startet die mittlerweile zehnte Verhandlungsrunde im aktuellen Tarifkonflikt zwischen den deutschen Seehafenbetrieben und der Gewerkschaft Ver.di. Keine der beiden Seiten möchte öffentlich über den Ausgang spekulieren. Klar ist aber, die Gespräche stehen an einem Scheideweg: Kommt es zu einer Einigung, geht einer der längsten und härtesten Tarifkämpfe der vergangenen vier Jahrzehnte in den Häfen zu Ende und die rund 12.000 Beschäftigten in den Häfen, davon 6000 in Hamburg, bekommen rückwirkend zum 1. Juni deutlich mehr Geld.
Geht das Angebot den Arbeitnehmern nicht weit genug und die Gespräche scheitern, stehen in Hamburg und den anderen Hafenstandorten wieder Arbeitsniederlegungen bevor. Denn am 26. August endet die Friedenspflicht, die die Parteien in einem Vergleich vor dem Hamburger Arbeitsgericht vereinbart haben. Danach sind neue Streiks möglich, wie zuletzt beim Ausstand vor fünf Wochen, der den Hamburger Hafen für zwei Tage komplett lahmlegte.
Hafen Hamburg: Verhandlungen beginnen am Montag
Prognosen wollen selbst die unmittelbar beteiligten Verhandlungsspitzen auch hinter vorgehaltener Hand nicht abgeben. Zwar hat es bei der letzten Gesprächsrunde am 10. August wohl in einigen Fragen Fortschritte gegeben, aber nach wie vor werden alle Lösungsvorschläge, die in den Verhandlungen ernsthaft diskutiert werden, von der Bundestarifkommission der Gewerkschaft wieder kassiert.
So kommt es am Montag bei den Verhandlungen, die in Bremen stattfinden, zum Showdown – vielleicht mit krachendem Ende. Denn in ersten Flugblättern, die beim Hafenpersonal an den Terminals kursieren, wird bereits von einer Urabstimmung gesprochen. Sie ist das letzte Mittel vor einem Erzwingungsstreik. Der dürfte nicht nur wenige Stunden oder Tage wie die bisherigen Warnstreiks dauern, sondern wesentlich länger.
Zusätzliche Streiks der Hafenarbeiter denkbar
„Wir stellen uns auf alles ein, auch auf zusätzliche Streiks ab kommender Woche. An den Terminals machen Ver.di-Vertreter Stimmung dafür“, sagte ein Sprecher des größten Hafenbetriebs, der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). Beim Zentralverband der Seehafenbetriebe (ZDS) – dem Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite – heißt es, die Unternehmen sollten sich auf mögliche zeitnahe Streiks einrichten. Verbandsintern ist die Aufregung groß: 55 Betriebe aus allen großen deutschen Seehäfen werden durch ihn vertreten. Zwei davon haben nach Informationen des Abendblatts jetzt schon angekündigt, sie wollen aus dem Tarifvertrag austreten.
Weitere Unternehmen erwägen diesen Schritt. Der Grund dafür ist einfach: Die im Raum stehenden Löhne und Gehälter sind ihnen zu hoch. Zur Erinnerung: Der ZDS beziffert sein aus mehreren Komponenten bestehendes Angebot – über eine Laufzeit von 24 Monaten – mit einem Lohnplus von 12,5 Prozent für Beschäftigte der Containerbetriebe und 9,6 Prozent in konventionellen Betrieben sowie 5,5 Prozent für angeschlagene Betriebe, die einem Sanierungstarifvertrag unterliegen.
Lohnerhöhungen von bis zu 14 Prozent gefordert
Das Angebot sei „final“, hatten die Arbeitgeber hinzugefügt. Die Gewerkschaft ist mit einem Forderungspaket in die Verhandlungen gegangen, das nach Ver.di-Angaben in der Spitze Lohnerhöhungen von bis zu 14 Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten bedeutet. „Wir fordern einen echten Inflationsausgleich und eine Reallohnsicherung“, betonte Maya Schwiegershausen-Güth, die Verhandlungsführerin von Ver.di.
Vor dem Hintergrund dieser Ansage besteht die Problematik nun darin, vorauszusehen, wie sich die Inflation für den Zeitraum über eben jene zwölf Monate hinaus entwickeln wird. Die Arbeitgeber hatten dazu ein kompliziertes Lohnerhöhungsmodell entworfen, ein sogenanntes Zebramodell, das ab dem 13. Monat greifen könnte. Es berechnet, zu welchen Lohnerhöhungen die Arbeitgeber bereit wären, je nachdem, wie hoch die Inflation ausfallen würde. Übersteigt die Preissteigerungsrate acht Prozent, soll der Tarifvertrag sogar kündbar sein.
Hafenbetriebe sorgen sich vor weiteren Streiks
Bisher wollte Ver.di dem Modell nicht folgen. Bleibt es bei der Ablehnung, dürfte eine Einigung schwierig werden. Schwiegershausen-Güth will sich zu einer möglichen Urabstimmung und weiteren Streiks in der kommenden Woche nicht äußern. „Das werden wir dann in den Gremien beraten“, sagte sie. Dem greife sie nicht vor.
Bei den Hafenbetrieben ist die Sorge vor weiteren Streiks groß. Sie befürchten, dass Reedereien wegen der Unzuverlässigkeit der Schiffsabfertigungen ihre Liniendienste aus deutschen und weiteren europäischen Häfen abziehen und nach Süden verlagern. Die gestörten Lieferketten und die Containerstaus haben sich in den vergangenen Wochen im Hamburger Hafen sogar noch verschärft.
Problem betrifft alle Nordseehäfen
In der deutschen Bucht warten allein für Hamburg derzeit knapp 30 Schiffe auf eine Einlauferlaubnis in den Hafen. Die Umschlagsbetriebe wie die HHLA können kaum mehr neue Ladung annehmen, weil ihre Abnehmer selber über keine zusätzlichen Containerlagerflächen verfügen und ihre Waren nicht abholen.
Das Problem betrifft nicht nur Hamburg, sondern alle Nordseehäfen. Der dänische Reedereikonzern Maersk lässt seine Seeladung aus Fernost im Hafen von Port Said in Ägypten abladen und von dort mit kleinen Schiffen zum Hafen Vado Gateway in Genua transportieren, von wo aus die Waren an die europäischen Kunden gehen. Damit könnte die Transportzeit der Waren zwischen Asien und Europa verkürzt werden.
Hafen Hamburg: „Ever Alot“ hat sich angemeldet
Experten sehen darin einen Trend zur Verlagerung des Umschlags in Richtung Süden, der zu einer Austrocknung nördlicher Häfen wie Hamburg führen könnte. Einem Ranking von Port Economics zufolge wächst beispielsweise der Hafen von Valencia derzeit stark. Dort kletterte die Anzahl der umgeschlagenen Boxen im vergangenen Jahr um 3,4 Prozent auf 5,6 Millionen Standardcontainer (TEU).
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Damit hat sich Valencia vor den griechischen Hafen Piräus geschoben und rangiert in Europa auf Platz vier, gleich hinter Hamburg. In der Hansestadt kämpft man derweil mit einem zusätzlichen Problem: Hier hat sich das derzeit weltgrößte Containerschiff „Ever Alot“ mit einer Kapazität für 24.000 Standardcontainer zum Erstbesuch am 19. September angemeldet. Das kann man in der Deutschen Bucht keinesfalls warten lassen.