Hamburg. Nach der Insolvenz soll bei der Bäckereikette vieles anders werden. Zusätzliche Produkte und weitere Filialen sind geplant.

Vor einem halben Jahr wurde das Insolvenzverfahren von Dat Backhus beendet. Seitdem führen die beiden Betriebswirte Barbaros Arslan (44) und Alexander Gerstung (45) als Geschäftsführer die Hamburger Bäckereikette. Mit ihrer Berliner Beteiligungsgesellschaft PrecapitalPartners übernahmen sie das Unternehmen von Bartels-Langness (Famila) in Kiel. Zusammen mit Vertriebsleiter Björn Kramer (44) berichten sie im Abendblatt exklusiv über die Pläne für die offiziell nach ihrem Gründer benannte Heinz Bräuer GmbH & Co. KG.

Hamburger Abendblatt: Wie hat sich Dat Backhus unter Ihrer Führung bisher entwickelt?

Alexander Gerstung: Als wir eingestiegen sind, kam kurz darauf der nächste Lockdown. Während die Branche 50 bis 60 Prozent Umsatz im Vergleich zu 2019 verloren hat, waren es bei uns 40 Prozent bei den Fachgeschäften und mehr als 70 Prozent bei den Handelskunden wie Kantinen, andere Bäcker und Gastro. Das liegt an dem im Vergleich zur Konkurrenz bei uns niedrigerem Café- und Snackanteil. In diesem März bis Mai lief es besser als im ersten Corona-Jahr, aber noch schlechter als in früheren Zeiten. Unterm Strich schreiben wir bald eine schwarze Null, wenn wir umsatztechnisch zu 2019 aufschließen können. Dank der staatlichen Unterstützung wie November-, Dezemberhilfen, Kurzarbeitergeld und den Einsparprogrammen im Unternehmen konnten die Verluste im ersten Quartal eingedämmt werden.

Warum ist denn Dat Backhus zuvor in die Insolvenz geraten?

Gerstung: Die Expansion in früheren Jahren war sehr massiv. Es ist in Lagen expandiert worden, die teilweise hohe Mieten hatten. Das konnte nicht wieder eingespielt werden. Das Eröffnen einer neuen Filiale kostet mindestens 400.000 Euro. Wenn man das einige Male macht und die Umsätze plötzlich wegfallen, explodieren die Kosten. Zudem gab es zu viele Personalwechsel. Wenn die Stammkunden die vertrauten Gesichter im Verkauf nicht mehr sehen, führt das zu Umsatzrückgängen. Durch den coronabedingten Wegfall der Kunden ist die Firma zusätzlich in eine Schieflage geraten und musste Insolvenz anmelden.

Barbaros Arslan: Dat Backhus machte in den vergangenen zwölf Jahren nicht einmal Gewinn. Am Ende des Jahres glich der Gesellschafter die Verluste aus. Das wurde zum Kernproblem, weil man sich bei Dat Backhus keine Gedanken über eine Verbesserung des Geschäftsmodells machen musste. Geld killt die Kreativität.

Der Insolvenzverwalter strich das Filialnetz um 26 auf 93 Geschäfte zusammen. Die Zahl der Mitarbeiter ging um 150 auf 1050 zurück. Sind weitere Einschnitte beim Personal geplant?

Gerstung: Nein, wir haben sogar schon wieder eingestellt und beschäftigen nun 1100 Mitarbeiter, darunter sind 60 Auszubildende. Wir hatten über 20 Prozent des Personals in Kurzarbeit. Aber nun sind wir komplett aus der Kurzarbeit heraus.

Werden Sie in der Innung und damit tarifgebunden bleiben sowie die avisierte Lohnerhöhung in der Branche von 25 Cent pro Stunde und die Corona-Sonderzahlung von 150 Euro im Juni zahlen?

Gerstung: Wir sind in der Innung, bleiben auch drin und zahlen entsprechend. Die Corona-Prämie ist allerdings ein echtes Problem für uns. Nicht, dass wir unseren Mitarbeitern diese nicht gönnen. Aber das sind knapp 200.000 Euro, die in diesem Monat zusätzlich kommen würden. Das ist zu einem Zeitpunkt, wo wir das Überbrückungsgeld noch nicht bekommen haben und notwendige Investitionen anstehen, sehr viel. Wir sprechen mit dem Betriebsrat und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten über eine Verschiebung oder Staffelung der Corona-Prämien-Zahlung über mehrere Monate.

Werden Sie die 93 Geschäfte dauerhaft betreiben?

Arslan: Für uns kommen Schließungen nicht infrage. Bei attraktiven, leeren Flächen wollen wir gern zugreifen und weitere Geschäfte eröffnen. 2019 erzielte Dat Backhus mit mehr Filialen 60 Millionen Euro Umsatz. In diesem Jahr beziehungsweise nach der Pandemie streben wir die 50 Millionen Euro an.

Gerstung: Unser Ziel ist es, irgendwann wieder die Hundertermarke bei der Filialzahl zu knacken. Der Hamburger Markt ist groß.

Wie sehen Ihre Pläne für Dat Backhus konkret aus?

Gerstung: Wir haben mit Lieblingsplatz eine alte Marke reaktiviert. Dabei handelt es sich um ein Nachhaltigkeitskonzept. Der Grund: Wir produzieren jeden Tag Übermengen, weil wir aufgrund von Losgrößen produktionsbedingt immer mehr produzieren müssen als durch die Fachgeschäfte tatsächlich bestellt wurde. Bisher wurde diese Überproduktion als zusätzliche Ware in die Läden geliefert und kam dann abends als Retoure zurück, weil sie nicht verkauft wurde. Diese nicht von den Filialen bestellten Stücke werden nun in die Lieblingsplatz-Geschäfte geliefert, die in nicht so kaufstarken Gebieten liegen. Dort gibt es stets frische qualitativ hochwertige, preiswertere Ware, aber bei wechselndem Sortiment. Es gibt nur das, was bei der Produktion als Überschuss produziert wurde. Wir hoffen, am Ende des Tages so wenig Ware wie möglich als Retoure verwerten zu müssen. Bisher gibt es zwei Lieblingsplatz-Läden, einer in Wilhelmsburg und ein neuer an der Alsterkrugchaussee. Bei zwei Standorten hoffen wir, dass bald die Unterschriften unter den Mietvertrag erfolgen.

Also bauen Sie mehrere Marken auf?

Arslan: Genau. Es gibt künftig vier Marken: Lieblingsplatz im Einstiegsbereich, die Mitte bildet unsere Hauptmarke Dat Backhus und die Avantgarde ist das Konzept Brot und Stulle, das wir in der Rindermarkthalle und im Mercado betreiben. Und in der Langen Reihe setzen wir jetzt das neue Gastrokonzept Dat B. um – unseren moderneren Trendladen für das andere Frühstück und für den Snack. Wir haben das Geschäft umgebaut und wollen es spätestens im Juli eröffnen. Dort werden wir zum Beispiel trendige vegane Frühstücke mit Hummus, Falafelbällchen, Salate mit besonderen selbst gemachten Soßen oder mit Carpaccio anbieten. Dort können die Gäste verweilen, während selbst bei Brot und Stulle das Mitnahmegeschäft sehr stark ist.

Wollen Sie noch weitere neue Produkte einführen?

Arslan: Wir sind ein traditioneller Bäcker, aber wir sind offen für Innovationen. Wir müssen die Brücke zur neuen Generation schaffen. Deswegen haben wir jetzt vier Sorten Donuts im Sortiment – allerdings nicht solche opulenten Kunstwerke wie bei derzeit stark angesagten Wettbewerbern. Als großer Berliner-Hersteller haben wir die dafür nötigen Maschinen, denn Donuts sind eigentlich nichts anderes als Berliner mit Loch. Wir haben die Produktentwicklung neu eingeführt, arbeiten mit einem renommierten Berliner Koch an Verbesserungen im Geschmack und Rezeptur und führen bei Neueinführungen immer Blindverkostungen durch. Bei der Qualität werden wir keine Abstriche machen und immer beste Zutaten ohne Backmischungen verwenden. Denn die Materialquote bei den Kosten liegt im Durchschnitt bei 17 Prozent, da gibt es keine Notwendigkeit beim Material einzusparen. Früher kam in die Läden, was dem Geschäftsführer schmeckte. Das ist nun anders, da wir mehr darauf achten, was der Kunde möchte und wir den wichtigen Trends folgen: weniger Zucker, kleinere Portionen, keine Zusatzstoffe, neue Zutaten wie Superfoods. Bis Ende des Jahres werden wir etwa 50 Prozent des Sortiments getauscht beziehungsweise den Bedürfnissen der Kunden angepasst und modernisiert haben. Traditionelle Artikel wie der Keks-Klassiker Hanseat sind beispielsweise raus, weil der Artikel nicht mehr nachgefragt wurde, da er zu süß war.

Gerstung: Wir arbeiten übrigens am Hanseaten 2.0. Generell ist dicker Zuckerguss aber nicht mehr angesagt. Bei unseren Verkaufsschlagern Brot und Brötchen haben wir mit der Umstellung angefangen. So gibt es jetzt beispielsweise ein Brötchen mit einer dunklen Dinkelmischung.

Björn Kramer: Und beim Brot haben wir sechs neue Sorten eingeführt, die wir im täglichen Wechsel verkaufen. Beispielsweise gibt es mittwochs das würzige und das kräftige Abel Brot für den Brotkenner und sonnabends ein Walnuss-Dattel-Brot. Weil nach unserer Erfahrung bei großen Broten häufig viel weggeworfen wird, machten wir eine Handvoll Brote kleiner. Das ist übrigens gar nicht so einfach, weil das Verhältnis Krume zu Kruste den Gesamtgeschmack verändert und die Backzeiten angepasst werden müssen. Im Schnitt sind wir dabei nicht teurer geworden.

Gerstung: Vor allem haben wir aber im Snackbereich umgestellt. Es gibt neu bei uns belegte Bagels. Statt wie früher Remoulade zu nutzen, verwenden wir jetzt selbst gemachte Cremes und Vinaigrette. Dafür haben wir an unserem Sitz in Rothenburgsort einen Teil der Fläche umgebaut, um eine zentrale Snackproduktion aufzubauen. Es gibt dort jetzt eine Küche mit Produktionsstraßen und Kühlmöglichkeiten. Bisher wurden die Brötchen in jeder Filiale nach einem vorgegebenen Plan belegt. Künftig werden sie genauso wie Porridges, Salate, Waffelteig und Quarkspeisen in der zentralen Snackproduktion hergestellt und in die Filialen geliefert.

Wie viel haben Sie denn investiert?

Gerstung: Für die neue Snackproduktion sind es einige Hunderttausend Euro. Insgesamt ist es mehr als eine Million Euro, die wir übrigens aus dem laufenden Geschäft finanzieren. Investiert haben wir in ein neues Kassen- und Warenwirtschaftssystem, neue Fahrzeuge für die Auslieferung im Snackbereich und für die geplante Expansion sowie in eine Software für intelligente Tourenplanung.

Hinter PrecapitalPartners steckt die Prevent Holding GmbH, die der bosnischen Familie Hastor gehört und bisher vor allem in der Autoindustrie aktiv war. Warum sind Sie bei einer Bäckerei eingestiegen?

Gerstung: Die Autobranche ist die Geburtsindustrie von Prevent gewesen. Aber schon in den vergangenen 15 Jahren ist Prevent in anderen Ländern zum Beispiel in die Möbelindustrie, den Schiffbau, Banken und das Versicherungswesen eingestiegen. Schwankungen in der Konjunktur können so besser ausgeglichen werden. Die Gesellschafter forderten uns seit Längerem auf, auch in anderen Branchen zu schauen.

Lesen Sie auch:

Arslan: Unsere Kernkompetenz sind dabei Unternehmen, die in der Insolvenz oder kurz davor sind und bei denen die Banken Ärger machen. Weil wir den Insolvenzverwalter kennen, sind wir auf Dat Backhus gekommen. Die Zahlen deuteten Potenzial an. Und die Mitarbeiter wissen, was sie tun. Wir müssen nicht bei null anfangen.

Ist Ihr Engagement bei Dat Backhus langfristig orientiert? Oder wollen Sie die Firma bald verkaufen?

Arslan: Mir ist das Thema ans Herz gewachsen, und ich fühle mich dem verpflichtet, was Herr Bräuer einst aufgebaut hat. Ich finde die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft und dem Betriebsrat sehr direkt und offen. Wir integrieren sie in den Prozess. Wir investieren in Personal, Maschinenpark und Instandhaltung, weil wir an die Marke glauben. Unser erster Meilenstein war, raus aus der Verlustzone zu kommen – das haben wir geschafft. Wenn das Unternehmen läuft, könnten Herr Gerstung und ich aus dem Management herausgehen und firmenintern durch gute Leute ersetzt werden. Dat Backhus wäre dann eine Beteiligung von PrecapitalPartners, die Gewinne abwirft. Wir sind aber kaufmännisch opportunistisch.

Heißt konkret was?

Gerstung: Wenn das Geschäft läuft, kann Dat Backhus eine unserer Beteiligungen bleiben – es kann aber auch verkauft werden. Stand heute ist das nicht geplant, aber auszuschließen ist es auch nicht. Im Gegensatz zu anderen Beteiligungsgesellschaften werben wir übrigens nicht bei Dritten Geld ein, sondern arbeiten mit unserem eigenen. Wir müssen also keine hohen Renditeversprechen einlösen und schauen nicht nur auf Excel-Tabellen mit Geschäftszahlen. Und wir gehen selbst in das Management rein, weil wir in den vergangenen 15 Jahren darin Expertise aufgebaut haben.

Sie scheuen dabei keine Konfrontation. Als Manager von Prevent stecken Sie seit Jahren in einem Rechtsstreit mit VW. Als Manager bei Halburg Guss sammelten Sie Erfahrungen mit Mitarbeitern, die wochenlang streikten. Wie würden Sie Ihren Managementstil beschreiben?

Arslan: Wir sind als PrecapitalPartners keine Kinder von Traurigkeit, steigen in schwierige Investments ein und packen die Sachen an. Aber: Wir machen das, was wir sagen. Und wir arbeiten mit maximaler Transparenz. Ich scheue keine Konflikte und gehe in diese hinein, wenn zum Beispiel bei einem Unternehmen dadurch zwei von drei Werken gerettet werden können. Die meisten Altgesellschafter trauen sich das nicht zu und sagen, das soll ein neuer Investor machen. Die meisten Investoren wollen aber nur Start-ups oder wachstumsorientiertes Geschäft mit beispielsweise dahinter liegenden Patenten übernehmen. Das Kraut-und Rüben-Geschäft ist für viele nicht sexy. Wir machen das, haben davon viele Projekte gehabt. Einige sind aufgegangen, andere nicht.

Dat Backhus ist bisher die einzige Beteiligung von PrecapitalPartners. Welche Bereiche könnten folgen?

Arslan: Es werden durch die Corona-Krise noch viele Insolvenzen kommen, deshalb haben wir Precapital gegründet. Wir können uns beispielsweise den Modebereich, aber auch ein klassisches produzierendes Gewerbe vorstellen. Wir haben auch mit ein paar kleinen Bäckereien verhandelt, bisher aber ohne Abschluss. Ich könnte mir vorstellen, eine Kaffeerösterei zu kaufen, in der man Dat Backhus-Kaffee herstellt.

Gerstung: Im Moment planen wir, im Lebensmittelbereich weiter zu wachsen. Automotive würden wir derzeit übrigens nicht machen, weil wir nicht wissen, was sich durch die Elektromobilität alles verändert.