Hamburg. Bauern in Hamburg und Umgebung sehen sich zur Automatisierung gezwungen. Denn Arbeitskräfte in der Landwirtschaft sind rar und teuer.

Zu Besuch auf dem Hof Löscher in Hoopte an der Elbe, den viele Hamburger von den Spargel- und Erdbeerständen kennen. Mehrere Branchenprofis haben sich hier eingefunden, um einer der Erfindungen im Bereich Landwirtschaftslogistik auf den Zahn zu fühlen. Das flache Wägelchen ist noch ein Prototyp, nicht für den Masseneinsatz vorgesehen, aber eines wird schnell klar: Auch wenn sich die Präsentation hinter dem Elbdeich abspielt, hinter dem Mond ist hier niemand mehr.

Das Gefährt, das an diesem Tag auch einige Experten aus Jork, dem Kompetenzzentrum für den norddeutschen Obstbau, neugierig beäugen, rollt mit einer maximalen Beladung von 200 Kilogramm Obst oder Gemüse über das Feld. Es erreicht bis zu fünf Kilometer in der Stunde und damit, etwas wackelig über die aufgewühlte Erde zuckelnd, die Geschwindigkeit eines Spaziergängers. Ein Solarpanel sorgt für den durchgängigen Betrieb des Roboters, das Gerät muss also nicht ständig an einer Station aufgeladen werden.

Fachkräftemangel: Roboter soll Arbeiter entlasten

„Die integrierten Kameras ermöglichen die Navigation in den vorgesehenen Reihen, das Folgen der Arbeiter in deren Tempo und das Einhalten eines Sicherheitsabstandes“, wirbt Ruth Giese vom Hersteller Ant Robotics für den autonom fahrenden Helfer. Der Transporter soll den Arbeitskräften Wege ersparen. Die Frauen und Männer könnten sich auf die Ernte konzentrieren und müssten nicht ständig mit schweren Boxen voller Obst oder Gemüse zum Verladeanhänger marschieren, sagt die Mitgründerin der Firma mit Sitz in Harburg, die das Gerät auch schon bei anderen Erdbeerbauern vorgestellt hat.

Maschine statt Mensch. Dieser Leitspruch hält immer mehr Einzug auf den Höfen, denn nicht nur in Restaurants oder Bars mangelt es an Bewerbern, auch den Bauern fehlen die Arbeitskräfte. Besonders gravierend ist der Fachkräftemangel bei Tierhaltern, etwa in der Region Weser-Ems, sagt Matthias Heyder von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Es dauere sehr lange, Stellen für Herdenmanagerinnen und -manager nachzubesetzen. Bei manchen Betrieben, etwa Schweinehaltern, bremse die Situation am Arbeitsmarkt sogar das wirtschaftliche Wachstum. Auch der Gartenbau kämpfe mit einem stark ausgeprägten Fachkräftemangel.

Kaum Nachwuchs in der Landwirtschaft

Der Nachwuchs fehlt in allen Bereichen, nicht nur in den unteren Hierarchiestufen. Führungskräfte in der modernen Landwirtschaft kommen heute von der Universität. Und Diplom-Ingenieure sind überall rar und gesucht, nicht nur auf Bauernhöfen. Die Konkurrenz schläft nicht, auch auf dem Bau und in anderen Branchen werden Ingenieure gebraucht, wo oft eine bessere Bezahlung lockt – und für viele junge Bewerber zudem ein attraktiveres, städtisches Umfeld.

Eine weitere Herausforderung ist der Generationenwechsel. Wenn die Bauern der Babyboomer-Jahre sich allmählich zurückziehen und nicht mehr jeden Morgen mit dem Sonnenaufgang bei den Tieren vorbeischauen wollen – wer macht ihre Arbeit? Töchter und Söhne der Hofbesitzer haben oft ihr Leben lang (schmerzvoll) erfahren, dass sie wegen der Hofarbeit nicht in den Urlaub fahren konnten, weil sich die Kühe nun mal nicht selber melken können, sie haben gesehen, dass die Eltern auch am Wochenende auf dem Traktor saßen, während es für andere mit der ganzen Familie ins Freibad ging.

Immer mehr Kritik an Stallhaltung

Entsprechend schwer ist die Nachfolge auf vielen Gütern, zumal die Branche heute wegen der Kritik an der Stallhaltung und als Verursacher von Umweltschäden durch Monokultur und Überdüngung nicht gerade das beste Image genießt.Schon seit Jahrzehnten finden sich darüber hinaus für die Ernte, das Hacken oder Unkrautjäten keine einheimischen Kräfte mehr.

Körperliche Arbeit scheint für Deutsche tabu zu sein, wenn es nicht gerade darum geht, als Tennis- oder Yogalehrer zu arbeiten. Mit ziemlich viel Bürokratie und Beharrlichkeit ist es daher Saison für Saison für die Bauern verbunden, genügend Arbeitskräfte aus Osteuropa für das Schuften auf den Feldern anzulocken. Der Ukraine-Krieg hat darüber hinaus dafür gesorgt, dass Männer aus dem Krisengebiet nicht ausreisen dürfen und daher auf den deutschen Feldern ausfallen.

Karl’s sucht nicht nur für die Ernte Helfer

Robert Dahl von Karls Erdbeerdorf setzt beim Personal bereits auf Studenten aus Kirgisistan und der Mongolei.
Robert Dahl von Karls Erdbeerdorf setzt beim Personal bereits auf Studenten aus Kirgisistan und der Mongolei. © Karl´s

In den Karl’s Erdbeerdörfern, die rund um die rote Vitaminbombe eine gigantische Marketingmaschinerie aufgebaut haben, arbeiten inzwischen sogar Studenten aus eher exotischen Regionen wie Kirgisistan oder der Mongolei. Die Beschäftigten werden von Karl’s mittlerweile in Zentralasien angeworben, weil besonders viel Personal benötigt wird: Nicht nur für die Ernte werden Helfer gebraucht.

Karl’s sucht auch Köche, die in großen Wannen Erdbeerkonfitüre anrühren und kommunikative Arbeitskräfte, die in der Bonbonmanufaktur vor den Augen der Kinder Süßigkeiten kreieren. Das Kalkül: Die Inhaberfamilie Dahl ist zwar in der Saison auf immerhin 4000 Beschäftigte angewiesen, vermarktet und veredelt die Früchte aber selber zu Eis, Kuchen oder Getränken – und macht sich auf diese Weise von den niedrigen Ankaufspreisen des Handels unabhängiger.

Erntemaschine ersetzt Erntehelfer auf dem Feld

Einer der Landwirte, die sich einiges einfallen lassen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist auch Dirk Beckedorf, Inhaber des größten Gemüseanbaubetriebs in Hamburg. Der Unternehmer, der zugleich Vorstandsmitglied des hiesigen Bauernverbands ist, liefert bunte Salate, Rucola und Freilandgemüse an die Supermärkte. In seiner Fertigungshalle bei Reinbek, wo Mitarbeiter an Laufbändern Produkte für den Handel in Plastiktüten verpacken, parkt ein riesiges Ungetüm.

Speziell für den Salat hat der Gemüsebauer die teure Erntemaschine angeschafft. So müssen weniger Frauen und Männer auf dem Feld ackern. Das Gerät, groß wie ein Sattelschlepper, kostet 250.000 Euro. Ein teures Vergnügen. Aber nur so kann Beckedorf langfristig wirtschaften. „Hier sitzt nun ein einziger Mensch im warmen Führerhaus und bringt die Ernte ein,“ sagt der Brillenträger über die Vorteile der Investition. Und während bei „Beckedorf Frischgemüse“ früher Kohl und Co. von Hand gepflanzt wurden, erledigen auch diese Arbeiten heute Halbautomaten.

Nur große Betriebe können die Maschinen kaufen

Das grundsätzliche Problem des Trends: Die teure Technik können sich nur die größten Betriebe leisten. Der Mangel an (günstigen) Helfern befördert also das Sterben kleiner Höfe. Lediglich industriell arbeitende Betriebe dürften so langfristig überleben.

Ein weiteres Dilemma bringt der steigende Mindestlohn mit sich. Ab dem 1. Oktober gilt eine Untergrenze von zwölf Euro die Stunde. Für osteuropäische Arbeitskräfte sei das viel, sagt Beckedorf, der in der Saison 100 Mitarbeiter benötigt und nun einen Trend voraussagt: „Sobald unsere Helfer genug Geld verdient haben, fahren sie nach Hause.“ Er rechnet also damit, dass die ausländischen Kräfte ihre Zeit in Deutschland verkürzen, zumal sich die wirtschaftliche Situation in ihren Heimatländern verbessert.

Eickhorst sieht steigende Löhne kritisch

Auch Fred Eickhorst sieht die steigenden Löhne kritisch, auch wenn der Chef der Vereinigung der Spargel- und Beerenanbauer deren Höhe angesichts der Lebenshaltungskosten in Deutschland als angemessen empfindet. „Wir verlieren unsere Konkurrenzfähigkeit mit dem Ausland“, sagt der 57-Jährige. Zwar lockten die lukrativen Löhne Frauen und Männer in die Branche. Das insgesamt höhere Niveau der Verdienste verhindere, dass es noch mehr Osteuropäer zu den bisher besser bezahlten Paketdiensten oder auf den Bau ziehe.

„Doch wir hatten bereits in den vergangenen zehn Monaten eine Lohnerhöhung um 25 Prozent“, sagt Eickhorst, „Wie sollen wir das kompensieren, in einem Bereich mit einem Lohnkostenanteil von 40 bis 60 Prozent?“ Zum Vergleich: Länder wie Italien hätten keinen Mindestlohn, beklagt Eickhorst. Und in Peru, Herkunftsregion vieler Heidelbeeren, gelte eine Lohn-Untergrenze von 1,60 Euro. „Wie lange geht das gut?“, fragt der Gärtnermeister, und sieht die Tendenz, dass Beeren außerhalb der Saison günstiger sind als zur Ernte in Deutschland.

Löscher arbeitet mit einer Spargelspinne

Der Grund: Dann liegen die importierten Erdbeeren in der Frischetheke der Läden. Bereits in der Vergangenheit hat sich das globale Gefälle der Gehälter ausgewirkt: Kamen vor zehn Jahren noch 80 Prozent der Heidelbeeren aus Deutschland, liegt deren Anteil heute nur noch bei 16 Prozent. Viele Früchte würden über eine Entfernung von mehr als 10.000 Kilometern eingeführt, beklagt Eickhorst, dessen Verband die Interessen von gut 500 deutschen Spargel- und Beerenerzeugern vertritt. Der Trend: Immer weniger Radieschen, Kräuter oder Himbeeren werden hierzulande angebaut. Der Wunsch der Verbraucher nach regionalen Lebensmitteln kann zu den aktuellen Preisen im Supermarkt nicht erfüllt werden.

Zurück zum Hof Löscher, wo das Ant-Robotics-Team mit dem selbstfahrenden Transportwagen durch die Erdbeerreihen ruckelt. Für Felix Löscher, Inhaber des Betriebs in Hoopte, kommt der Einsatz der Erfindung aber noch nicht infrage. „Sie ist noch nicht ganz ausgereift“, sagt der 39-Jährige über das System. Bisher arbeitet Löscher mit einer sogenannten Spargelspinne auf seinen Feldern, das Gerät hebt die Planen hoch, damit die Spargelstecher sehen können, ob die Stangen schon sprießen oder noch eine Weile in der Erde brauchen.

Personalmangel: IT-Fachkräfte sind teuer

Dieser Gemüse-Roboter spart bereits die Hälfte der sonst benötigten Frauen und Männer ein. Bei dem Modell von Ant Robotics hingegen würde auf Felix Löscher ein neues Problem zukommen: „Ich bräuchte dann Leute, die sich mit Computern auskennen“, sagt der Landwirt. Und jetzt eine IT-Fachkraft einzustellen, wäre teuer und kompliziert – schließlich sind diese Experten noch begehrter als Erntehelfer.