Hamburg. Städtischer Versorger geht davon aus, dass die Preise drastisch steigen werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Jens Kerstan (Grüne), Hamburgs Senator für Umwelt und Energie, scheut vor unbequemen Botschaften nicht zurück. So hat er die Bürger der Hansestadt schon zu Beginn des Sommers auf massiv steigende Energiekosten eingestimmt. „Mit der nächsten Jahresabschlussrechnung werden harte Belastungen auf die Menschen zukommen, die viele wirklich bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit bringen werden“, sagte der Senator. Er gehe davon aus, dass in vielen Fällen Preiserhöhungen von weit über 100 Prozent verkraftet werden müssten.

Anlass für Kerstans düstere Prognose war die Bilanzvorlage der Hamburger Energiewerke, deren Aufsichtsratsvorsitzender der Politiker ist. Der städtische Betrieb ist auch der wichtigste Fernwärme-Versorger in Hamburg – und hat jetzt auf Abendblatt-Anfrage mitgeteilt, dass der Preis dieser Heizenergieform um mindestens 60 Prozent steigen dürfte. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten rund um die Fernwärme:

Fernwärme in Hamburg: Was ist das überhaupt?

Fernwärme für Hamburg wird bisher vor allem in den beiden Heizkraftwerken Tiefstack und Wedel erzeugt. Sie wird als heißes Wasser oder Dampf über isolierte, größtenteils unterirdische Rohrleitungen zu den angeschlossenen Gebäuden transportiert, wo sie zur Heizung der Wohnungen und zur Warmwasserversorgung verwendet wird. Mit einer Länge der Rohrleitungen von 860 Kilometern verfügt Hamburg über das zweitgrößte Fernwärmenetz in Deutschland. Die Geschichte der Hamburger Fernwärme reicht bis 1894 zurück, als das Rathaus als erster Kunde an das Netz angeschlossen wurde.

Wie viele Haushalte in Hamburg werden mit Fernwärme versorgt?

Einer Studie des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zufolge sind es 289.000 Wohnungen, was gut 31 Prozent des Wohnungsbestands der Hansestadt entspreche. Die Hamburger Energiewerke versorgen nach eigenen Angaben aktuell rund 247.000 Haushalte mit Stadtwärme zum Heizen und zur Warmwasserbereitung, darüber hinaus zahlreiche Gewerbekunden sowie Krankenhäuser und andere städtische Einrichtungen. „Insgesamt stellen die Hamburger Energiewerke rund ein Viertel der in Hamburg verbrauchten Nutzwärme bereit“, teilt das Unternehmen mit.

Welche Energiequellen werden genutzt?

Laut Geschäftsbericht der Hamburger Energiewerke setzte sich der Energiemix für die Fernwärmeerzeugung im vergangenen Jahr zu 64 Prozent aus Steinkohle, zu 19 Prozent aus Erdgas, zu 16 Prozent aus der Abwärme von Müllverbrennungsanlagen sowie zu einem Prozent aus sonstigen Energieträgern wie Biogas oder der Solarthermie zusammen.

Wie berechnet sich der Fernwärmepreis?

Die Energiewerke Hamburg nutzen für die Ermittlung des sogenannten Arbeitspreises – aktuell 4,76 Cent je Kilowattstunde (kWh) zuzüglich eines Emissionspreises von 1,038 Cent je kWh – eine komplexe Formel, in die außer dem jeweiligen Vorjahrespreis etliche Faktoren eingehen: Ein Preis für Kohle-Termingeschäfte im Rotterdamer Handel, Erdgas-Notierungen an der Energiebörse EEX, der Preis für CO2-Zertifikate an der EEX, der Index der Erzeugerpreise für gewerbliche Produkte sowie der Index der tariflichen Monatsverdienste im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich.

Wie teuer ist Fernwärme bisher im Vergleich zu anderen Heizungen?

Fernwärme gilt als vergleichsweise teuer, wobei aber berücksichtigt werden muss, dass keine Kosten für die Erneuerung von Gas- oder Ölheizkesseln im eigenen Haus anfallen. Für den Heizspiegel des Deutschen Mieterbunds hat die Beratungsfirma co2online die Heizkosten für eine durchschnittliche, 70 Quadratmeter große Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, die mit Fernwärme versorgt wird, für 2021 auf 945 Euro veranschlagt. Mit einer Ölheizung lägen die Kosten bei 900 Euro und mit einer Wärmepumpe bei 780 Euro, während man mit einer Gasheizung auf 775 Euro und mit einer Holzpellet-Heizung auf 570 Euro komme.

Um wie viel teurer wird Fernwärme in Hamburg demnächst?

Die Hamburger Energiewerke rechnen für den Großteil der Kunden in der Fernwärmeversorgung mit einem Preisanstieg von „über 60 Prozent“ im Vergleich zum Vorjahr. Für die im Heizspiegel angenommene durchschnittliche 70-Quadratmeter-Wohnung würde das eine Verteuerung um mindestens rund 570 Euro im Jahr bedeuten. Es sei „nur ein geringer Trost, dass die Preise für Fernwärme im Vergleich zu Erdgas und Öl deutlich moderater steigen“, sagte Michael Prinz, Geschäftsführer der Hamburger Energiewerke. Dem Unternehmen zufolge gilt weiterhin das Versprechen, dass die Fernwärmepreise „nicht stärker steigen, als die vergleichbare Wärmeversorgung auf Basis anderer Energieträger.“

Welche Folgen hätte ein Gas-Lieferstopp für die Fernwärmeversorgung?

„Im Extremfall könnten die Hamburger Energiewerke im zentralen Stadtnetz temporär selbst einen vollständigen Ausfall der Erdgasversorgung bis zu einem Temperaturniveau von circa fünf Grad durch andere Anlagen technisch kompensieren“, heißt es von dem Unternehmen. Dies setze voraus, dass alle Blöcke der Heizkraftwerke verfügbar sind.

Man arbeite zudem daran, bestimmte mit Gas befeuerte Anlagen „für einen möglichen Brennstoffwechsel auf Öl vorzubereiten“. Zwar gilt seit dem gestrigen Mittwoch ein Embargo auf russische Kohle. Die Hamburger Energiewerke haben sich, wie eine Firmensprecherin sagte, aber bereits frühzeitig erfolgreich um Lieferungen aus anderen Anbieterländern bemüht. Damit seien „die erforderliche Kohlemengen weit über die Heizperiode 2022/23 hinaus gesichert“, hieß es.

Wie soll Hamburgs Fernwärme künftig nachhaltiger erzeugt werden?

Bis zum Jahr 2025 soll das Kohlekraftwerk in Wedel ersetzt werden, bis spätestens 2030 das letzte verbliebene Kohlekraftwerk in Tiefstack. Für die künftige Wärmeversorgung der Hansestadt setzen die Hamburger Energiewerke unter anderem auf die verstärkte Nutzung von Abwärme aus energieintensiven Industriebetrieben, aus verschiedenen Müllverbrennungsanlagen in der Metropolregion und aus Klärwerksprozessen.

Energiewende im Eiltempo – kann das funktionieren?

Vor wenigen Tagen hat das Unternehmen mit dem Bau eines „Elbtunnels für Fernwärme“ begonnen, um die neuen Wärmequellen im Süden Hamburgs mit den Verbrauchern nördlich des Flusses zu verbinden. Darüber hinaus könne Wärme auch im so genannten Power-to-Heat-Verfahren erzeugt werden. Dabei wird Wasser wie mit einem Tauchsieder mittels CO2-frei gewonnenem Strom aus Windenergieanlagen erhitzt. Auf längere Sicht könnte zudem Erdwärme aus dem Stadtteil Wilhelmsburg eine Rolle spielen.