Ob Restaurants, Hotels oder Flughäfen: Viele Branchen kämpfen mit Personalmangel. Warum kehren die Mitarbeiter nach Corona nicht zurück?

Berlin. Es klingt wie ein Hilferuf, was auf der großen Tafel vor dem Gartenrestaurant zu lesen ist. Köche werden ebenso gesucht wie Service- und Reinigungspersonal, außerdem Hilfskräfte. In Vollzeit oder Teilzeit – egal. Die Liste umfasst die meisten Tätigkeiten, die man für den Betrieb einer Gaststätte braucht.

Die Betreiber des beliebten Ausflugslokals am Berliner Schlachtensee haben echte Probleme: An sonnigen Wochenenden kommen sie mit der Arbeit kaum hinterher. In langen Schlangen warten die Badegäste dann auf ihren Leberkäse mit Kartoffelsalat.

Personalmangel: Chaos an Flughäfen

Ähnlich schwierig, wie eine Portion Pommes am Seeufer zu bekommen, erscheint die Entgegennahme des eigenen Koffers nach der Flugreise. Reisende berichten über Berge von verwaisten Taschen an den Gepäckausgaben deutscher Flughäfen, verspätet angekommen oder ausgeladen am falschen Ort.

Die Gepäckfirmen haben augenblicklich nicht genug Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um die Nach-Corona-Reisewelle zu bewältigen. Als Notlösung sollen jetzt schnell 1000 Arbeitskräfte aus der Türkei importiert werden.

Die offiziellen Zahlen der besonders betroffenen Branchen Gastronomie und Gepäckabfertigung unterstreichen die Misere: Zwei Drittel der Firmen suchen dringend zusätzliche Beschäftigte, erklärt der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Und an hiesigen Flughäfen fehlen über 7.000 Arbeitnehmer. Lesen Sie auch: Flughafen-Chaos: Lufthansa streicht weitere 2000 Flüge

Dieser eklatante Arbeitskräftemangel ist ein erstaunliches Phänomen. Eine gewisse Knappheit gab es zwar auch vor der Corona-Pandemie, doch nun zeigen sich riesige Lücken. Warum kehren die Beschäftigten nicht in die Jobs zurück, die sie vorher ausübten?

Unternehmen nach der Pandemie: Personalbedarf "kurzfristig nicht zu befriedigen"

Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg erklärt die Situation so: „Krisenbranchen wie Gastronomie oder Gepäckabfertigung stellten während der Pandemie kaum neue Arbeitskräfte ein.“

Einerseits nachvollziehbar: Die Restaurants und Hotels waren zeitweise komplett geschlossen, darauf folgten Monate stark eingeschränkten Betriebs. Es gab viel weniger zu tun als vorher. Warum sollten die Firmen dann neue Leute holen, als sich ein Teil des Personals verabschiedete?

Ähnlich sah es in der Fliegerei aus, die ebenfalls zeitweise brachlag. Diese Firmenpolitik hatte jedoch einen Nebeneffekt. Die Unternehmen „konnten die normale Fluk­tu­a­ti­on nicht ausgleichen“, sagt Weber. „Deswegen haben sie nun einen hohen Nachholbedarf, der kurzfristig nicht zu befriedigen ist.“

Von den speziellen Problemen einzelner Wirtschaftszweige abgesehen macht sich aber auch die allgemeine Lage bemerkbar. „56 Prozent der befragten Betriebe haben nach Aussagen von Betriebs- und Personalräten Schwierigkeiten, ihre offenen Stellen zu besetzen“, schreiben die Arbeitsforscherinnen Elke Ahlers und Valeria Villalobos von der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung.

Viele ehemalige Kellner und Köche arbeiten heute in Callcentern

Auch die Bundesagentur für Arbeit verzeichnete für 2021 Dutzende Berufe, in denen ein deutlicher Mangel an Bewerberinnen und Bewerbern herrschte. Die Liste reicht von Installateuren über Zahntechniker, Altenpflegerinnen und Augenoptikern bis hin zu Automatisierungstechnikerinnen.

Eine hohe, unbefriedigte Nachfrage nach Beschäftigten existiert in weiten Teilen der Wirtschaft. Der praktische Effekt für Problembranchen wie Gastronomie und Gepäckabfertigung: Beschäftigte, die sich dort verabschieden, finden leicht eine Anstellung woanders – und kehren oft nicht zurück.

Aus der Gastronomie haben wohl nicht wenige bei Callcentern oder als Lieferfahrer angeheuert. Die Gesundheitsämter der Kommunen stellten ebenfalls viele Leute ein. Und einige haben die Gelegenheit genutzt, noch einmal ein Studium zu beginnen.

Unternehmen jagen sich gegenseitig Mitarbeiter ab

Künftig dürfte die Lage komplizierter werden. Denn grundsätzlich wirkt hier auch die Demografie. So verzeichnete beispielsweise der Jahrgang 1961 insgesamt 1,3 Millionen Geburten, 1999 waren es dagegen nur rund 800.000. Gehen die 1961er-Jahrgänge bald in Rente, fehlen pro Jahr 500.000 potenzielle Arbeitskräfte.

Die Frage ist, wie eine Lösung des Pro­blems aussehen könnte. Im Hinblick auf besonders betroffene Wirtschaftszweige sagt IAB-Wissenschaftler Weber: „Um offene Stellen schneller zu besetzen, sollten die Unternehmen den Wünschen ihrer Bewerber beispielsweise hinsichtlich der Arbeitszeit entgegenkommen.“ Helfen könne auch, Minijobs in sozialversicherungspflichtige Stellen umzuwandeln, so Weber. „Denn viele Minijobber würden gern mehr Stunden arbeiten.“

Die Böckler-Forscherinnen Ahlers und Villalobos berichten, dass mehr als ein Viertel der befragten Betriebsräte zu schlechte Arbeitsbedingungen als Gründe dafür nannte, dass Stellen nicht zu besetzen sind. Dabei gehe es oft um zu lange oder unattraktive Arbeitszeiten, aber auch um magere Bezahlung.

Herrscht allerdings Arbeitskräftemangel in der gesamten Wirtschaft, führen solche Strategien dazu, dass sich die Unternehmen vor allem gegenseitig Personal abjagen. Das Problem verlagert sich damit nur.

Eine Entbürokratisierung könnte die Personalnot entschärfen

Grundsätzlich helfen würde dagegen, den Pool der zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen zu vergrößern. Immer wieder genannt werden dann Bemühungen, mehr Frauen länger in den Arbeitsmarkt zu holen und Langzeitarbeitslose zu reaktivieren.

Ein weiterer Weg ist die Einwanderung aus dem Ausland, aktuell aus der Ukraine. Da gibt es jedoch eine besondere Hürde: In vielen sogenannten reglementierten Berufen, unter anderem medizinischen Tätigkeiten, dürfen die Zuwanderer erst arbeiten, wenn die Gleichwertigkeit ihrer Qualifikationen mit dem deutschen Ausbildungssystem behördlich anerkannt wurde – ein oft unglaublich aufwändiger Prozess.

„Im Hinblick auf Einwanderer könnte man zunächst Teilqualifikationen anerkennen und dann berufsbegleitend weiterqualifizieren“, sagt deshalb Enzo Weber. „Es müsste nicht immer gleich der Nachweis einer kompletten Berufsausbildung sein, die dem deutschen System gleichwertig ist.“