Hamburg. Digitaler Wandel: Am Mittelweg hat die Supermarktkette nun einen ganz besonderen Laden eröffnet. Wie das neue Modell funktioniert.
Es ist eine neue Variante im Kampf um die Kunden im Lebensmittelgeschäft. „Rewe Abholpunkt Rotherbaum“ steht in großen Buchstaben seit einigen Tagen an einem eher unscheinbaren Gebäude am Mittelweg. Das ist wörtlich gemeint. In dem kleinen Ladenlokal gibt es weder Regale, Frischetheken oder Kassenzonen.
Statt selbst mit dem Einkaufswagen durch einen Supermarkt zu kreuzen, um Brot, Butter, Bananen, Käse oder Tiefkühlpizza einzusammeln, ist die Liste schon beim Betreten abgearbeitet und die Waren werden in fertig gepackten Tüten nur noch über den Tresen gereicht. „Gerade für Kunden, die ihre Einkäufe auf dem Weg von der Arbeit oder zu einem Termin nur kurz abholen wollen, ist unser neues Angebot praktisch. Es spart Zeit und Nerven“, sagt Marietheres Wicke aus dem Projektteam für den neuen Service in der Rewe-Zentrale in Köln.
Einzelhandel Hamburg bereitet sich auf digitalen Wandel vor
Der Lebensmittelhändler, mit 3600 Märkten die Nummer zwei der Branche in Deutschland, bereitet sich derzeit auf unterschiedlichen Ebenen auf den digitalen Wandel vor. Mit dem bundesweit ersten Rewe-Abholpunkt in Hamburg schickt das Unternehmen eine weitere Neuerung in den Testlauf. Geordert wird über den Rewe-Onlineshop. Dort kann man auswählen, ob die Einkäufe per Lieferservice nach Hause gebracht werden oder ob sie selbst abgeholt werden sollen. Möglich ist das in Hamburg in etwa 20 Rewe-Märkten innerhalb der Öffnungszeiten und jetzt auch am Mittelweg. „Bei der Bestellung werden nach der Eingabe der Postleitzahl die nächsten Abholmöglichkeiten angezeigt“, sagt Projektleiterin Wicke.
Das Angebot soll das bisherige digitale Angebot des Händlers ergänzen. Rewe bietet schon länger deutschlandweit einen Online-Lieferservice. Auch im Geschäft mit den neuen Express-Lieferdiensten mischt der Konzern über eine Millionen-Beteiligung an dem Berliner Start-up Flink mit. Parallel baut Rewe jetzt den Abholservice aus. „Wir wollen den Kunden mehrere Optionen zur Auswahl geben“, sagt Projektleiterin Marietheres Wicke. Zu dem Abholservice in den Supermärkten laufen in Berlin und Köln aktuell Tests mit Abholstationen, in denen die Kunden ihre Bestellungen in Schließfächern ähnlich wie bei einem Paketdienst mit einem Pin auslösen können.
Abholpunkt in Hamburg bis 21 Uhr geöffnet
Sieben Stationen gibt es inzwischen. Seit November experimentiert der Konzern in der Kölner Innenstadt zudem in einem kassenlosen Einkaufsangebot mit der sogenannten Pick&Go-Technologie. Die Kunden können nach der Anmeldung über eine spezielle App die gewünschten Waren einfach aus dem Regal in die Tasche legen, abkassiert wird automatisch beim Hinausgehen. Möglich ist das mit einem neuen Verfahren, bei dem das innovative Softwaresystem die Skelettmerkmale des Kunden misst, über Kameras Gewichtskontrollen sowie Bewegungen am Regal aufzeichnet – und so den Warenkorb berechnet.
Dagegen ist der erste Abholpunkt in Hamburg eher „alte Schule“. Der Service-Shop am Rothenbaum ist Montag bis Sonnabend mit einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin besetzt. Zwischen 10 und 21 Uhr gibt es drei mehrstündige Zeitfenster zum Abholen, bei einer Bestellung bis 14 Uhr stehen die Einkäufe noch am selben Abend ab 18 Uhr bereit. Der Mindestbestellwert beträgt 20 Euro. Bezahlt wird über den Onlineshop, für jeden Auftrag werden zwei Euro Gebühr fällig.
Elektro-Lastenräder können kostenfrei geliehen werden
Bestellt werden kann aus dem Rewe-Onlineangebot mit mehr als 10.000 Artikeln von A wie Apfel bis Z wie Zwieback. Die Waren werden in einem der frisch renovierten Räume im hinteren Bereich gelagert. „Dabei wird natürlich immer die Kühlkette eingehalten“, sagt Projektleiterin Wicke und zeigt auf Regale, Kühlschränke und eine große Tiefkühltruhe. Das Abholen dauert nur wenige Minuten. Vor der Tür stehen zwei Parkplätze zur Verfügung. Außerdem gibt es zwei Elektro-Lastenräder, die kostenfrei ausgeliehen werden können.
Dass sich auch beim Einkauf frischer Lebensmittel das Konsumentenverhalten ändert, hat sich im vergangenen Jahr gezeigt. Die Corona-Pandemie mit Kontaktregeln und Hygienevorschriften hat den Onlinehandel beflügelt – auch weil mit zahlreichen neuen Lieferdiensten das Angebot deutlich gestiegen ist. Nach dem Online-Monitor 2021 des Handelsverbands Deutschlands sind die Verkäufe über das Internet im vergangenen Jahr um 60 Prozent gestiegen. Das Wachstum ist fast dreimal so hoch wie im Non-Food-Bereich.
Onlinegeschäft wächst immer weiter
Das klingt nach viel, aber auch nach der deutlichen Steigerung ist der Anteil des Onlinegeschäfts gerade mal auf zwei Prozent des Lebensmittelumsatzes in Deutschland von 204 Milliarden Euro gestiegen. Trotzdem zeigen die Zahlen des Online-Monitors, dass etwas in Bewegung kommt. Fast die Hälfte der Internetnutzer hat bereits im Netz Lebensmittel bestellt.
21 Prozent tun dies regelmäßig mindestens einmal im Monat. Und auch nach der Pandemie bleibt sogenanntes E-Food in Deutschland laut Handelsverband ein großes Thema. 37 Prozent der Befragten wollen ihre Online-Bestellungen von Lebensmitteln auf gleichem Niveau halten, 52 Prozent beabsichtigen, diese zukünftig „mehr“ oder „deutlich mehr“ tätigen zu wollen.
Alle testen neue Konzepte für die Zukunft des Einkaufens
Die Branche ist im Aufbruch. Alle großen Händler testen neue Konzepte für die Zukunft des Einkaufens. „Das Abholangebot von Rewe ist ein Mittelweg zwischen dem klassischen Einkauf im Supermarkt oder Discounter und der Lieferung nach Hause“, sagt Christian Böttcher vom Handelsverband Lebensmittel. Noch gebe es bei Lebensmittelversand und -lieferung nach Hause einige Hürden.
Dazu zählen aus seiner Sicht die Festlegung auf ein Lieferzeitfenster und die Liefergebühren. Die Abholoption könnte ein Zwischenschritt sein auf dem Weg zu einer größeren Bereitschaft bei deutschen Kunden, Lebensmittel im Internet zu bestellen. Schon der Pick-up-Service nimmt den Kunden einige Arbeitsschritte ab. „Das könnte vor allem beim wöchentlichen Routineeinkauf zum Tragen kommen, bei dem zumeist immer das Gleiche im Warenkorb landet“, so der Handelsexperte.
Auch Edeka probiert immer wieder Neues aus
Für die Einzelhändler ist der Vorteil, dass sie die Anlieferung an die Haustür sparen, die eine aufwendige Logistik erfordert. Rewe hatte schon vor vier Jahren Abholstationen in Supermärkten gestartet. Inzwischen bietet ein Drittel der Märkte bundesweit den Service an. Einer der ersten, die in Hamburg mit einem integrierten Abholservice dabei war, war das Rewe Center Stanislawski & Laas. Nachdem die Bestellungen anfangs noch per E-Mail eingingen, laufen diese inzwischen über rewe.de oder die Rewe-App. „Neben dem klassischen Einkaufen wird der Abholservice als zusätzliches Angebot gut angenommen und gewinnt spürbar an Bedeutung“, heißt es bei dem Händler. Konkrete Anga ben, wie oft und was zur Abholung bestellt wird, werden nicht gemacht.
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Auch Rewe-Konkurrent Edeka hatte das Abholkonzept getestet. Aktuell gibt es in Hamburg allerdings nur eine Edeka-Kauffrau in Fuhlsbüttel, bei der man über den Onlineshop eine Abholoption anwählen kann. In Schleswig-Holstein sind einige Anbieter gelistet, unter anderem in Ellerbek, Neumünster und Niebüll. Komplett eingestellt hat Deutschlands größter Lebensmittelhändler inzwischen einen Modellversuch mit Abholboxen des Start-ups Emmabox außerhalb der Märkte, die im Norden unter anderem in Kiel und Umgebung standen.
Einzelhandel Hamburg: Abholpunkt erregt Aufmerksamkeit
Seit Ende Oktober 2020 gibt es diesen Service nicht mehr. Der Edeka-Verbund setzt inzwischen auf den Ausbau des Lebensmittellieferdienstes Picnic, der aktuell noch vor allem in Nordrhein-Westfalen unterwegs ist, sowie den Online-Supermarkt Bringmeister mit Liefergebieten in Berlin, München, Augsburg und Potsdam. Der erste Rewe Abholpunkt am Rothenbaum hat inzwischen schon die Aufmerksamkeit der ersten Kunden erregt.
Dass die Wahl auf einen Standort am Mittelweg fiel, ist dabei kein Zufall. In der näheren Umgebung gibt es keinen Rewe-Markt. „Es läuft langsam an, die ersten Bestellungen haben wir bereits abgewickelt“, sagt Projektleiterin Marietheres Wicke. Die Resonanz sei positiv. Aktuell entfällt für Neukunden die Servicegebühr. Im nächsten Frühjahr ist die Eröffnung von zwei weiteren Abholpunkten geplant.