Hamburg. Deutschland soll umgebaut werden – zu einer „grünen“ Republik. Doch allzu ehrgeizige Ziele könnten teuer werden. Eine Analyse.
Erst Corona, dann der Ukraine-Krieg. Deutschlands Wirtschaft ist extremen Krisen ausgesetzt, mit denen vor wenigen Jahren niemand rechnen konnte. Die Politik hat reagiert – mit großzügigen Finanzhilfen und dem Plan, die Wirtschaft vor allem in puncto Energie schnell und nachhaltig umzubauen. Doch sind diese Ideen realistisch oder nur ein Wunschtraum, der womöglich zu einem immensen Wohlstandsverlust durch Inflation führen wird?
Energiekrise: Strom ist sehr begehrt
Es ist ein ambitioniertes Ziel. Bis zum Jahr 2035 soll nach dem Willen der Bundesregierung die gesamte Stromversorgung in Deutschland aus regenerativen Quellen stammen. Bisher werden aber erst 47 Prozent des hierzulande eingespeisten Stroms aus Wind, Sonne, Wasserkraft und Biogas gewonnen. Die Lücke zum 100-Prozent-Ziel zu schließen, ist folglich bereits eine Herkulesaufgabe. Doch das Problem wird noch viel größer: Denn die Strommenge, die in den kommenden Jahrzehnten hierzulande benötigt wird, steigt dramatisch.
Nicht nur die Pkw-Flotte soll von Verbrennungs- auf Elektromotor umgestellt werden. Auch die bisher noch mit Gas und Öl betriebenen Heizungen sowie gewerblichen Produktionsstätten sollen nach dem Willen der Bundesregierung durch strombetriebene oder auf grünem Wasserstoff basierende Systeme ersetzt werden. Die Notwendigkeit zu diesem Schritt wird mit Wladimir Putins Angriffskrieg in der Ukraine begründet. Nicht länger will Deutschland sich von fossilen Energieträgern abhängig machen, vor allem nicht aus autokratisch regierten Staaten.
Hohe Stromnachfrage würde Preise steigen lassen
Nach konservativen Schätzungen wird Deutschland bis 2035 mindestens 20 Prozent mehr Strom benötigen als heute – viele Experten halten diesen Wert für viel zu gering, erwarten deutlich höhere Zahlen. Die Crux: Eine höhere Stromnachfrage, die im Zuge des weiterhin verfolgten Ausstiegs aus Kohle- und Atomkraft auf ein geringeres Angebot trifft, würde zu stark steigenden Preisen führen.
Seit dem Jahr 2000 hat sich die Kilowattstunde Strom bereits um fast 130 Prozent verteuert. Aktuell muss eine vierköpfige Familie in Hamburg bei einem jährlichen Verbrauch von 4500 Kilowattstunden mindestens 1500 Euro bezahlen. Schon jetzt sind viele Menschen damit überfordert, der Staat muss ihnen finanziell helfen.
Auch Preise für Dienstleistungen steigen
Wird Strom flächendeckend teurer, steigen die Preise für nahezu alle Produkte und Dienstleistungen. Denn zur Herstellung von Autos, Möbeln und Lebensmitteln wird ebenso Strom benötigt wie für die Zubereitung von Speisen in Restaurants oder die Beleuchtung in Hotels. Die bereits historisch hohen Inflationsraten könnten sich also quer durch alle Branchen verstetigen und Geldvermögen und Wohlstand nachhaltig vernichten. Im Klartext: Eine breite Schicht der deutschen Bevölkerung würde ärmer. Die Akzeptanz für den ausgerufenen Umbau hin zur grünen Wirtschaft könnte abnehmen, Wahlentscheidungen beeinflussen, womöglich das Vertrauen in die Demokratie erschüttern.
Wladimir Putin hätte eines seiner Ziele, die er mit dem Ukraine-Krieg verfolgt, erreicht. Auch der Direktor des Centrums für Europäische Politik, Henning Vöpel, spricht mit Blick auf das Jahr 2035, in dem der gesamte Strom aus regenerativen Quellen stammen soll, von einem „kaum erreichbaren Ziel“. Man hätte seitens der Politik bereits in den vergangenen Jahrzehnten viel mehr machen müssen, um dieses zu erreichen. Er warnt: Auf die Bevölkerung könnte ein „länger anhaltender Kostenschock“ zukommen.
In fast allen Bereichen fehlen Beschäftigte
Nahezu in allen Bereichen der Wirtschaft werden aktuell Beschäftigte gesucht. Ob in der Gastronomie, Hotellerie, Industrie, Krankenpflege. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Und die Lücke zwischen Arbeitskräfteangebot und -nachfrage wird noch weiter auseinandergehen. Bis 2035 wird die sogenannte Babyboomer-Generation in den Ruhestand gehen. „Dann werden wir Millionen von Arbeitskräften verlieren, die wir wegen der nun viel zu geringen Geburtenrate nicht ersetzen können. Eine Entwicklung, die unsere Volkswirtschaft vor immense Herausforderungen stellt“, sagt Ökonom Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
Allein in Hamburg werden bis 2034 rund 177.000 Fach- und Führungskräfte in Rente gehen. Eine riesige Lücke, die geschlossen werden muss, soll der Wohlstand nicht schwinden. Ökonom Vöpel ist sich sicher – selbst wenn es zu einer Rezession infolge des Ukraine-Krieges mit höheren Arbeitslosenzahlen kommen sollte, wird der Fachkräftemangel Deutschland noch lange beschäftigen. „Das ist ein Problem, das in vielen Wirtschaftszweigen zu gravierenden Anpassungen führen wird.“
Für die Energiewende braucht es Fachkräfte
Besonders dramatisch könnte diese Entwicklung für den anvisierten Wandel hin zur grünen Energiewende sein: Schon heute fehlen in diesem Bereich unzählige Fachkräfte. So müssen Hausbesitzer monatelang auf Heizungsmonteure warten – und viele der gerufenen Handwerker sind gar nicht in der Lage, eine Wärmepumpe als Alternative zur Gas- oder Ölheizung zu installieren. Helmut Bramann, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Sanitär Heizung Klima (ZVSHK), schätzt, dass aktuell nur „zwischen 15 und 30 Prozent der Betriebe“ die neue Technik einbauen können.
„Wir fragen uns, wie denn die sechs Millionen Wärmepumpen installiert werden sollen, die sich die Politik bis 2030 vorgenommen hat?“, so Bramann. Die Branche benötige dazu allein 60.000 zusätzliche Monteure. Doch wo sollen die vielen gut ausgebildeten Fachkräfte – nicht nur für die Energiewende – herkommen?
Fachkräftemangel muss durch Bildung gelöst werden
Carsten Klude, Chefvolkswirt von M.M. Warburg, hat eine eindeutige Antwort auf die Frage, mit welchen Maßnahmen man das Problem des allgemeinen Fachkräftemangels lösen könnte: „Bildung, Bildung, Bildung!“ Beschäftigte müssen also zügig das Know-how erhalten, welches sie für den Arbeitsmarkt der Zukunft benötigen. Diese Maßnahmen würden aber nicht sofort wirken. Wärmepumpen einzubauen, lernt man schließlich nicht über Nacht.
„Kurzfristig ließen sich die Engpässe am Arbeitsmarkt reduzieren, indem monetäre Anreize für gut ausgebildete Arbeitskräfte geschaffen werden, ihre Arbeitskraft dem Arbeitsmarkt länger zur Verfügung zu stellen“, so Klude. Schließlich gebe es viele hoch qualifizierte Fachkräfte, die das Renteneintrittsalter erreicht hätten, die aber dennoch bereit wären, weiter- zuarbeiten – und sei es auf Teilzeitbasis. Doch gerade für körperlich anstrengende Tätigkeiten wie im Handwerk wäre ein generell späteres Renteneintrittsalter wohl kaum eine Lösung, sagt auch Klude.
Menschen schon in den Schulen begeistern
Experten fordern wegen des großen Arbeitskräftebedarfs im technischen und naturwissenschaftlichen Bereich, junge Menschen bereits in der Schule stärker für diese Berufe zu begeistern.
Ein Ansinnen, das allerdings schon seit Jahrzehnten verfolgt wird – ohne durchschlagenden Erfolg. Und mit Blick auf die grüne Energiewende dürfte es darüber hinaus mehr als schwierig werden, Fachkräfte aus dem Ausland abzuwerben. Denn auch in anderen Staaten werden diese Experten dringend benötigt.
Gefährliche Subventionen vom Staat
Bereits in der Pandemie schüttete der Staat sein monetäres Füllhorn über Bürger und Unternehmen aus. Die Ziele: möglichst keine stark steigenden Arbeitslosenzahlen und so wenige Firmenpleiten wie möglich. Mit großzügigen Firmenhilfen und Kurzarbeitergeld konnten Bund und Länder tatsächlich einen nachhaltigen Abschwung verhindern. Doch das süße Gift der staatlichen Unterstützung macht süchtig. So weigern sich nicht wenige Unternehmen, die an konkrete Bedingungen geknüpften Corona-Hilfen zurückzuzahlen.
Und wegen der Energiekrise infolge des Ukraine-Krieges muss der Staat seine Bürger nun schon wieder flächendeckend mit Hilfszahlungen unterstützen. Benzinpauschale, Energiegeld, Neun-Euro-Ticket – die Liste der Zuwendungen ist lang. Für Ökonom Vöpel steht fest: „Der Staat kann steigenden Kosten nicht mit allgemeinen Wohltaten begegnen. Irgendjemand muss sie tragen, entweder über Steuererhöhungen oder Leistungskürzungen.“ Sein Appell: „Die Hilfszahlungen müssen viel gezielter erfolgen, nicht mit der Gießkanne.“ So nennt Vöpel „das Neun-Euro-Ticket für alle“ unsinnig. Der Staat hätte Pendler mit niedrigen Einkommen unterstützen sollen.
Energiekrise: "Zahlungen erfolgen zu undifferenziert"
Warburg-Chefvolkswirt Klude hält die sozialen Transfers zwar einerseits für „gut und richtig“, weil sie in diesen schwierigen Zeiten notwendig seien, um den sozialen Frieden zu wahren. „Andererseits erfolgen diese Zahlungen viel zu undifferenziert, weil auch Personen und Unternehmen gefördert werden, die die Transfers gar nicht benötigen. Das führt dazu, dass diese Art der Fiskalpolitik nicht nur wenig effizient, sondern auch unnötig teuer wird. Denn eines darf man nicht vergessen: Finanzielle Wohltaten werden zwar vom Staat bezahlt, doch der Staat sind wir alle.“ Auch Klude befürchtet in der Zukunft höhere Steuern zur Finanzierung der heutigen Subventionen.
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Beide Ökonomen weisen auf ein womöglich viel gravierenderes Problem hin. Dauerhaft großzügige Staatstransfers, welche die Folgen der Inflation für die Bürger abfedern sollen, sind ein Brandbeschleuniger für weitere Preissteigerungen. Denn letztlich wird durch die Staatstransfers die Nachfrage der Konsumenten künstlich hochgehalten. „Dass diese Politik die Inflation begünstigt, liegt auf der Hand“, sagt Klude. Und Vöpel pflichtet ihm bei: „Wenn der Staat so weitermacht, werden sich die hohen Inflationsraten verstetigen.“ Vermögen und Kaufkraft würden vernichtet, die Bürger hätten noch weniger Geld für die teure und ambitionierte Energiewende. Der Staat müsste ihnen dafür in noch größerem Stil finanziell unter die Arme greifen – ein Teufelskreis mit ungewissem Ergebnis.