Hamburg. Auf Hamburgs Ausbildungsmarkt klaffen Angebot und Nachfrage immer weiter auseinander. Das bringt Konsequenzen mit sich.
Der Auszubildenden-Mangel in Hamburger Unternehmen hat sich im dritten Jahr der Pandemie weiter verschärft. Wenige Tage vor dem Beginn des neuen Ausbildungsjahres in den Betrieben am 1. August suchen viele Firmen in der Hansestadt weiterhin nach Bewerbern. Bei der Handwerkskammer und der Handelskammer waren zuletzt noch insgesamt 2191 kurzfristig zu besetzende Lehrstellen gemeldet, teilten die Kammern auf Abendblatt-Anfrage mit.
Gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze damit um 25 Prozent gestiegen. Im Juli 2021 waren in den Stellenbörsen der Kammern 1751 offene Lehrstellen ausgeschrieben. Ein Sprecher der Arbeitsagentur Hamburg sagte zur Lage auf dem betrieblichen Ausbildungsmarkt: „Die Situation ist in fast allen Bereichen schwierig.“
Auszubildene in Hamburg entscheiden sich oft noch um
Bei der Handelskammer sind derzeit noch 1453 freie Ausbildungsplätze für dieses Jahr registriert. Dazu gehören Berufe wie Kaufmann für Groß- und Außenhandelsmanagement, Fachinformatiker oder Kaufleute im Einzelhandel. Viele Unternehmen hofften darauf, noch in letzter Minute Auszubildende zu finden, heißt es. „Die letzten Monate vor dem Beginn des neuen Ausbildungsjahrs sind regelmäßig von einer hohen Dynamik geprägt“, sagte Astrid Nissen-Schmidt, Vizepräses der Handelskammer Hamburg.
„Bereits geschlossene Verträge werden gelöst, weil Auszubildende sich umentscheiden. Bewerber entschließen sich erst im letzten Moment für eine Ausbildung, und neue Verträge werden noch in letzter Minute geschlossen.“ Der Sprecher der Hamburger Arbeitsagentur betont, dass es für Bewerber noch nicht zu spät sei: „Die freien Ausbildungsstellen werden noch bis in den Herbst besetzt werden können.“
Besonders im Handwerk werden Azubis gesucht
Am 19. August steigen Schüler und Vertreter des Hamburger Handwerks in das Riesenrad auf dem Sommerdom. Nach dem Zufallsprinzip können die Jugendlichen dabei an einem Tag gleich mehrere Berufe kennenlernen. Das Interesse an der Veranstaltung ist nach zwei Jahren Corona-Pause groß, sie ist bereits ausgebucht. Solche Angebote zur Berufsinformation braucht es immer häufiger, um für Handwerksberufe die Fachkräfte von morgen zu gewinnen.
Im Handwerk werden derzeit noch 738 freie Lehrstellen angeboten. Besonders gesucht sind unter anderem künftige Anlagenmechaniker für Sanitär, Heizung und Klima, Elektroniker oder Augenoptiker. Es sind zum Teil Berufe, in denen schon heute ein eklatanter Fachkräftemangel herrscht und in denen Berufsnachwuchs dringend benötigt wird, um in den nächsten Jahren die Energiewende bewältigen zu können. „An der Situation, dass weitaus mehr Lehrstellen angeboten werden, als Bewerbungen eingehen, hat sich auch in diesem Jahr nichts geändert“, sagte Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg.
Das das Interesse an einer dualen Ausbildung ist bei Schulabgängerinnen und Schulabgängern gering. Rund 55 Prozent der Schüler machen das Abitur und ihr Fokus liegt zunächst auf einem Studium. Nur ein kleiner Teil der Abgänger wechselt von der Schule in eine betriebliche Ausbildung.
„Knapp 40 Prozent der Schulabgänger in Hamburg gehen nach der zehnten Klasse direkt in eine Ausbildung. Das mag wenig erscheinen, aber vor zehn Jahren war dieser Wert noch viel niedriger“, sagt Hjalmar Stemmann. „Weitere 40 bis 50 Prozent absolvieren eine sogenannte Ausbildungsvorbereitung mit weiterem Unterricht und Praktika. Von denen gehen dann etwa 40 Prozent ein Jahr später in eine duale Ausbildung. Diese Quote wollen wir noch weiter steigern.“
Knipping Kälte & Klimatechnik GmbH findet keine Azubis
Gerade in der Phase nach dem Schulabschluss haben Jungen und Mädchen „zu viel Auslauf, zu viele Möglichkeiten, was sie alles machen können, was eher verwirrend wirkt“, sagt André Knipping von der Knipping Kälte & Klimatechnik GmbH. Bevor die Wehrpflicht abgeschafft wurde habe es mehr fixe Orientierungspunkte zumindest für junge Männer gegeben. „Wer keine Ausbildung begonnen hatte, wurde gleich Soldat oder absolvierte den Zivildienst“, sagt Knipping.
Er hat für seinen Betrieb in diesem Jahr, erstmals überhaupt keine Azubis mehr für den Beruf des Mechatronikers für Kältetechnik gefunden. Die Ausbildungsplätze der Firma sind noch frei. „Normalerweise haben wir jedes Jahr drei Azubis eingestellt“, sagt Knipping. „Mechatroniker für Kältetechnik ist ein Zukunftsberuf, wenn man an das Programm der Regierung zum Einbau von sechs Millionen Wärmepumpen bis 2030 denkt. Wenn es um die Wartung der Geräte geht, kommen wir ins Spiel.“
„Wir hatten in diesem Jahr wenig Bewerbungen“
Auch früher bei jungen Leuten sehr gefragte Ausbildungsplätze sind inzwischen nur noch schwer zu besetzen. Seit Jahren schon gehört der Kaufmann für Groß- und Außenhandelsmanagement zu den zehn Berufen mit den meisten unbesetzten Lehrstellen. Diese Erfahrung hat auch der Hamburger Großhändler „Alles fürs Dach“ gemacht.
„Wir hatten in diesem Jahr wenig Bewerbungen“, sagt Daniel Otte, der im Unternehmen für die Ausbildung zuständig ist. Immerhin konnte einer von zwei Ausbildungsplätzen besetzt werden. „Der kaufmännische Bereich ist zwar attraktiv, aber wir müssen mit großen, bekannten Firmen konkurrieren, die eine größere Anziehungskraft haben“, sagt Otte.
Azubi-Suche gestaltet sich schwierig
Doch selbst ein bekannter Name hilft nicht immer bei der Azubi-Suche, weiß man bei der Firma Knaack-Krane. Deren Tochtergesellschaft Bremsen-Service hat zwei Ausbildungsplätze für Kfz-Mechatroniker für Nutzfahrzeuge, die sie nicht besetzen kann. „Ich fürchte, dass gewerbliche Berufe, wo man sich schmutzig macht, an Attraktivität verlieren“, sagt Thomas Streichert von Bremsen-Service. „Neben Kranen kann man hier an Nutzfahrzeugen arbeiten, die das oberste Segment dieser Klasse darstellen.“ Aber auch das zieht offenbar nicht mehr.
Diese Konkurrenz um die Azubis mit großen, bekannten Firmennamen kennt Marc Schmidt, Geschäftsführer der EDV-Systemhauses Innovasys. Er rekrutiert seine angehenden Fachkräfte inzwischen über Umschulungen. „Damit haben wir in der Mehrzahl der Fälle gute Erfahrungen gemacht, auch wenn die Lebensläufe dieser Bewerber nicht so gradlinig sind“, sagt Schmidt. So wie bei Benny-Alexander Petersen, der zunächst eine Ausbildung als technischer Assistent für Informatik gemacht hat.
Firmen müssen kreativer werden
„Doch damit kann man höchstens Kabel bei der Telekom verlegen“, sagt Petersen, der auch als Paketboote gearbeitet hat. 2020 hat er dann eine Umschulung zum Fachinformatiker bei einem Bildungsträger begonnen und die praktische Ausbildung bei Innovasys gemacht. Jetzt hat er gerade ausgelernt und mit 35 Jahren auch einen Beruf, der ihm Spaß macht.
Allgemein müssen Firmen bei der Azubi-Gewinnung mehr unternehmen als freie Plätze allein in den Ausbildungsbörsen der Kammern anzubieten. Soziale Netzwerke nutzen bislang allerdings nur wenige Unternehmen. Auch die Qualität der Ausbildung ist für mögliche Bewerberinnen und Bewerber ein wichtiges Kriterium, weiß Möbeltischler Nils Grimm. Er hat in seiner Firma einen pensionierten Tischlermeister eingestellt, der sich nur um die Azubis kümmert. „Denn im Tagesgeschäft leidet eine qualifizierte Ausbildung“, sagt Grimm. Schon im ersten Jahr bauen die Lehrlinge ein kleines Gesellenstück. Für zwei Ausbildungsplätze bekommt er jährlich 140 Bewerbungen.
Auszubildene in Hamburg: Auch Kurzentschlossene gesucht
Schon in der Schule soll das Handwerk mehr Gewicht bekommen. Die Beraterinnen der Handwerkskammer sind an 75 Prozent der Hamburger Stadtteilschulen sowie an der Hälfte der Gymnasien aktiv. „Die Erkenntnis, dass das Handwerk für unterschiedliche Zielgruppen unter den Schülern der richtige Weg sein könnte, nimmt langsam zu“, sagt Stephanie Anders, Bildungsreferentin der Kammer.
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Während im Riesenrad auf dem Sommerdom schon die Lehrlinge für das Ausbildungsjahr 2023 gewonnen werden sollen, bietet ein Azubi-Speeddating der Handelskammer am 14. September eine Chance für Kurzentschlossene. In lockerer Atmosphäre kann man sich hier über Ausbildungsberufe informieren und auch gleich bewerben. Vize-Präses Astrid Nissen-Schmidt sagt: „Wir wollen möglichst viele der 1453 offenen Stellen noch besetzen. Auch nach dem 1. August ist ein Einstieg im laufenden Jahr möglich.“