Hamburg. Energiewende: Industrie-Abwärme erleichtert den Ausstieg aus Kohle und Gas. Die Elbtunnel-Bohrer fürchten nur ein Hindernis.

Der dritte Elbtunnel in Hamburg wird Schienen haben und wenig Platz für eine ausgewählte Schar von Menschen, die ihn benutzen müssen – und er startet und endet mehr oder minder im Niemandsland. An den technischen Begriff „Fernwärmetunnel“ wird man sich gewöhnen müssen. Jedoch ist damit ein weiteres Instrument gemeint, mit dem Deutschlands Energiewendetreiber Kreml-Chef Wladimir Putin und seinem kriegerischen Gas-Poker ein Schnäppchen schlagen wollen. Hamburg will weg vom Gas, weg von fossilen Energieträgern und besinnt sich immer mehr der Energie, die ohnehin da ist oder „nebenbei“ anfällt.

Das bekräftigte die Technische Geschäftsführerin der Hamburger Energiewerke, Kirsten Fust, am Donnerstag voller Inbrunst vor Baggern, Kränen und Rammen sowie einer Handvoll behelmter Bauarbeiter in Waltershof.

Hamburgs dritter Elbtunnel für Fernwärme

In der Nähe des Bubendey-Ufers, das viele Nutzer der Hadag-Fähre 62 von einem Zwischenhalt kennen, bei dem kaum jemand das Schiff verlässt, soll der neue Fernwärmetunnel starten. Mit einer Tunnelvortriebsmaschine wird voraussichtlich bis zum Jahr 2025 insgesamt 1160 Meter weit unter der Elbe gebohrt, ehe das nördliche Ufer am Hindenburgpark erreicht wird. Der 72-Millionen-Euro-Tunnel soll einen Innendurchmesser von 3,70 Meter haben, außen 4,55 Meter. Zunächst werden Schienen für die Bohrarbeiten verlegt. Für spätere Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten können Techniker den Tunnel betreten. Denn offiziell transportieren soll er nur: Fernwärme.

Der neue Hamburger Fernwärmetunnel soll ab 2025 Waltershof mit dem Hindenburgpark verbinden.
Der neue Hamburger Fernwärmetunnel soll ab 2025 Waltershof mit dem Hindenburgpark verbinden. © Hamburger Energiewerke

Die stammt unter anderem aus Abwärme des Stahlkonzerns ArcelorMittal Hamburg, aus einer Müllverwertungsanlage und einem Klärwerk. Fust sprach von einem „denkwürdigen Tag“, an dem „der Sprung über die Elbe“ starte, um die Abwärme der Industrie im Süden „in die Stadt zu bekommen“. Die Geschäftsführerin der Energiewerke weiter: „Wir könnten aus Schleswig-Holstein Strom bekommen. Aber wir wollen autark werden und Energie nicht verpuffen lassen. Wir müssen weg von einer zentralen zu einer dezentralen Versorgung.“

Der künftige Energiepark Dradenau soll bald das Kraftwerk in Wedel ablösen helfen (bis 2025), später das dann letzte Kohlekraftwerk in Tiefstack (bis 2030).

"Zahlreiche klimaneutrale Wärmequellen in Hamburg"

Umwelt-, Klima- und Energiesenator Jens Kerstan (Grüne) sprach von den „zahlreichen klimaneutralen Wärmequellen im Süden der Stadt“, die man jetzt endlich mit den Fernwärmenetzen im Norden verbinde. Er nannte den Klimaschutz als Grund für die Energiewende und die Versorgungssicherheit während des Ukraine-Krieges zur „Verteidigung unserer freiheitlich demokratischen und vielfältigen Gesellschaftsordnung“.

Die beginnt und endet nicht auf einer Industrieanlage in Waltershof. Doch nach dem optimistisch stimmenden Pilotversuch mit einer Tiefenbohrung für Geothermie in Wilhelmsburg ist dies ein weiterer Baustein hin zu einer neuen Denke rund um Strom, Heizung und Warmwasser für Haushalte und Industrie.

Hamburgs dritter Elbtunnel – Moorburg wird zum "Green Hub"

Energiewerke-Geschäftsführerin Fust sagte in einem Nebensatz, Gas nutze man „nur in massiver Kältezeit“, im Hamburger Sommer gar nicht. Dennoch wird gerade die Industrie es weiter brauchen. Wasserstoff wird ebenso eine Rolle spielen in Hamburg, wenn am Standort des bisherigen Kraftwerks Moorburg ein Elektrolyseur entsteht. Dazu haben im vergangenen Jahr Unternehmen Shell, Mitsubishi Heavy Industries, Vattenfall und die kommunale Wärme Hamburg eine Absichtserklärung unterzeichnet. Der Wasserstoff soll aus Wind- und Solarkraft produziert werden. Dieser „Green Energy Hub“ soll eine Leistung von 100 Megawatt liefern. Die Gas- und Dampfturbinenanlage an der Dradenau könnte auch mit 100 Prozent Wasserstoff betrieben werden.

Was könnte diese Energiewende noch verzögern? Ein Hinweis auf sperrige Hindernisse liegt auf der nördlichen Elbseite rund einen Kilometer stadteinwärts vom Ende des geplanten Fernwärme-Elbtunnels Richtung Övelgönne: der Alte Schwede. Der 217-Tonnen-Findling deutet an, dass sich weitere gigantische Gesteinsbrocken in Elb-Grund oder knapp darunter befinden können. Für Tunnelbohrer ein Grauen.

Hamburgs dritter Elbtunnel: CDU fordert mehr Kapazitäten

Die CDU-Opposition fordert unterdessen mehr Speicherkapazitäten für Energie in Hamburg. Der umweltpolitische Sprecher der Bürgerschaftsfraktion, Sandro Kappe, erklärte mit Verweis auf eine Kleine Anfrage und die Antwort des Senates: Der Senat gehe zwar von einer „ungewissen Situation“ bei der kurz- und mittelfristigen Energieversorgungssicherheit aus, kenne aber nicht einmal den Energieverbrauch der Behörden.

Kappe fragt sich außerdem, was mit der Stromversorgung passiert, sollten Bürger vermehrt auf Elektroheizungen zurückgreifen. Eine starke Nachfrage durch diese „alternative“ Heizmethode könnte die Stromversorgung überbeanspruchen, darin sind sich auch Experten einig. Außerdem sind die Kosten dafür deutlich höher als bei der gewohnten Wärmeversorgung.

Hamburgs dritter Elbtunnel: "Senat bei Verbrauch blind"

Kappe sagte, die CDU fordere den Senat auf, „jetzt schnellstmöglich Pläne zur Energieeinsparung und Versorgungssicherheit zu machen und diese konsequent umzusetzen“. Als Vorbild könne Baden-Württemberg dienen, das in landeseigenen Gebäuden 20 Prozent an Energie einsparen wolle. Kappe sagte: „Es ist ein haltloser Zustand, dass der Senat beim eigenen Verbrauch blind ist.“ Es reiche nicht, „möglichst viele Windkraft- und Solaranlagen zu bauen“.